Dushan-Wegner

28.01.2019

Politische Korrektheit, ein Todeskult

von Dushan Wegner, Lesezeit 11 Minuten, Bild von Lawrence Walters
Statt »Vater« und »Mutter« soll man uniform »Elternteil« sagen. – Politische Korrektheit ist wie ein Todeskult, der auslöschen will, was die Verschiedenheit des Lebens ausmacht, und die politisch korrekte Welt ist einheitlich, traurig und grau!
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An der Pforte zum Reich der Toten trifft der antike Grieche auf Thanatos; dessen Bruder Hypnos heißt, dieser ist der Gott des Schlafes, denn Schlaf ist bekanntlich ein klein wenig wie Tod, und der Sinnenrausch sowiesomon Dieu! – und die Dritte im Geschwisterbunde ist Ker; die Göttin Ker ist die Göttin des gewaltsamen Todes – Bruder Thanatos ist weich und sanft, denn Thanatos fühlt sich nur für den friedlichen Tod zuständig.

Eros und …

Genau zwei Triebgruppen soll es geben, sagt der, dessen Namen wir mit Trieben verbinden: Sigmund Freud. Er sagt es in Jenseits des Lustprinzips. Freud teilt die Triebe in Lebenstriebe, als Libido und als Narzissmus, und die Todestriebe. – In den Todestrieben äußert sich unser Drang zur Selbstzerstörung. Die Lebenstriebe – Eros – wollen schaffen, wollen immer Größeres schaffen. Die Todestriebe zielen auf die Rückführung des Lebendigen ins Anorganische. Die Todestriebe stehen dem Eros gegenüber, deshalb nannte man sie später Thanatos, nach dem griechischen Gott des sanften Todes.

Leben aus Trennung

In Relevante Strukturen schreibe ich, gleich zu Beginn der Argumentation:

Alles, was existiert, existiert durch Trennung. Die Trennung der Dinge zu sehen ist der Beginn aller Ordnung. (Relevante Strukturen)

Leben beginnt aus Trennung. Wenn der Töpfer eine Vase erschaffen will, trennt er zu Beginn einen wohlbemessenen Klumpen vom Rest der Erde. – Die Legende berichtet von Michelangelo, (eine andere erzählt es von Henry Moore) der zur Erschaffung des Davids bescheiden angegeben haben soll, dass er einfach den Stein genommen habe und dann alles weggeschlagen habe, was nicht David sei – mit anderen Worten: der Meister trennt den Stein in David und Nicht-David, auch des Davids Beginn ist die Trennung.

Denn Staub bist du und zum Staub kehrst zu zurück. (1. Mose 3:19b)

Der Mensch entsteht durch Trennung, und dann durch Belebung des Getrennten. Frau und Mann entstehen durch Trennung des Menschen, das Leben des Kindes beginnt durch eine Reihe von Abtrennungen, das Leben des Erwachsenen ebenso. Alles, was existiert, existiert durch Trennung, und zu zerstören bedeutet – mal zuletzt und mal zuerst – die Trennung wieder aufzuheben.

Tod als kultischer Gegenstand

Wie stellen wir uns denn dem, was wir fürchten? Wir können das Gefürchtete bekämpfen, wir können es auszuschließen versuchen, wir können das Schreckliche von uns ab-trennen.

Wie aber sollen wir verfahren mit den Dingen, die sich nicht abtrennen lassen? Wir fürchten den Tod, die Aufhebung aller Trennung zwischen dem lebendigen Menschen und dem unbelebten Dreck. Wir versuchen ja, zumindest unsere Aufmerksamkeit vom Schrecklichen zu trennen, mit Unterhaltung und Abtrennung, doch was, wenn selbst die Ablenkung nicht gelingt, nicht gelingen kann?

Wie begegnen wir dem Fürchterlichen, von dem die Abtrennung nicht gelingen will, weil es ein Teil von uns ist?

Die Umherwandernden in der Wüste fürchteten einst den Biss der giftigen Schlangen, also richtete Moses eine eherne Schlange auf, und wer gebissen wurde, doch dann die Schlange ansah, der sollte leben (4.Mose 21,6-9). Erhebe, was du fürchtest. – Doch, auch die Erhebung des Gefürchteten benötigt ein Mittelmaß, ein Nicht-zu-viel, ein Gerade-richtig.

Wir kennen die Allerheiligenkirche im tschechischen Sedletz (Wikipedia, Website). Das Kirchengebäude ist eingerichtet und geschmückt, doch nicht zuerst aus Holz, nicht aus Gold oder aus Silber, sondern aus Knochen, aus Menschenknochen, aus den Knochen von zehntausend Toten. – Ist es gruselig? Ohne Zweifel!

Gruselig ist, was die Trennung zwischen Leben und Tod aufhebt. Untote sind gruselig. Beseelte Maschinen wären gruselig. Lebendige und Tote in einem Raum, auch das ist gruselig.

Was in Sedletz von den Menschen übrigbleibt, all den Namenlosen, den Pest- und Alterslosen, es wurde zum Einrichtungsmaterial, doch es ist dort keine Erniedrigung, denn das Ausgestelltsein bringt die Schädel der Toten ins Bewusstsein der Lebenden. Die weit über hunderttausend Besucher pro Jahr, sie kommen nicht nach Sedletz, um die fremden Toten zu sehen, es sind ihnen ja Fremde. Die Schädelaugen, in die der Besucher blickt, stehen für die eigenen Augen, den eigenen Schädel; dereinst werden auch wir zu Material reduziert sein, und die erhobenen Knochen von Sedletz führen den Besucher an den Punkt, sich seiner Angst zu stellen.

Die Schädel von Sedletz wecken nur ein kleines Gruseln, ein therapeutisches Gruseln; und dann geht der Besucher nach Hause, und geht seinem Leben nach – weit gruseliger wäre, wenn Menschen beschlössen dort zu bleiben, ihr Leben zwischen Schädeln einzurichten – das wäre wirklich gruselig, denn es würde die Trennung zwischen Leben und Tod noch einen Schritt weiter aufheben, einen Schritt zu weit.

Der Grusel

Es ist normal, ein wenig den Grusel zu suchen, doch es ist wichtig, die Augen wieder von der Schlange zu nehmen, wieder aus Sedletz fortzugehen.

Wenn Menschen sich in Gruppen dazu aufpeitschen lassen, den erhobenen Grusel zu weit zu treiben, ihn über den wohltuenden Moment hinaus zu betreiben, könnten sie in einen Zustand gleiten, den wir Todeskult nennen.

Wissenschaftler fragen sich heute, wie sie Computern eine künstliche Intelligenz einprogrammieren – hat man denn die natürliche Intelligenz der Schöpfungskrone schon vollendet – hat man sie gar aufgegeben? Nun, der Mensch ist nicht die effizienteste aller Maschinen, und gelegentlich kommt es vor, dass er sich als Mitglied eines Todeskultes wiederfindet.

Wir kennen Todeskulte verschiedener Größenordnungen, etwa Heaven’s Gate, Ōmu Shinrikyō, Hitlerismus oder den Islamischen Staat.

Von Osama bin Laden ist das Zitat überliefert: »Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod«. – Über alle Kulturen hinweg gibt es Eigenschaften, die Todeskulte eint, und immer, immer haben sie mit Aufhebung von Trennung zu tun.

Die Parteitage der NSDAP, die den Menschen zum Teilchen der Masse reduzierten; die Jonestown-Sekte, die vor ihrem Massenselbstmord einheitliche Turnschuhe und Trainingskleidung anzog, um dann die gleiche vergiftete Sportlimonade zu trinken, sie machte »drinking the Kool-Aid« zum neuen Idiom für die Selbstunterordnung unter eine hoffnungslose Idee. Die uniformierten ISIS-Mörder, mit den immergleichen Symbolen, Zeichen und Flaggen. Todeskulte mögen sich in Details und Narrativ unterscheiden, doch einige Wahnideen sind ihnen gemeinsam, allervorderst jene, die lebensschaffende Trennung aufheben zu wollen, zu sollen, zu müssen.

Trennung und Unterschiede schaffen Leben, der Tod ist der große Gleichmacher, und jene, welche den Tod lieben, wollen dem Tod im Gleichmachen zuvorkommen, immer und immer wieder.

Verschwimmen

Im Text Suizidalismus – ein Name für diese Epoche habe ich beschrieben, wie linke Vordenker im Westen eine Politik und eine Moral des Suizidalismus forcieren – als gut im ethischen Sinn erscheint denen, was die eigene Gruppe mindestens als solche vernichtet. Sie wollen – und sie sind stolz darauf – überwinden, was trennt. Die Trennung erscheint ihnen als größtes Übel. Manche berufen sich auf die Bibel, als ob die Trennung zwischen Israel und den Heiden, beziehungsweise Gläubigen und Ungläubigen, nicht einer der Leitfäden der Bibel wäre. Während sie die Mauern um ihre Häuser und Bankkonten immer höher ziehen, predigen sie die Enttrennung und Grenzlosigkeit.

Die Sprache des Suizidalismus und des Aufhebens von Trennung ist die Politische Korrektheit.

Welcher menschliche Unterschied ist reizvoller, inspirierender, als der zwischen Mann und Frau? Die Funken zwischen den Geschlechtern inspirieren Künstler und Eroberer, Erfinder und Krieger. Ein so wichtiger Unterschied, diese erste lebensschaffende Trennung, der wird nicht nur in Museen und Galerien wirken, in Städten und in Bibliotheken, er wird und muss auch unsere Sprache formen, denn wenn Sprache uns nicht dazu diente, darüber zu sprechen, was uns wichtig ist, wozu sollte sie uns dann dienen?

Politisch korrekte Sprache ist ein sprachlicher Todeskult: man will Trennungen aufheben, man will das Markieren von Unterschieden verbieten, statt das Getrennte zu versöhnen und im Verhältnis zueinander in Ordnung zu bringen.

Der sprachliche Todeskult kämpft seit Jahren gegen die Benennung von Trennendem. Es soll nicht mehr unterschieden werden zwischen Frau und Mann, zwischen dick und schlank, zwischen gesund und krank, zwischen dieser oder jener Kultur – bis hin zu Staatsbürger und Nicht-Staatsbürger (»kein Mensch ist illegal«). – Kaum ein anderer Faktor ist für den Erfolg der Kinder so wichtig wie das Elternhaus, doch politische Korrektheit will die Unterschiede zwischen traditioneller und nicht traditioneller Familie (zu nennen) verbieten. In Hannover wollen sie den Behörden verbieten, von Vater und Mutter zu reden, nur noch Elternteil soll man sagen dürfen(welt.de, 27.1.2019).

Der Nachwuchs des politish korrekten Kultes fordert safe spaces, also »sichere« Räume, wo konträre Meinung und Widerspruch ausgeschlossen ist, wo auch die letzte gedankliche Trennung aufgehoben ist: die Trennung zwischen wahr und falsch. Wahr ist der politischen Korrektheit, was sich wahr anfühlt, wie bei allen anderen Sekten auch. Wer die Trennung zwischen wahr und falsch, zwischen Fakt und Fiktion aufhebt, der will die Wahrheit töten. Du, der du auf Wahrheit und Faktensuche bestehst, du bist der Endfeind des politisch korrekten Todeskultes. Jene wollen verschwimmen lassen, was die Menschen verschieden und einzigartig macht, das wollen Todeskulte seit jeher.

Verschiedensein

Natürlich ist Verschiedensein schmerzhaft, denn das Leben ist schmerzhaft, doch geht der Schmerz weg, wenn wir die Trennung in der Sprache aufheben? (Wir denken etwa an den Terroristen Nidal Malik Hasan, dessen Umfeld sich womöglich aus politischer Korrektheit nicht traute, seine Kontakte zu Extremisten zu thematisieren – ja keine Trennlinien ziehen! – 13 Tote und über 30 Verletzte.)

Gerade die Unterschiede sind es, die unser Leben ausmachen! – Wollen die Kämpfer des politisch korrekten Todeskultes Kafkas Brief an den Vater umschreiben in Brief an ein Elternteil, das Vaterunser zum Elternteilunser mutieren? Soll Romeo und Julia verboten werden, weil es »binäre Stereotypen« bestärkt, und damit Trennung?

Was dem einen Inspiration und Motivation ist, das ist dem anderen Frustration – und das ist gut so! Unsere Unterschiede und Trennungen sind Teil des Lebens. Das Getrennte in eine harmonische Ordnung zu bringen, das ist unsere dauernde Herausforderung. Wer wichtige Trennungen mit politischer und/oder psychischer Gewalt aus der Sprache bannen will, ist wie einer, der die Unordnung in seinem Zimmer nicht mehr ertragen kann, und sich also die Augen aussticht.

Das Lebendige

Politische Korrektheit ist ein ganz besonderer Todeskult; man will die Sprache trennungsfrei machen, und raubt ihr so das Leben.

Die Welt wird von unseren Handlungen wie auch von unseren Versäumnissen geformt, unsere Handlungen aber folgen unseren Gedanken, unsere Gedanken werden von unserer Sprache geformt; und so folgt auf den Tod der Sprache auch der echte Tod echter Menschen. Fettleibigkeit geht statistisch mit Herzinfarkten, Krebs und anderen Krankheiten einher (siehe z.B. who.int, 16.2.2019) – die sprachliche Aufhebung von krank und gesund, von fett und schlank führt zu echtem und doch vermeidbarem Leid. – Wenn es Ideologien gäbe, die man häufiger im Kontext von Terror fände als andere, würde das Verbot, zwischen mehr und weniger gefährlichen Ideologien zu trennen nicht recht direkt zur Gefährdung von Menschen führen? Wenn eine Familienform die Kinder statistisch glücklicher machen würde als eine andere, wäre die Aufhebung sprachlicher Trennung zwischen solchen Familien nicht direkt oder indirekt für das Leid – oder mangelnde Glück – von Kindern verantwortlich?

Politische Korrektheit will Trennung aufheben und uniformieren, wo die Trennung und Unterschiedlichkeit das Lebendige und den Reiz ausmacht. Politische Korrektheit samt ihren Mutationen wie »gendergerechte Sprache« ist ein pseudo-sanfter Todeskult, der unsere Welt ärmer macht – und indirekt oft zu echtem Leid und dann auch Tod führt. Mit Kultanhängern zu debattieren ist selten erfolgreich: auf der einen Seite leugnen sie Trennungen, welche Natur und Evolution eingerichtet haben, auf der anderen Seite behaupten sie täglich neue Trennungen, so beliebig wie unhinterfragbar – man denke nur an Ideologie, die gleichzeitig gegen die binäre Aufteilung der Menschheit in Männlein und Weiblein kämpfen, und für eine gesetzlich festgelegte Quote anhand binärer Geschlechtslinien – dem Kult, auch dem Todeskult, geht es zuerst um Macht, und seine Macht ist ihm nicht nur ein ethischer Wert an sich, sondern unter den Werten einer der höchsten.

Ob Kultisten die Grenzen allerwichtigster Begriffe wie Vater und Mutter direkt aufheben wollen, oder ob sie die Begriffe ganz aufsprengen wollen, in dem sie Dutzende von Bullshit-Begriffen und Phantasie-Unterteilungen erfinden und dann durchzusetzen versuchen: sie sind Kultisten, mit eigener Sprache, eigener Realität, und die Folgen sind immer wieder dieselben.

Thanatos überwinden

Ein Mythos erzählt, dass es einst Sisyphus gelang, Thanatos zu überwinden, indem er den Gott des sanften Todes betrunken machte und dann fesselte. Eine schöne Vorstellung, zweifellos, doch in Folge starb für eine Zeit kein Mensch auf der Erde. Der Kriegsgott Ares fand es suboptimal, dass Soldaten nicht mehr auf den Schlachtfeldern dahinschieden, was das ganze Konzept des Krieges auf den Kopf stellte, also nahm sich Ares der Sache an.

Es war nur vorübergehend, diese Zeit, dass keine Menschen starben, aber für diese Zeit zusammen herrschte Leben. Zumindest für diese Zeit dürfen wir uns tatsächlich Sisyphus als einen glücklichen Menschen vorstellen.

Einst habe ich noch mit jenen zu diskutieren versucht, die erst in Sprache und dann mit Gewalt alles und alle gleichmachen wollen, die alle Trennungen aufheben und das Lebendige aus dem Leben verbannen wollen – ich versuche es nicht mehr.

Wer den Tod liebt und nicht das Leben, wer sich der schwierigen Ordnungsarbeit nicht stellen will, wer sich in geistigen Gummizellen einschließt, mit dem ist für den Denkenden denklogisch keine Einigung zu erzielen. Der Kult will Gleichschaltung, auch wenn er es Diversity nennt; die Dinge mit ihrem Gegenteil zu benennen ist das Grundprogramm des orwellschen Neusprechs.

»Hütet euch vor Leuten, die den Planeten ordnen wollen«, schrieb ich. Es ging nie gut aus, nie. Man kann es erweitern: Hütet euch vor Leuten, welche die Grenzen eurer Begriffe verschieben und darin ausradieren wollen!

Ich kann und sollte nicht mit Kultisten diskutieren, die das Leben samt seiner Unterschiedlichkeiten hassen – nein, ich will das Leben feiern! Deren Angebot ist Aufhebung der Trennung, gewaltsame Gleichheit und immer wieder Tod, unser Angebot ist sicherlich die anstrengende Arbeit, das Getrennte und Unterschiedliche zu ordnen, Grenzen zu ziehen und Beziehungen immer wieder neu zu verhandeln. Leben und Lebendigkeit stehen gegen den Tod in der Sprache und die Gefahr im Alltag – ich will, immer und immer wieder, das Leben wählen, auch und beginnend mit der Sprache!

Weiterschreiben, Wegner!

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