Dushan-Wegner

29.05.2022

»Aber meine Kindheit!«

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten, Foto von Asa Rodger
Unsere Kindheit ist »schuld« daran, wie wir sind – oder? (Einige Antworten von @dushanwegner-Followern zur Frage, wie ihre Kindheit sie prägt. Es ist angenehm überraschend!)
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Ergänzen Sie doch bitte diesen Satz: »Meine Kindheit ist dran schuld, dass ich bin, wie ich bin, weil ________.«

Letztens fragte ich meine lieben Twitter-Follower genau dies (@dushanwegner, 30.4.2022), und einige der Antworten lassen mich schmunzeln!

68-er

Anjy Lobelia Römelt ergänzt etwa so: [Meine Kindheit ist dran schuld, dass ich bin, wie ich bin, weil] »… meine Eltern 68er waren.« (@RoemeltA, 1.5.2022)

Ich weiß nicht, ob es positiv oder problematisch gemeint ist. Womöglich beides. Ich selbst verbinde ja mit dem Mythos »68-er« zwei augenscheinlich widersprüchliche Eigenschaften. Da wäre etwa das Hinterfragen verknöcherter Strukturen und eine neue Hinwendung zur Emotion – zumindest theoretisch. Praktisch ging die Hinwendung zur Emotion allerdings mit maximalem Populismus und übersteigerter Lust an der Macht einher – bei vollständiger Abwesenheit von Gewissensbissen bezüglich der realen Folgen derart »emotionaler« Politik.

»Das Private ist politisch« sagten die 68-er. Doch realiter ist das Privatleben oft genug Chaos, und die Politik dann eben auch.

Nun, ich hoffe, dass Frau Römelt meint, dass sie sich noch immer wie ein Hippie-Blumenkind fühlt. Etwas mehr »Blumen im Herzen«, ganz im Hippie-Stil, wäre gerade in diesen Zeiten zu wünschen.

Keine Social Media, aber Grenzen

»Froggie« führt den Satz so aus: [Meine Kindheit ist dran schuld, dass ich bin, wie ich bin, weil] »… ich nicht durch den Fernseher, Social Media oder völlig indoktrinierende Lehrer/Professoren erzogen wurde, sondern durch liebevolle Eltern, die mir Grenzen gesetzt, aber immer meinen eigenen Kopf und meine eigenen Gedanken gelassen haben.« (@bvb_krzroyal, 30.4.2022)

Ich freue mich, dass viele Antworten auf meine Ergänzungs-Frage positiv ausfielen. Viele von Ihnen scheinen nicht nur zufrieden damit zu sein, wer und was sie sind, und Sie sind oft dankbar für gewisse Grenzen und vermeintliche Entsagungen. Es ist längst wissenschaftlich belegt, dass Soziale Medien ins Gehirn eingreifen (siehe etwa neurogrow.com, 21.9.2020 und viele andere).

Wir ahnen heute leider, wie einige Vertreter künftiger Generationen »drauf sein werden«, wenn wir Politiker wie die jüngste Bundestagsabgeordnete Emilia Fester und ihre Äußerungen anschauen. Man plappert die üblichen links-autoritären Propaganda-Stanzen des Tages nach, und gleichzeitig macht man sich in lustig-dekandeten Tanz-Einlagen über Demokratie lustig, vulgär seinen elitären Status feiernd (@emiliafester, 27.5.2022; Song-Text: »Handshakes in the Hamptons, getting drunk in the mansions«). Es ist kaum anders zu erklären, als dass das Aufwachsen mit Social Media einige Gehirne oder zumindest die Denkweise grundlegend verändert. Einen »eigenen Kopf« und »eigene Gedanken« sehe ich in solchen Fällen wenig.

Ellenbogen und Knie

Quentin Quencher ergänzt so: [Meine Kindheit ist dran schuld, dass ich bin, wie ich bin, weil] »… es fast keine Tage gab, an dem ich nicht ein Pflaster wegen irgendwelcher Verletzungen trug (Ellenbogen und Knie, vor allem). Und meine Mutter keine große Sache daraus machte.« (@QQuencher, 30.4.2022)

Wenn meine Kinder heute so viele Spiel-Wunden und Verletzungen hätten, wie es für uns früher ganz normal war, würde ich von den Nachbarn schräg angeguckt und von den Lehrern zum klärenden Gespräch vorgeladen werden. Ich erfreute mich alle paar Monate an einer verstauchten Hand, ebenso aufgekratzte Knie wie Quentin Quencher. Diverse Narben vom Spielen, teils im Gesicht.

Ich sehe mich nicht als »Helikopter-Vater«, doch ja, es liegt ein gewisser Widerspruch darin: Ich bin überzeugt, dass die »Spielschäden« meiner eigenen Kindheit mich stärker gemacht haben – und doch würde ich nicht zulassen, dass meine Kinder durch vergleichbare Verletzungen »stärker« werden. Die Welt ist auch so riskant genug.

Wissen, Empathie, die Liebe zur Natur

Und schließlich ergänzt »SeeSharper« den Satz so: [Meine Kindheit ist dran schuld, dass ich bin, wie ich bin, weil] »meine Oma mir alles Erdenkliche beigebracht hat. Wissen, Empathie und die Liebe zur Natur und zu Tieren.« (@SeeSharper09, 30.4.2022)

Nicht nur wurden SeeSharper wichtige Fähigkeiten beigebracht. »Wissen, Empathie und die Liebe zur Natur und zu Tieren« sind heute selten, und besonders jene, welche sich am lautesten darauf berufen, sind in diesen Dingen besonders kaltherzig.

SeeSharper ist auch noch dankbar, und das ist besonders schön. Dankbarkeit ist eine wichtige und unterschätzte Fähigkeit, ohne die niemand glücklich wird – die allein aber schon genügen kann, um sich glücklich nennen zu dürfen!

Viele weiter

Unterm Original-Tweet finden Sie noch eine Zahl weiterer Antworten. Ich zittere ein wenig vorm Urteil, dass künftige Generationen im Nachhinein über uns wirklich urteilen werden, über die Kindheit, die ihnen heute geboten wird. Es stimmt mich zugleich froh, wie viele von uns dankbar sind, dass sie so wurden, wie sie sind, und nicht anders.

»Meine Kindheit ist dran schuld, dass ich bin, wie ich bin, weil _____«, so provozierte ich. – Ich weiß nicht genau, was für Antworten ich erwartete, doch Sie überraschten mich mit Ihren positiven, offen dankbaren Meldungen!

Ich habe noch viel an mir zu arbeiten, Kindheit hin oder her. Doch unser aller Ziel sollte bleiben, dass wir irgendwann wie @Jens_Streubel, 30.4.2022 sagen können: »Ich bin mit mir zufrieden, so wie ich bin.«

Weiterschreiben, Wegner!

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