24.03.2025

Geschockt? Nee, gefrostet.

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten
Auf Festen in Bayern, da geht es hoch her. Da wird geschossen und gemessert. Da wird gefeiert, bis der Leichenwagen kommt. Einmal in diesem Kulturkreis, einmal in jenem. Es sind Meldungen vom Wochenende im besten Deutschland aller Zeiten.

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Ich erinnere mich, als ich vor Jahrzehnten in Kroatien mit dem Auto auf einer KĂĽstenstraĂźe unterwegs war. Es war ein sonniger, sommerlicher Sonntag, und auf meiner Stirn perlte eiskalter AngstschweiĂź.

Auf der einen Seite der schmalen StraĂźe ragten steil die Klippen hoch. Auf der anderen Seite dieser StraĂźe ging es genauso steil hinunter in die Tiefe.

Meine Finger krallten sich ums Lenkrad, viel zu fest.

Im Radio lief lokale kroatische Rockmusik. Wir schwiegen.

Ein Song endete. Die Sprecherin las routiniert etwas vor, aktuelle Meldungen. Meine Begleitung ĂĽbersetzte es mir.

Die Durchsage gab an, wie viele Autos am Vortag auf ebendieser StraĂźe die Klippen hinuntergestĂĽrzt waren, mit insgesamt wie vielen Menschen an Bord. Ein ĂĽblicher Samstag an einem ĂĽblichen Sommerwochenende an jener kroatischen KĂĽstenstraĂźe.

Es ist nun März 2025, und hinter uns liegt ein ganz normales Wochenende in Deutschland.

Ein normales Märzwochende bedeutet, dass wir Schlagzeilen lesen wie »SchĂĽsse und Messerattacke – Zwei Tote auf Festen in Bayern« (focus.de, 24.3.2025)

Warum schockiert es uns so wenig?

Bei der hier von mir zitierten Meldung werden sogar zwei Meldungen von zwei Toten auf zwei unterschiedlichen Feiern zu einer Nachricht zusammengefasst.

Warum ist der Deutsche so wenig erschrocken?

Es passiert nebenan, so sagt sich der brave Deutsche, doch es passiert nicht bei uns. Es passiert in unserer Stadt, aber zumindest in diesen Fällen nicht im unserem Kulturkreis.

Wir lesen den Kontext des einen Falls:

> Bei der Feier in einer Eventlocation in einem abgelegenen Industriegebiet waren mehrere hundert Gäste, unter anderem aus dem rumänischen Kulturkreis. (focus.de, 24.3.2025)

Und wir lesen vom anderen Fall:

> Am Sonntag war ein 39 Jahre alter Mann bei der großen Feier, einem kurdischen Kulturfest, unter freiem Himmel getötet worden. Nach bisherigen Erkenntnissen waren zuvor zwei Männer in Streit geraten. Dabei habe der eine plötzlich eine Waffe gezückt und sein Gegenüber tödlich verletzt, teilte die Polizei mit. Der 43 Jahre alte Verdächtige, ein Syrer, wurde festgenommen. (focus.de, 24.3.2025)

Auch das ist nicht mein Kulturkreis, so denkt sich der brave Deutsche. Sollen die »Ausländer« sich doch untereinander töten, so denkt und fühlt er. Aber natürlich sagt er es nicht laut. Der brave Deutsche hat gelernt, nicht darüber zu sprechen. So sind sie eben, die neuen Wochenenden im neuen, moralischen Deutschland.

Jene Küstenstraße in Kroatien, so höre ich, wurde seitdem besser gesichert. Es wurden Umgehungsstraßen ausgebaut und so die gefährlichen Streckenabschnitte entlastet. Die EU hat Kroatien beim Ausbau seiner Verkehrsinfrastruktur unterstützt (siehe zum Beispiel eib.org, 20.07.2005; (eib.org, 6.2.2023)) – und das ist gut so.

Es gibt einen Unterschied zwischen Küstenstraßen in Kroatien und Männern aus robusteren Kulturen in Deutschland. Im einen Fall trägt die EU zu weniger Toten bei, im anderen forciert sie aktiv ein Mehr an Gewalt. Dank EU und NGOs wird in Deutschland mehr gestorben, mehr gestoßen und mehr gemessert.

Ein weiterer und vermutlich schicksalsentscheidender Unterschied zwischen jener Durchsage und den neuen Meldungen vom Wochenende ist die Reaktion des Publikums.

Meine Reaktion auf die Durchsagen an der steilen Klippe bestand darin, noch vorsichtiger zu sein als ohnehin. »Es ist gefährlich, doch wenn du aufpasst, kannst und wirst du überleben«, so wollte die Durchsage mich wohl ermahnen, und so verstand ich sie auch.

Mit den Meldungen vom Wochenende im »besten Deutschland aller Zeiten« verhält es sich wohl etwas anders. Wir lesen diese Meldungen, zusammengefasst und nüchtern abgehandelt. Die Masse ist betäubt, will nicht »Nazi« und »rechtsextrem« genannt werden, wenn sie sich über Mord und Totschlag in ausländischen Kulturkreisen erschüttert zeigt. Vielleicht ist es diesen »Guten« auch egal, solange sich diese »Ausländer« nur untereinander töten.

Der Deutsche bleibt cool. »Cool« ist Englisch und bedeutet kalt. Cool, kalt, erkaltet, das Herz des braven Deutschen ähnelt in der Temperatur der Körpertemperatur der Leichen nach einem normalen Wochenende.

Damals auf der KĂĽstenstraĂźe war mein AngstschweiĂź reichlich kalt. Heute bin ich nicht kalt, heute bin ich noch immer wĂĽtend. Das unterscheidet dich und mich von den Leichen des Wochenendes und den Seelen jener braven Deutschen, die das alles hinnehmen.

Wir leben noch. Solange wir nicht die groĂźe Klippe der Weltgeschichte hinunterstĂĽrzen, leben wir noch.

Weiterschreiben, Wegner!

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