Dushan-Wegner

01.09.2022

Ist dies schon Utopia?

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten, Foto von Ian Kuik
Harte Zeiten schaffen starke Männer, die schaffen gute Zeiten, die schaffen schwache Männer, und die schaffen harte Zeiten. – Denkbar »schwache« Politikkasperl haben uns nun harte Zeiten beschert. Wird es jemals gelingen, diesem Kreislauf zu entkommen?
Telegram
Facebook
𝕏 (Twitter)
WhatsApp

Benzin wird teurer. Strom wird teurer. Und der gesunde Menschenverstand gilt bereits als unbezahlbar. Wer noch über einen Vorrat verfügt, der leugnet diesen lieber. Zur Sicherheit.

Ich denke sehnsüchtig zurück, an die alten Visionen der Zukunft. Unsere Vorfahren schrieben in enthusiastischen Worten über so utopisch ferne Jahre wie Jahr 2010 oder sogar 2020.

Überall sollten fliegende Autos sein. Glitzernde Glaspaläste und grüne Gärten. Ein friedliches Miteinander.

Wir Menschen würden wirklich aufrecht gehen. Geradeaus würden wir blicken stolz geradeaus und nach vorn. Nein, keinem wäre eingefallen, dass wir gebückt und in Sklavenhaltung auf einen kleinen Bildschirm starren würden.

In jenen alten Visionen der Zukunft liegt ein gleichmütiger Blick auf gesunden Gesichtern.

Unprätentiös ästhetische und zugleich natürlich minimalistische Kleidung zeichnet pastellfarbene Umrisse vor die Kulisse silberner Maschinen, grüner Parks und des satten Blaus eines ewig unschuldigen Horizonts.

Früher, Freunde, früher war die Zukunft besser!

Doch, es hat nicht funktioniert, die gedachte Zukunft zur realen Gegenwart werden zu lassen.

Woran lag es? Woran liegt es weiterhin?

Ich habe da einen Verdacht.

Ich zitierte in früheren Jahren diese alte Weisheit (»Naturschützer und Zitronenfalter«), und ich bezog mich später darauf (»Niemand sah die ›Harten Zeiten‹ kommen«), und inzwischen scheint mir, dass jene Weisheit nicht nur eine weitere kluge Beobachtung ist, sondern die Diagnose unserer wahren, kollektiven Krankheit zum Tode.

Jene alte und wohl auch ewige Weisheit beschreibt einen tragischen Kreislauf, und dieser Kreislauf lautet: Harte Zeiten schaffen starke Männer. Starke Männer schaffen gute Zeiten. Gute Zeiten schaffen schwache Männer. Schwache Männer schaffen harte Zeiten.

Deutschland zehrt bis heute von den Leistungen der Generation, die Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg neu aufbaute.

Harte Zeiten haben starke Menschen geschaffen – so sie denn überlebt hatten. Die Stärke der Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg war eine doppelte: Zunächst die Stärke des Willens, neu zu beginnen, und dazu die Stärke des Denkens in klugen Prioritäten.

Die Wiederaufbau-Generation brachte die mentale Kraft auf, ihre relevanten Strukturen zu bestimmen, und sich dann auf deren Aufbau und Stärkung zu fokussieren.

Man schuf gute Zeiten, doch die guten Zeiten schufen eben moralisch schwache Menschen, die 68er et cetera. Diese schwachen Menschen besetzten die Schulen und Redaktionen, von wo aus sie weitere schwache Generationen schaffen. Und nun lassen diese schwachen Menschen zu, ganz wie die alte Prophezeiung besagt, dass aufs Neue harte Zeiten entstehen.

Wo sind nun unsere fliegenden Autos?

Wo blieben unsere prächtigen Zukunftsvisionen, unsere vollkommenen Gärten, unsere Städte aus Glas und Hoffnung?

Ich sage: Es wird erst dann besser werden, wenn es uns gelingt, die Leistungen vorheriger, klügerer Generationen nicht zu verjubeln, sondern sie neu zu investieren, um klüger zu werden.

Solange es die Folge von Wohlstand ist, dass Menschen dumm, faul und dekadent werden, bis der Wohlstand wieder verjubelt ist, solange werden die Utopien eben das bleiben. (Eine Utopie ist ein »Nicht-Land«, also ein Land, das außer in Gedanken eben nicht existiert, dort aber umso verheißungsvoller schimmert.)

Benzin wird teurer. Strom wird teurer. Die Bonzen, die sich Demokraten nennen, mögen in teuren Limousinen an schmucken Schlössern vorfahren. Leibwächtern schirmen sie von uns ab, während sie auf unsere Kosten feinsten Fraß fressen (bild.de, 30.8.2022).

Für Sie und mich wird derweil das Leben teurer. (Das Frühstücksmüsli meines Sohnes wurde letzte Woche mal eben um ein Drittel teurer – wenn ich die Presse richtig verstehe, ist Putin dran schuld.)

Der gesunde Menschenverstand aber, der ist derart kostbar geworden, dass die Leute ihn zur Sicherheit gleich ganz wegschließen. (Oder sie sind Essayisten und verkaufen den Verstand in handlichen Portionen, klar.)

Man fühlt sich heute wie ein hilfloser Arzt, der dem Patienten präzise erklärt, was das Problem ist und was getan werden müsste – doch der Patient vermag nicht den notwendigen Willen aufzubringen.

Wir werden uns im besten Fall immer weiter durchwurschteln, Jahrzehnt um Jahrzehnt, Jahrhundert um Jahrhundert. Wir werden die Reichen reicher werden lassen, und als kleinen Leute werden wir abhängiger und unglücklicher werden – solange wir nicht lernen, auch in guten Zeiten klug zu sein!

Die Gegenwart gehört den Menschen, die auch in harten Zeiten den Kopf oben halten und weiterkämpfen.

Die Zukunft gehört denen, die sich erst die guten Zeiten erarbeiten, die sich dann jedoch nicht zurücklehnen und faul werden, sondern weiter an ihrem Lebensprojekt arbeiten.

Oder, als Rat und Auftrag formuliert: Entkomme dem Kreislauf aus Wohlstand und Niedergang! Sei klug und arbeite, bis es dir gut geht. Und wenn es dir gut geht, sei klug und arbeite weiter, gerade weil es dir gut geht – damit es dir weiterhin und für lange Zeit gut geht!

Weiterschreiben, Wegner!

Danke fürs Lesen! Bitte bedenken Sie: Diese Arbeit (inzwischen 2,030 Essays) ist nur mit Ihrer Unterstützung möglich.

Wählen Sie bitte selbst:

Jahresbeitrag(entspr. 1€ pro Woche) 52€

Augen zu … und auf!

Auf /liste/ finden Sie alle Essays, oder lesen Sie einen zufälligen Essay:

Mit Freunden teilen

Telegram
Reddit
Facebook
WhatsApp
𝕏 (Twitter)
E-Mail

Wegner als Buch

alle Bücher /buecher/ →

Ist dies schon Utopia?

Darf ich Ihnen mailen, wenn es einen neuen Text hier gibt?
(Via Mailchimp, gratis und jederzeit mit 1 Klick abbestellbar – probieren Sie es einfach aus!)