04.04.2025

Die Autos waren früher bunter

von Dushan Wegner, Lesezeit 3 Minuten, Bild: »Alles so schön bunt, damals«
80er, 90er, erinnert ihr euch? Autos waren bunt. Menschen feierten auf der Straße. Von LKWs erklang Techno, die Menge tanzte dazu. Heute unvorstellbar. Heute würde man fürchten, dass ein LKW in die Menge fährt. Wo und warum sind wir falsch abgebogen?
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Freitag, der 4. April 2025. Wenn ich das Datum ausschreibe, wird mir bewusst: Wir sind etwa ein Vierteljahrhundert drin, im neuen Jahrtausend. (Nein, keine »Wann fing das Millennium an«-Debatten, bitte – keine Zeit dafür.)

Ein Vierteljahrhundert! Ich habe noch immer 1993 nicht verarbeitet. Das war das Jahr, als ich mich durchs Abitur stolperte. Und jetzt haben wir 2025!

In den sozialen Medien werden, seit Jahren und zuletzt immer sehnsüchtiger, »die 80er-« und »die 90er-Jahre« zu einer Art idealer Zeit des Westens verklärt. Die Autos waren bunter. Die Jugend tanzte auf den Straßen, nannte es eine Liebesparade. Heute unvorstellbar! Früher erklang von LKWs laute Technomusik und die Menge tanzte dazu. Heute unvorstellbar! Heute würde man fürchten, dass ein LKW in die Menge fährt. Es wäre ein Schlachtfest, da hälfe auch alles Merkellego wenig.

Was für eine Ironie, dass die Menschen online einer Zeit nachtrauern, in welcher es ebendieses Online noch nicht gab. Früher abonnierte man eine Tageszeitung. Die Zeitung las man oder auch nicht. Dann legte man sie weg. Heute lesen wir die Nachrichten aus aller Welt nicht, heute sind wir an den Horror der Welt angeschlossen. Wir sind online.

Der kalte Krieg endete, und der Krieg gegen unsere Seelen begann. Die Abgründe des Menschseins, das Gift namens »Meinung«, wird intravenös in die Seele getropft. Vom ersten bis zum letzten Atemzug des Tages – und bald: des Menschen. Früher verloren wir Familienmitglieder an den Krieg, heute an Polit-YouTube.

Heute treten Politiker nicht mehr zurück. Und es geht bergab mit der Welt, es wird nicht besser werden. Der Grund für beides ist derselbe: Politiker empfinden keine Scham mehr – eine weitere menschliche Eigenschaft, die sie abgelegt haben. Denken, Fühlen und Streben auf Macht reduziert. Es war eine Frage politischer Evolution: Früher oder später werden sich jene durchsetzen, die keine Motivation außer der Macht haben. Die Masse aber ist derweil abgelenkt von ihren kleinen und großen Bildschirmen. Junkies auf dem ewigen Dopamin-Karussell. Aufgeputscht von Meinungen, Angst und Propaganda und vor allem von dem ständigen Bemühen, sich nicht die selbstverschuldete Sinnlosigkeit ihres Alltags einzugestehen.

Ach, ein wenig Politiker sind wir doch alle inzwischen. Wir sind Kinder unserer Zeit. Wir kaufen unsere Autos in Grau/Silber (33 Prozent), Schwarz (26,6 Prozent) oder Weiß (19,9 Prozent; Angaben von adac.de), weil eine Nichtfarbe den Wiederverkaufswert sichert. Die Nichtfarbe ist effizient für den Autokäufer, die Schamlosigkeit ist effizient für den Politiker.

»Sei die Veränderung, die du in der Welt sehen willst«, so habe ich mich lehren lassen.

Welche Art von Veränderung will ich in der Welt denn sehen? Und was muss ich dafür tun, wenn lesen und schreiben nicht genügen?

Ich habe also Flüge und ein Hotel gebucht, für den Sohn und mich. Aus dem Vatikan hat man uns die Termine bestätigt. Mir und Tausenden anderen – so wichtig bin ich nun auch wieder nicht. Vielleicht sehen wir dort auch schöne italienische Autos, in Rot und anderen Farben.

Was auch immer hiernach kommen soll, es kann nur mit einer Rückbesinnung beginnen. Sich der eigenen Wurzeln bewusst werden. Das Fundament freilegen und ausbessern, ob dieses Fundament vor zwanzig, zweihundert oder zweitausend Jahren gelegt wurde.

Wenn sich jemand verfahren hat und feststellt, dass seine Fahrt in den Abgrund führt, dann sollte er an- und innehalten und sich eingestehen, dass der Fall ist, was der Fall ist.

Was aber tun, wohin aufbrechen, wenn von hier und heute aus keine gute Richtung erkennbar ist?

Dann bleibt vielleicht nur dies: Kehre zurück an den Punkt, an dem Hoffnung und Möglichkeiten zuletzt greifbar waren. Und wenn dieser Punkt nicht mehr existiert, dann zu einem Punkt davor, der noch existiert – vielleicht, weil er ewig ist.

Weiterschreiben, Wegner!

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