Dushan-Wegner

06.09.2019

Würden Sie Vermögensratschläge vom Bankrotteur annehmen?

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Bild von Skull Kat
Soll Deutschland die Chinesen über Moral belehren? – Deutschland ramponiert sich selbst und raubt den eigenen Kindern die Zukunft – was kann unmoralischer sein? Wer mit nacktem Hintern herumläuft, der sollte keine Modetipps geben.
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Wir alle kennen diese Leute. Der lebenslange Bankrotteur, dem einfach kein Geschäft gelingen will, und der doch nicht müde wird (oder sich von Peinlichkeit bremsen lässt), seinen Mitmenschen ungefragt Ratschläge in finanziellen Angelegenheiten aufzudrücken. Wir kennen kinderlose Akademiker aus Laberfächern, die Eltern erklären wollen, wie sie ihre Kinder zu erziehen haben. Und Sozialisten, die zur ehrlichen Arbeit ein Verhältnis haben wie, na ja, wie Sozialisten zur Arbeit eben, also ein maximal distanziertes.

Zu unfähig, selbst ein Unternehmen aufzuziehen? Werde Sozialist und moralisiere ob des Unternehmertums anderer! Zu selbstverliebt, um Kinder großzuziehen? Gib Eltern oder gleich ganzen Nationen großmoralische Ratschläge, wie sie ihre Kinder aufzuziehen haben! Zu dumm und faul, eine einfache Arbeit aufzunehmen oder ein Studium abzuschließen? Werde Gutmensch und gib dich unentwegt empört!

»Wer keine Ahnung hat«, so der Leitspruch der Ambitionierten unter den Ahnungslosen, »der kann noch immer andere belehren, und wer selbst für die Theorie zu dumm ist, dem bleibt noch immer das Moralisieren.«

Keinem einzigen Punkt

Die amtierende Bundeskanzlerin Deutschlands, Frau M., befindet sich derzeit auf China-Reise.

Es ist ein politischer Besuch. Beim Abspielen der deutschen Nationalhymne sitzen sowohl Chinas Präsident Xi Jinping wie auch Frau M., beim Abspielen von Chinas Nationalhymne steht XI Jinping auf. Sicher, es ist wohl gesundheitlich begründet und man sollte niemandem seine Krankheit zum Vorwurf machen, doch die bildliche Symbolkraft entwickelt es dennoch, ob es darf oder nicht, und man ist ja schon froh, wenn M. nicht wieder sichtlich angeekelt die deutsche Flagge fortwirft.

Auf dem Papier sind alle Bürger in Deutschland gleich, aber wie es »gute« Gewohnheit ist, hat Frau M. eine Reihe von Unternehmenschefs dabei, und es handelt sich nicht um den Bäcker um die Ecke, aber dafür um Leute wie Herrn Josef Kaeser (er nennt sich »Joe«), der als deutscher Trump-Hasser bekannt ist (wofür ihn natürlich US-Trump-Hasser feiern, siehe etwa cnn.com, cnbc.com oder natürlich washingtonpost.com), und außerdem ist er wohl auch bei Siemens irgendwie wichtig, doch ich würde keine Calls darauf kaufen, dass das demokratische Gewissen des Herrn aktuell aus dem CEO-typischen China-Koma erwacht; SZ-Korrespondent Kai Strittmatter sagte über Kaeser, dass er schon mal »wie der Leitartikler der Pekinger »Volkszeitung«« klingt (Interview bei buchszene.de), und er schrieb:

Wer auf Geschäfte hofft, muss Peking nach dem Mund reden. In der deutschen Unternehmerschaft macht das im Moment kaum einer so eifrig wie Siemens-Chef Joe Kaeser, der zur Freude der Pekinger Propaganda verkündete, die „neue WTO“, das sei Chinas globales geostrategisches One-Belt-One-Road-Projekt, auch bekannt als „Neue Seidenstraße“. (sueddeutsche.de, 9.7.2018)

Man könnte fast meinen, Trump-Hasser und moralisierende CEOs seien von Gutmenschen und anderen Heuchlern fast gar nicht zu unterscheiden. Moralische Ultraflexibilität bei Leuten, die mit Frau M. umherreisen, wer hätte das gedacht?

Frau M. und ihr Trupp von Gleichen-unter-Gleichen reisen derzeit also in China herum, und es geht um Geld, nicht wirklich um Hymnen. Es geht bei den Erfolgreichen immer um Geld, sonst wären sie nicht erfolgreich, und besonders da, wo es angeblich nicht um Geld gehen soll, da geht es erst recht ums Geld, bei diesem China-Besuch jedoch, da geht es ganz offiziell um Geld – und höchstens im Begleittheater für deutsche Journalisten wird es moralisch, so viel wie gerade nötig, so wenig wie irgend möglich.

1841, beim ersten der Opiumkriege, wurde Hongkong vom Vereinigten Königreich besetzt und zur britischen Kronkolonie erklärt. 1997 wurde es an China zurückgegeben – übrigens ohne dass die Einwohner darüber hätten abstimmen können. Über 90 Prozent der Bewohner Hongkongs sind Chinesen. Ich erinnere mich noch verschwommen an Zusagen Chinas, Hongkongs Status als Sonderverwaltungszone mit gewisser Autonomie zu würdigen – Stichwort »Ein Land, zwei Systeme« (siehe Wikipedia).

Wir lesen heute, Anfang September 2019, von Protesten in Hongkong, die seit Juni 2019 laufen. Manche vergleichen die Proteste mit den Protesten von 1989 in Peking. Der Auslöser dieser Proteste war wohl das geplante  »Gesetz über flüchtige Straftäter und Rechtshilfe in Strafsachen«. Die Protestierenden befürchten, dass dieses Gesetz die rechtliche Autonomie Hongkongs aushöhlen würde. Bürger Hongkongs, aber auch Reisende, könnten zu Gerichtsverfahren von Hongkong aufs Festland gebracht werden, wo ihre Sache dann vor chinesischen Gerichten verhandelt würde.

Ende August wurde berichtet, dass die Polizei mit Wasserwerfen und Tränengas gegen die Demonstranten vorging (siehe etwa bild.de, 31.8.2019). Dem Wasser soll gelegentlich blaue Farbe beigemischt worden sein (siehe etwa qz.com, 31.8.2019), um Demonstranten später ausfindig zu machen. Offiziell wurde das Gesetzesvorhaben inzwischen zurückgenommen (bild.de, 4.9.2019), doch nicht alle sind sicher, ob man sich darauf verlassen kann.

Deutschlands moralischste Zeitung, die BILD, schien gewissen öffentlichen Druck auf Merkel auszuüben, sich auf die Seite der Hongkong-Demonstranten zu stellen und Entsprechendes von der Kanzlerin zu fordern: »Merkel überhört Hilferuf aus Hongkong« (bild.de, 4.9.2019), »Bosse auf China-Reise mit der Kanzlerin – Ist unseren Firmen Hongkongs Freiheit egal?« (bild.de, 6.9.2019).

Zunächst schien es ja, als wollten sich M. und ihr Tross am liebsten gar nicht zum Thema Hongkong äußern, mittlerweile gibt es ein paar unverbindliche Allgemeinheiten. – Ihr Sprecher twittert: »Kanzlerin #Merkel in #Peking nach dem Gespräch mit Ministerpräsident Li Keqiang: Die Rechte und Freiheiten der Bürger #Hongkong|s müssen gewährleistet werden. Lösungen können nur im Dialog gefunden werden; alles daran setzen, Gewalt zu vermeiden.« (@regsprecher, 6.9.2019) – Keinem einzigen Punkt davon wird Chinas Führung widersprechen müssen, sie wird nur ganz eigen definieren, was Hongkongs »Rechte und Freiheiten« sind, und natürlich hat sie »alles getan« – oder sie wird sich einfach nicht drum kümmern.

Höflichkeit kostet nicht so viel

Wer moralische Ratschläge erteilt, der sollte darauf achten, sich dabei nicht lächerlich zu machen. Welche Autorität hat Deutschland denn in China?

In Deutschland fällt immer häufiger das böse Wort »Rezession« (siehe etwa handelsblatt.com, 1.9.2019, reuters.com, 26.8.2019).

Aktuell lesen wir:

Der Abschwung in der deutschen Industrie setzt sich rasant fort. Verschiedene Schlüsselbranchen melden anhaltend sinkende Aufträge.
(welt.de 5.9.2019)

Der Ausflug von Deutschlands Bossen nach China könnte als panische Betteltour gedeutet werden.

Im April leitete ich den Text »Künstliche Intelligenz und Mäusespeck« mit den Worten ein:

China plant, bis 2030 der Weltmarktführer bei künstlicher Intelligenz zu sein – Deutschland arbeitet derweil an seiner ökologisch-korrekten De-Industrialisierung – nun ja, immerhin bei der Meinungsfreiheit werden sich die beiden Länder ähnlicher.

Wäre ich Zyniker, würde ich mich dahingehend korrigieren, dass das mit der Meinungsfreiheit so nicht unbedingt stimmt, denn in China dürfen etwa Religionen offener kritisiert werden als in Deutschland.

Jedes Land hat seine eigenen Themen, mit denen sich Politik und Wirtschaft beschäftigen – China arbeitet an künstlicher Intelligenz, Deutschland verbietet derweil Plastiktüten (welt.de, 6.9.2019). Gerade in einem Land wie China, das in Jahrzehnten, Generationen und Jahrhunderten denkt, hat das von seiner schwindenden Substanz zehrende Deutschland wirtschaftlich derzeit nicht die stärkste Autorität.

In Deutschland werden Zensurgesetze erlassen, Sprachpolizei-Stiftungen gehätschelt und Oppositionelle bedroht, das Familienministerium finanziert orwellsche Propaganda, der Staatsfunk hetzt gegen die Opposition, und, jetzt neu, nun werden auch Enteignungen privater Wohnungen diskutiert, Strafsteuern für sogenannte »Reiche« und Sozialisierung von Unternehmen, dafür geht die Zahl der Unternehmensgründer seit Jahren zurück (siehe kfW-Gründerreport 2019). Deutsche Smartphone-Opfer sind von Geräten abhängig, die in China produziert wurden, nicht andersherum. – Ich bin guter Dinge, dass die Chinesen auf moralische Ratschläge ausgesprochen höflich reagieren werden. Höflichkeit kostet nicht so viel.

Nun mag man sagen, dass es doch um eine moralische Aufforderung geht, nicht um eine wirtschaftliche Forderung, doch ein Irrtum könnte kaum größer sein! Welche moralische Plattform hat ein Land, das die Zukunft seiner eigenen Bevölkerung verschleudert, verschenkt oder einfach verkommen lässt?

Deutschland lässt Menschen ungeprüft ins Land und riskiert wissentlich Terror und Gewalt – aus der Perspektive jeder anderen Nation ist das Verhalten Deutschland zutiefst unmoralisch. Wenn Deutschland sich in China moralisch breitbeinig aufstellen wollte – es gibt ja noch mehr Themen als das, was die BILD gerade aufs Tapet zu bringen beschließt – dann könnte China bescheiden antworten: Was ist mit den »Menschenrechten« der Toten vom Breitscheidplatz? Was ist mit all den andern Opfern, über die euer Staatsfunk sich zu berichten weigert, weil sie angeblich »nur regionale Bedeutung« haben, sprich: nichts ins Narrativ passen? Wer mit nacktem Hintern herumläuft, sollte keine Moderatschläge geben.

All deine Kraft

Würden Sie moralischen Rat von einem Familienvater annehmen, der seine Familie vernachlässigt und in Gefahr bringt?

Deutschland ist ein moralischer Bankrotteur. Wer von Frau M. und ihrem Tross moralische Ratschläge an Chinesen erwartet, der impliziert, dass Deutschland ein moralisches Standing dafür hätte.

Seid nicht wie der Bankrotteur, der ungefragt von seinen Anlagekonzepten schwärmt. Seid nicht wie der Puffgänger, der die Ehetreue preist. Seid nicht wie Deutschland, das der Welt moralische Ratschläge erteilt, aber seine Parks zu Gefahrenzonen werden lässt und seine Schulen zu Krisengebieten, währen seine Frauen abends lieber wieder daheim bleiben – zur »Sicherheit«.

Ich versuche ehrlich mein Bestes, um meine »Kreise zu ordnen«, also das Wohl meiner Familie und meiner Leser. Ich werde gelegentlich selbst nach konkreten Ratschlägen gefragt, doch ich verweigere mich (meistens). Ich kann niemandem die Arbeit abnehmen, selbst seine relevanten Strukturen herauszufinden und so zu bestimmen, was für ihn persönlich »gut« ist. Meine Antwort auf Fragen nach Ethik und dem Guten ist stets dieselbe: Erkenne deine relevanten Strukturen, bestimme deine »Kreise« – und dann gib all deine Kraft und ordne deine Kreise!

Weiterschreiben, Wegner!

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