Dushan-Wegner

10.10.2022

Charakter wählen

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten, Foto von Frank Huang
In Niedersachen wurde gewählt. Sagen wir mal so: Wenn Wahlen etwas ändern würden, würde man dafür sorgen, dass sie es nicht tun. Die eigentliche Frage ist: Was sagt deine (symbolische) Wahl über DEINEN Charakter (und Geisteszustand) aus?
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In Niedersachsen fand letzten Sonntag die Landtagswahl 2022 statt (Ergebnisse via tagesschau.de). In jenem Bundesland leben circa 8 Millionen Menschen, also etwa 9,5  % der Bevölkerung Deutschlands. Bei einer geschätzten Wahlbeteiligung von 60  % der  6,1 Millionen Wahlberechtigten können wir sagen, dass in Niedersachsen am Wochenende etwa 4,4  % der Bevölkerung Deutschlands ihre Stimme für eine politische Partei oder einen Kandidaten abgegeben haben.

Die Details des Ergebnisses mögen nicht für die gesamte Bundesrepublik sprechen, und sie werden natürlich nichts an der Politik ändern, weder im Land noch im Bund, und doch sind einige Details interessant, denn sie können uns beim ewigen Projekt der Selbsterkenntnis weiterhelfen.

Da wäre etwa die Wählerwanderung. Grüne und AfD nahmen jeweils allen – nur nicht voneinander (spiegel.de, 10.10.2022).

Die AfD wurde auf 11  % verdoppelt, die FDP rutschte unter die 5-%-Hürde, doch beides ist eher symbolisch bedeutsam und wird nichts an der Politik ändern.

Die Grünen werden wohl wieder stolz darauf sein, keinen Wähleraustausch mit der AfD zu haben, und sie werden behaupten, dass es politische Gründe habe. Außerhalb der Grünenblase könnte man andere, mehr kulturelle Gründe für die vollständige Inkompatibilität vermuten.

Geschichte zweier Kandidaten

Der Spitzenkandidat der AfD in Niedersachsen, Stefan Marzischewski, ist Facharzt für Radiologie und Allgemeinmedizin (siehe stefan-marzischewski.de, abgerufen 10.10.2022). Niemand, nicht einmal seine ärgsten politischen Feinde werden bestreiten, dass AfD-Mitglied zu sein für ihn eine Gewissenssache sein muss, denn als leitender Arzt kann er im deutschen Propagandastaat durchs Bekenntnis zur AfD nichts gewinnen und viel verlieren.

Die Spitzenkandidatin der Grünen in Niedersachsen, Julia Willie Hamburg, ist Studienabbrecherin und Vollzeitpolitikerin seit 2013 (siehe Wikipedia). Als Studienabbrecherin ist Politik – und zwar explizit bei den Grünen – für sie vermutlich der einzige Beruf, der über das Level einer ungelernten Hilfskraft hinausgeht. Es ist zu erwarten, dass die grüne Studienabbrecherin nun das hochdotierte Amt einer Ministerin antreten wird.

Die inhaltlichen Unterschiede der beiden Parteien sind schnell erzählt. Die »relevanteste Struktur« der Grünen ist das von oben diktierte »moralische Gefühl«, egal wie viel Leid und Schaden an Mensch, Land und Natur man damit anrichtet. Die AfD ähnelt in ihren relevanten Strukturen dem, was CDU und Merkel als relevante Strukturen vortäuschten, bevor sie ins Kanzleramt einzogen.

Jedoch, in einer Demokratie werden ja nicht Parteien, sondern ausdrücklich Menschen gewählt. Die Zeiten ändern sich immer wieder (angeblich auch mal zum Besseren), und so will man Menschen nach ihrem Charakter wählen, damit sie auch in komplett anderer Lage noch immer uns und unsere Werte vertreten.

Soweit die Theorie.

»Dass sie es nicht tun«

»Wenn Wahlen etwas ändern würden«, so sagt eine zynisch-ironische Redeweise, »dann wären sie verboten.«

Ich denke nicht, dass das ganz stimmt. Die Mächtigen brauchen eine psychologisch wirksame Rechtfertigung ihrer Macht, ob man wie Putin schräge Referenden hält, oder wie die EU eine EU-Wahl veranstaltet, um dann doch einen ganz anderen Chef zu bestimmen, der vor Skandalen nach Brüssel geflohen ist und seine Nachrichten etwa mit dem Pfizer-Boss löscht, aber lächerlicherweise einzelne EU-Staaten zum Thema Rechtsstaat belehrt.

Richtiger wäre also: Wenn Wahlen etwas ändern würden, dann würde man dafür sorgen, dass sie es nicht tun (etwa indem man Milliarden Euro in Propaganda investiert).

Für Deutschland in seinem gegenwärtigen Aggregatzustand bekräftigt sich täglich mehr meine Vermutung aus dem Essay »Tägliche Abstürze«: »Die Demokratie ist ein Theater, wo das Publikum über die Schauspieler abstimmt, aber nicht über das Stück.«

Ich hatte nicht erwartet, dass die Wahlen in Niedersachsen etwas (zum Besseren) ändern.

Das heißt aber nicht, dass die Wahlen gänzlich nutzlos wären. Die Wahlen, die Kandidaten und ihr Ergebnis können uns zu interessanten lebensphilosophischen Fragen anstoßen!

Dank den 4,4  %

Ich betrachte die Kandidaten und auf welchen Charakter ihr jeweiliger Lebenslauf verweist. Und ich frage mich: Was für ein Mensch will ich sein.

Welche Art von Lebenslauf will ich meinen Kindern nahelegen? Leitender Arzt oder Studienabbrecherin?

Ach, die Kinder sollen und werden natürlich selbst wählen. Und sie können sehr gern unpolitisch bleiben.

Ja, Politik ist ein Theaterstück, und ich danke den 4,4  % in Niedersachsen, die uns am Wochenende unterhalten haben, für die Vorstellung.

Manche Schauspieler bleiben, einige bekommen neue Rollen, andere kommen neu dazu. Das immergleiche Stück hat mich aber neu zum Nachdenken über mich selbst gebracht, und dafür darf ich hier den niedersächsischen Wählerinnern und Wählern ausdrücklich applaudieren.

Weiterschreiben, Wegner!

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