09.03.2025

Vorsichtige Verteidigung des Unsympathischen

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten
Was damals in der Savanne unseren Stamm und damit unsere DNA voranbrachte, kann heute schädlich sein. Beispiele: Es ist uns angeboren, dass uns Zucker schmeckt und dass wir Andersdenkende unsympathisch finden. Doch genau das kann heute gefährlich sein!

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Es ist ein Wunder (sprich: ein sehr unwahrscheinlicher und zugleich sehr günstiger Fall), dass die Menschen immer noch existieren. Ach, wie viele seiner Dummheiten nennt der Mensch doch unverzichtbar, derer jede ihn hätte erst des Grinsens und dann des grimmen Seins berauben sollen – und doch überlebt er, und doch überlebt – die Menschheit!

(Es fühlte sich unvollständig an, hier nicht das bekannte Niagara-Fass-Simile zu erwähnen: Zehn Wagemutige stürzen, in einem Fass eingeschlossen, die Niagarafälle hinab. Neun sterben, einer überlebt – zufällig. Der zufällig Überlebende aber schreibt bald Bücher, hält Vorträge über die Kunst, in einem Fass die Niagarafälle hinabzustürzen.)

Die tückischsten unserer heutigen Dummheiten sind jene, welche einst (sprich: in der Savanne, als wir weniger auf dem Handy scrollten und mehr vor Säbelzahntigern davonliefen) durchaus überlebenswichtig waren, sich heute jedoch regelmäßig gegen uns wenden.

Die Ursachen des Umschlagens von Nützlichkeit zu Schädlichkeit einprogrammierten Verhaltens sind überraschend vielfältig.

Bekanntes Beispiel: Optimierung und Verfügbarkeit am Beispiel von Zucker, der nicht nur rar war, sondern uns einst auch vor allem in Früchten begegnete, die auch Vitamine und andere Nährstoffe enthielt – nur deshalb war kein gesondertes Bedürfnis nach Vitaminen notwendig. Durch Überoptimierung und massenhafte Verfügbarkeit wurde die lebensnotwendige Energie zur Lebensgefahr.

Benzin der Propaganda

Propaganda ist sich solcher angeborenen Triebe sehr wohl bewusst – sie sind das »Benzin« der Manipulation!

Manche dieser Triebe nützen der Propaganda, also bekräftigt sie diese. Andere angeborenen Triebe stehen den Betreibern der Propaganda im Weg, also werden diese Triebe und Neigungen für böse und tabu erklärt.

Beispiele: Heutige globalistische, anti-nationale (und damit anti-demokratische) Propaganda erklärt die angeborene Vorsicht vor(m) Fremden für böse, für ein Tabu. Zugleich bekräftigt dieselbe Propaganda menschliche Neigungen zu Unterwerfung, Gehorsam und Herdentrieb. (Widersprüchlich und damit erfolglos wird Propaganda, wenn sie Selbstaufopferung für eine Gruppe verlangt – etwas als Soldat –, aber das dafür notwendige Gruppengefühl tabuisiert – indem sie Vaterlandsliebe »zum Kotzen« findet.)

Manchmal aber steuern nicht unsere eigenen angeborenen Neigungen, sondern die unserer Mitmenschen sowohl derer als auch unser Handeln!

Ich meine, als Beispiel: die Sympathie.

Auf produktive Weise

Ich überlasse es euren spontanphilosophischen Neigungen, die naheliegenden Thesen für die Nützlichkeit sympathischer Gefühle zu entwickeln. Etwa so: Unsere sympathischen Gefühle steuern uns dazu, uns mit Menschen zu umgeben, die mit uns auf produktive Weise kompatibel sind.

Das Wort »sympathisch« stammt aus dem Griechischen. »Sym« bedeutet zusammen, und »pathisch« hat mit Pathos zu tun, dem Gefühl. Sympathie ist das »Zusammengefühl« – wir könnten sagen: Sympathie ist die intuitiv positive Bauchantwort auf die Frage, ob ein Zusammen funktionieren wird.

Sympathie klingt also wie ein sehr nützliches Werkzeug – bis auf ein Detail: Wie so viele andere angeborene Funktionen ist auch die Körperfunktion Sympathie auf das Leben in der Steppe eingestellt.

Was, wenn die Menschen, die wir via Bauchgefühl sympathisch finden, gar nicht gut für uns sind, uns ganz und gar nicht produktiv voranbringen wollen, da unser Bauchgefühl aus Urzeiten stammt, unsere Realität aber die der postdemokratischen Industriegesellschaft am Vorabend der KI-Machtübernahme ist?

Doch heute will ich mir nicht Sorgen darum machen, ob ich die richtigen Leute sympathisch finde, so wichtig und entscheidend für den Lebenserfolg diese Frage auch sein mag.

Heute will ich die andere Seite dieses Verhältnisses beleuchten.

Das Problemchen

Es ist natürlich, sich zu wünschen, dass die Menschen uns sympathisch finden.

Ein »normaler« Mensch will als sympathisch bewertet werden – oder nicht?

Dass wir uns wünschen, als sympathisch empfunden zu werden, es bedeutet in kalten evolutionären Termini, dass wir uns wünschen, mit möglichst vielen Menschen produktiv kompatibel zu sein. Wir sehnen uns danach, dem Stamm nützlich zu sein.

Wir wollen als sympathisch empfunden werden, weil das bedeutet, dass wir mit vielen Menschen produktiv kompatibel sind. Und das ist sehr im Sinne der Evolution, sprich: des Überlebens unseres Stammes.

Das vertrackte Problemchen ist allerdings: Manche Verhaltensweise, die uns heute als »sympathisch« erscheinen lässt, nützt der Menschheit ganz und gar nichts.

Und manch andere Eigenschaft, die uns »unsympathisch« erscheinen lassen könnte, könnte der Gesellschaft durchaus nützlich sein.

Könnte es also sein, dass ein Mensch nicht »einfach nur unsympathisch« ist, sondern dass tatsächlich seine Nützlichkeit für die aktuelle Situation schlicht nicht gesehen wird?

Ja, es könnte sein. Aber … wie bei Galileo gilt: nicht jeder, der gegen die Wahrheit des Tages geht, liegt deshalb schon richtig, und nicht jeder, den die Menschen unsympathisch nennen, ist deshalb schon nützlich.

Vergiss nicht

Dieser Zusammenhang könnte den »Unsympathischen« zu dem Irrtum verführen, dass er bloß deshalb von seinen Mitmenschen abgelehnt wird, weil diese nicht begreifen, wie nützlich er ihnen ist. Tatsächlich ist er aber nur auf gewöhnliche Weise nervtötend.

Ich lege also eine These zur Lebensführung vor: Habe den Mut, unsympathisch zu sein, solange du nützlich bist. Doch wisse, dass die meisten übrigen Menschen ihre Sympathie nach traditionellen und angeborenen Maßstäben zuteilen.

Bedenke die Möglichkeit, dass du dich irrst, und viel weniger nützlich bist, als du meinst. Für diesen Fall sei nebenbei auf traditionelle Weise nützlich, ich meine freundlich und so weiter.

Wenn euch aber, wie offen gesagt auch mir, das viele Gerede von der Evolution hier sich etwas arg gottlos anfühlte, lasst mich diesen Gedanken als Gebet formulieren: Gott, gib mir die Kraft, unsympathisch zu sein, wenn ich dafür ausreichend nützlich bin, dazu die Reife, zumindest sympathisch zu sein, wo die Nützlichkeit die Verletzung nicht rechtfertigen würde – und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Weiterschreiben, Wegner!

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