Es war einmal ein Baum, und sie liebte einen kleinen Jungen. Und jeden Tag kam der Junge und sammelte ihre Blätter, und er flocht sie zu Kronen, und er tat, als wäre er der König des Waldes. Manchmal kletterte er an ihrem Stamm hoch und schwang sich von ihren Ästen. Und wenn er müde war, schlief er in ihrem Schatten… – haben Sie es erkannt? Der Einstieg dieses Essays wird gebildet von den ins Deutsche übertragenen ersten Zeilen des bekannten Bilderbuches The Giving Tree von Shel Silverstein.
Die Geschichte erzählt von einem Jungen und seinem Baum (wohl weiblich, da mit »sie« von ihr gesprochen wird); sie dient dem Jungen, ihr und sein Leben lang. Erst schenkt sie ihm Blätter und Schatten und ihre Äpfel, wenn er Hunger hat. Er isst die Äpfel und er schnitzt »Me + T« (»ich und Baum«) in ihre Rinde.
Der Junge wird älter. Er hat weniger Zeit den Baum zu besuchen. Wenn er den Baum besucht, dann nur, wenn er etwas braucht. Er nimmt Äpfel, um sie für Geld zu verkaufen. Er nimmt Äste, um sich ein Haus zu bauen, und den Stamm nimmt er für sein Boot.
Jedes Mal, wenn der Baum gibt, heißt es: »Der Baum war glücklich.«
Wir haben davon gelesen
Wir lesen in den Nachrichten von der Überlastung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (abgekürzt »BAMF«).
Wir lesen jetzt, 2019, davon:
Dem BAMF droht erneut eine Überlastung: 750.000 zwischen 2015 und 2017 erteilte Asylbescheide müssten in den nächsten Jahren überprüft werden. Das schafft das Amt nicht – Innenminister Seehofer will nun eine Frist verlängern. (welt.de, 30.1.2019)
Wir haben 2018 davon gelesen:
Das Bamf ist überlastet und braucht einen Neuanfang (abendblatt.de, 20.4.2018)
Wir haben 2017 davon gelesen:
Zehntausende Asylanträge sind noch immer nicht bearbeitet – das BAMF liegt damit weit hinter seinem Ziel. Dennoch werden Stellen in der Flüchtlingsbehörde abgebaut. In der Belegschaft rumort es. (welt.de, 15.12.2017)
Wir haben 2016 davon gelesen:
Das Bamf ist mit der Bearbeitung von Asylanträgen massiv überlastet. (sueddeutsche.de, 18.3.2016)
Wir haben 2015 davon gelesen:
Recherchen des ARD-Politmagazins report München und der Wochenzeitung DIE ZEIT zeigen, dass im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge BAMF durch die Überlastung der Mitarbeiter die Sicherheitsüberprüfung von Flüchtlingen leidet.« (br.de, 26.11.2015
Wenn ein Ereignis (oder ein Zustand) sehr sicher kommen wird, dann sagte man früher, das sei »so sicher wie das Amen in der Kirche«, doch auch das Amen ist seit einiger Zeit nicht immer sicher; Die Zeit schreibt ganz verwundert: »Muselmanen beten im Kölner Dom« (eventuell ist das Jahr dieser Überschrift interessant: Die ZEIT, 07/1965) – wir sollten heute sagen: »… das ist so sicher wie die Überlastung des BAMF!«
Er sei glücklich gewesen
Der Baum im Giving Tree, er gibt und er gibt, und es heißt immer, sie sei glücklich gewesen. Wenn ein Patient beim Psychotherapeuten dutzende Male betont, wie gut sein Verhältnis zu seinem Vater gewesen sei, hat der Therapeut meist einen Grund, eben dies zu hinterfragen – es muss ja nicht zwingend falsch sein, die Wiederholung jedoch macht es nicht eben glaubwürdiger.
Deutschland gibt und gibt, aber ist es glücklich? (Küchenpsychologisch gefragt: Kann einer glücklich sein, der zuerst aus Schuldgefühl gibt, der gibt, weil er meint, sich selbst hassen zu müssen?)
Bus und Bahn
Tausende Menschen kommen nach Deutschland mit Bahnen und Fernbussen (so tichyseinblick.de, 29.1.2019) – es ist illegal, auf dem Papier zumindest, doch jeder einzelne davon wird wohl versorgt werden und einer überlasteten Bürokratie anvertraut – Deutschland gibt.
In den Gefängnissen von NRW wurde die Zahl der Imame aufgestockt und oft wird Fernsehen »aus der Heimat« für muslimische Insassen angeboten. Ja, Gefängnisse werden »multikulturell« damit sich die neuen Gäste »wie zu Hause fühlen«. Die neueste Überlegung? »Homogene Wohngruppen« in den Gefängnissen: »Dann gäbe es einen Trakt für Maghrebiner, Syrer, Russen und so weiter. Und die Kommunikation nicht nur der Häftlinge untereinander, sondern auch mit dem dort eingesetzten Personal würde noch stärker in der jeweiligen Heimatsprache stattfinden.« (welt.de, 29.1.2019) – Erkennt man etwa im Gefängnis, dass harmonisches Nebeneinander besser funktioniert als erzwungene Integration? – Deutschland gibt, und es gibt rasend gern, und es gibt seine Würde und seinen Verstand gleich mit ab.
Die Einwanderung nach Deutschland scheint weitgehend eine Einbahnstraße zu sein. Menschen kommen hinein, nur hinaus kommen sie nicht mehr (siehe z.B. bild.de, 18.1.2019; doch das ist verschieden, je nach Bevölkerungsgruppe: »Immer mehr Deutsche verlassen das Land«, welt.de, 13.3.2018) – Deutschland gibt.
Produktiv und harmonisch
Gegen Ende des Büchleins The Giving Tree heißt es:
»Es tut mir leid«, seufzte der Baum, »ich wünsche, ich könnte dir etwas geben … aber ich habe nichts mehr übrig. Ich bin nur noch ein alter Stumpf. Es tut mir leid.«
Ich bin kein großer Fan jenes Buches, selbst wenn ich meine, dass man es gelesen haben sollte. Elli fand das Buch großartig, sagte sie, bis zu dem Zeitpunkt, als sie es unserer Tochter vorlesen wollte; da fand sie, dass dies nicht die Botschaft sei, die sie ihrem Kind über Beziehungen mit auf den Weg geben wollte.
Eine produktive, harmonische Beziehung kann und sollte also nicht daraus bestehen, dass eine Partei gibt und gibt und gibt – und die andere Partei nimmt und nimmt und nimmt.
Ein faires Miteinander
Die Beziehung der Menschen und der Völker wird nicht ohne Fairness und Augenhöhe funktionieren.
Die eine Sache ist es, in unvorhergesehener Not zu helfen – die andere ist es, der zahlende Depp der Welt zu sein.
Zur Verhandlung stehen ein faires Miteinander der Menschen, der Völker und Kulturen – oder sich täglich vertiefende Krisen.
Ach, wenn es lediglich praktisch nicht funktionieren würde – es funktioniert nicht einmal moralisch! Deutschland nimmt nicht die Schwächsten auf, sondern die Starken, die sich eine Reise bis nach Deutschland leisten können, finanziell und gesundheitlich.
Wir haben den Weg der sogenannten »Guten« probiert, er funktioniert nicht – wir sollten ausprobieren, was die angeblich »Bösen« wollen, nämlich schlimme »populistische« und »rechte« Prinzipien wie Selbstverantwortung und faires Miteinander von Menschen und Nationen, einen produktiven Wettbewerb politischer und ideologischer Entwürfe – für uns selbst aber sichere Grenzen, konsequenten Rechtsstaat und so wieder auch gefühlte Freiheit.
Kein Stumpf sein
The Giving Tree endet so:
»Ich brauche nun nicht mehr viel«, sagte der Junge, »nur einen ruhigen Ort, um mich zu setzen und auszuruhen. Ich bin sehr müde.«
»Nun«, sagte der Baum, »sich aufrichtend so weit er konnte, »nun, ein alter Stumpf ist gut, um zu sitzen und sich auszuruhen. Komm, Junge, setz dich hin … und ruhe dich aus.«
Und der Baum war glücklich.
(Shel Silverstein, The Giving Tree)
The Giving Tree ist nicht mein Lebensentwurf, nicht meine Ethik, nicht meine Moral.
Ich möchte nicht der Junge sein, der ewig ein »Junge« bleibt, und der den Baum ausnutzt, bis von diesem nichts als ein Stumpf übrigbleibt. – Ich möchte nicht der Baum sein, der sich ausnutzen lässt, bis nichts mehr von ihm da ist, als ein Stumpf, und der selbst als Baumstumpf noch sein höchstes Glück darin empfindet, einem fremden Arsch zu dienen. – Ich glaube beiden ihr Glück nicht.
Weder auszunutzen noch ausgenutzt zu werden erscheint mir als funktionierendes Konzept von Glück.
Glück braucht Ordnung, nicht Selbst- oder andere Arten der Vernichtung. Willst du glücklich sein, sei es als Mensch oder als Land? Dann sollte deine Losung nicht »Lass dich ausnutzen!« sein, sondern, vielmehr und weiterhin: Ordne deine Kreise!