Kann ich mich kurzfassen? Fassungslos höre ich, ja, kurzatmig werde ich, wenn einer mir sagt, ich sagte dies zu lang und jenes zu breit.
Zu viele, viel zu viele Worte marschieren in diesen Sätzen auf, so sagte mir ein Spitzbube. In der Kürze liege Würze. Was wahr sei, was wirklich, wirklich wahr und dazu recht wichtig sei, das muss auch kurz gesagt stimmen.
Doch ich halte es mit der Würze wie der Inder bei uns um die Ecke: Viel hilft viel. Lieber Feuer spucken als öde aus der Wäsche gucken.
Überhaupt: Kurz formulieren ist Arbeit! Ein Unbekannter und doch unter wechselnden Namen Vielzitierter entschuldigte das Ausufern seines Briefes so: »Hätte ich mehr Zeit gehabt, wäre dieser Brief kürzer geworden.«
Es ist nicht die ganze Wahrheit, doch etwas Wahrheit liegt durchaus darin! Einer der Gründe, warum Texte lang werden, ist tatsächlich, dass der Autor den Strom seiner Gedanken niederschrieb, doch ihm dann die Zeit oder die Energie fehlten, diese Schachtelsätze und Nebensatzzüge, also all das Gestrüpp der Dopplungen und gedanklichen Nebenwege zu lichten, und wenn Sie nicht genau wissen, was ich meinte, dann messen Sie Ihren Blutdruck nach dem Lesen genau dieses Satzungetüms. Im Rest dieses Essay jedoch ist die Wortfreude nicht solcher Faulheit geschuldet – ich meißelte lange genug an der Genauigkeit dieser Gedanken.
Eine weitere Rechtfertigung langer Texte könnte lauten, dass eine These aus sich heraus es schlicht notwendig werden lässt, reichlich Belege vorzulegen. Dies liegt zwar oft genug bei meinen Essays vor – doch nicht hier und heute.
Es ist ein dritter Grund denkbar, warum ein Text mehr Wortarbeit leistet, als nur seine Kernthese in ein bis zwei Absätzen abzuhandeln – und hier könnte heute des Pudels Kern zu finden sein.
Wenn zwei Menschen einander etwa einen Abend lang romantische Worte ins Ohr flüstern, dann tun sie das ja nicht nur, um Information und harte Fakten zu vermitteln. Oh nein! Es ist ein Gefühl, das zwischen den Worten durchscheinen soll, das Gefühl der Gemeinsamkeit.
Und so, mein liebes wortfreudiges Publikum, bitte ich Euch, alle Worte bis hierhin als eine Versicherung meiner Freundschaft zu verstehen, als Rhythmus, den wir teilen.
Doch jetzt, wo wir hoffentlich aufs Neue einen gemeinsamen Rhythmus aufgebaut haben, möchte ich einen Gedanken mit Ihnen teilen, der mich, als ich ihn hörte, auf charmante Weise schaudern ließ.
Es ist eine Parabel aus der Türkei, und sie geht so: »Der Wald schrumpfte, aber die Bäume wählten weiter die Axt. Die Axt war nämlich schlau, und sie überzeugte die Bäume, dass, weil ihr Griff aus Holz besteht, sie doch eine von ihnen sei.«
Fassungslos sehen wir, wie die regierenden Äxte unser Land und Leben kurz und klein schlagen. Ich möchte vor Wut bald Feuer spucken, und meine Wut könnte täglich ein Buch füllen (meine Finger könnten es nicht), und, gegeben die richtige Axt, gleich hinterher eine Buche fällen.
Soll ich mich kürzer fassen? Die Verbindung zwischen meinem Publikum und mir würde darunter leiden, und die würde mir sehr fehlen. Doch wenn ich all meine politische Textarbeit zusammenfassen wollte, und zwar in einem einzigen Satz, dann wäre dieser Satz eine Frage, und zwar: »Warum lassen die Bäume zu, dass die Axt über sie herrscht?«
Ja, ich könnte alle meine Essays, alle meine politischen Texte in eine einzige schlichte Mahnung komprimieren, und damit ergibt endlich auch die Überschrift dieses Essays einen Sinn, denn der eine Satz, den ich täglich neu in Tausenden von Wörtern schreibe: »Achtung, du Baum im Wald: Die Axt ist nicht dein Freund!«