23.02.2022

Achtet auf die Parkuhren!

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten, Foto von Josh Newton
Mancher sucht heute nach Vorkämpfern, denen er sich anschließen kann. Doch das Personal, das er vorfindet, ist enttäuschend. Ihm sei geantwortet: Gut so! – Denke selbst! Handle selbst! Niemand kann für dich mutig sein.
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Sie haben mich enttäuscht, Herr Wegner, so schreibt mir ein (ehemaliger?) Leser sinngemäß. Früher las er mich gern, so verstehe ich seine Worte – und das trotz der teils langwierigen Einleitungen! – aber inzwischen habe ich für ihn wohl vollständig versagt.

Mir war nicht auf den ersten Blick klar, was genau es war, worin ich laut dieses aufgewühlten Lesers versagt hatte.

Falls es sich auf aktuelle Ereignisse bezog: Hatte ich vielleicht »versagt« zu erkennen, dass Corona doch »geplant« sei, also eine »Plandemie«? (Dazu auch weiterhin: Meine Erfahrung lehrt mich, dass die Wichtigen-da-oben zuverlässig schlecht im Planen und Durchführen sind – aber gruselig gut darin, Chancen für sich zu nutzen. Motto: »Never let a good crisis go to waste.« – »Keine nützliche Krise verschwenden.«)

Oder hatte ich »versagt«, weil ich mRNA-Injektionen kritisch sehe, und damit also riskiere »Schwurbler« und »Impfgegner« genannt zu werden? (Auch das wurde mir schonmal von einem Leser vorgeworfen.)

Ach, es ist nur eine kleine Zahl von Ihnen, liebe Leser, die es als »Versagen« ansehen, wenn ich eine andere Meinung vertrete oder die Geschehnisse anders deute als sie, und doch gibt es sie. Das muss ich dann eben hinnehmen. In diesem Fall war ich aber zunächst ratlos, was überhaupt gemeint war.

Ich stöberte in seinen übrigen Äußerungen und dann fand ich es heraus. Er suchte nach einem »Vorbild«, einem/r »Vorkämpfer/innen« dem er sich »mit jeder Faser gern anschließen könnte«, »der es begriffen hat. Der mutig allem trotzt. Dem JEGLICHE Anfeindungen am Arsch vorbeigehen. Der etwas riskiert!«

Dann aber stellt er resigniert fest: »›Ihn‹ oder ›Sie‹ gibt es weltweit nicht.«

Das war es also, wo ich in seinen Augen versagt hatte (wenn auch nicht als Einziger, er listet eine Reihe weiterer Leute).

Uff.


Ich könnte ja in der Sache argumentieren, und dem Leser vor Augen führen, welche für den Leser auf den Ersten Blick nicht sichtbaren Risiken es mit sich bringt, finanziell, politisch, sozial und schlicht in Sachen der eigenen Lebensplanung, abweichende Meinung unter voller Namensnennung nach außen zu tragen.

Ich könnte darlegen wollen, welche persönliche emotionale Last und welche konkreten Risiken man trägt, wenn man es sich zur Aufgabe gemacht hat, auf die Dinge zu schauen, welche Politik und Propaganda lieber in Tabu und Unsichtbarkeit verschwinden lassen würden.

Ich könnte wie ein alter Zirkusartist oder Musiker sagen: Wenn es einfach aussieht, was ich tue, dann ist das nur so, weil ich es einfach aussehen lasse – versuche doch, nur einmal nachzumachen, was ich jeden Tag vorführe!

Jedoch, das wäre alles Kritik am Inhalt seiner Aussagen, ich kritisiere aber seine Absicht. Er sucht jemanden, so schreibt er, dem er sich »mit jeder Faser gern anschließen« kann.

Und darin bin auch ich offenbar eine Enttäuschung.

Gut.


»Don’t follow leaders, watch the parkin‘ meters«, so singt Bob Dylan im Subterranean Homesick Blues (das ikonische Musikvideo dazu ist auf YouTube). Die Worte klingen lakonisch, doch es liegt tiefe Weisheit darin.

Folgt keinen Helden, keinen leuchtenden Gestalten, keinen Vorbildern, keinen Vorkämpfern und bestimmt keinen »Influencern«. (Was tut man nicht alles als geschichtsbewusster Deutscher, um »leader« nicht wörtlich zu übersetzen…)

Folgt niemandem, so mahnt Bob Dylan, aber achtet auf die Parkuhren. Ich lese es heute so: Es ist gut, sich seine eigenen Gedanken zu bilden, doch gerade ein selbstbewusster Selbstdenker muss die Regeln kennen, nach denen seine jeweilige Umgebung organisiert ist – und er sollte rechtzeitig »die Parkuhr mit Geld füttern«, um bußgeldbewehrten Regelverstößen vorzubeugen.


Meine »Lehre«, wenn man so will, mein Schreiben und wohl auch meine Person sind nichts, dem man sich »anschließen« soll – oder kann.

Ja, ich will »wegstoßend« sein! Es ist mir immer wieder eine Ehre, Sie für einige Minuten Ihres Tages zu begleiten, doch dann sagen wir stets einander: Dankeschön, und nun gehen wir wieder ein jeder für sich weiter unseres Weges.

Ich sage nicht »Wir schaffen das«, wie Demagogen es krähen. Ich sage nicht einmal »Du schaffst das«, wie Scharlatane es säuseln. Ich sage, und ich sage es zuerst mir selbst: Schaffe dir selbst deine Hoffnung, indem du selbst handelst, nach deiner besten Erkenntnis.

Diese »pragmatische Wahrheit«, wonach »wir« oder »du« es »schaffen«, es ist ein leeres, dumpf und hohl klingendes Versprechen. Finde doch erst einmal heraus, was dieses Es für dich überhaupt ist, bevor du es zu schaffen ansetzt! Das kann und darf niemand für dich herausfinden, und wenn er dies doch versucht, dann ignoriere ihn, so nachdrücklich wie möglich und so höflich wie nötig.

Folge niemandem, doch lerne von vielen. Lass die Parkuhren deiner praktischen Existenz nicht leerlaufen, denn auf jede Aufregung, so wichtig und richtig sie sein mag, soll ein Morgen folgen, ein nächster Tag.

Oder, wie wir hier zu sagen pflegen: Prüfe alles, glaube wenig, denke selbst.

Weiterschreiben, Dushan!

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