Dushan-Wegner

27.04.2023

First Principles Thinking

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Was denkt sich das Pferd?
Die gefährlichste Krise in Deutschland ist die »Denkkrise«. Als »gebildet« gilt, wer stur Autoritäten nachplappert. (Klüger wäre, zu den Grundlagen zurückzukehren. Das nennt man auch »first principles thinking«.)
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Das kleine Kind, das uns mit der ewigen Kette von »Warum, warum, warum?« das sprichwörtliche Loch in den Bauch fragt, es übt sich tatsächlich in einer super wichtigen Denktechnik, auf die Elon Musk schwört, die aber schon von Aristoteles groß gemacht wurde.

Es ist das Denken in »ersten Prinzipien« oder in der heutigen Business-Weltsprache Englisch: »first principles thinking«.

Einigermaßen ähnlich

Elon Musk erklärt (etwa in diesem Interview von 2013, siehe YouTube) das »first principles thinking« als Gegensatz zum konventionellen Denken, das in Analogien und der Wiederholung von Methoden passiert.

Wenn wir auf ein neues Problem stoßen, suchen wir nach einem alten Problem, das dem neuen Problem einigermaßen ähnelt, und dann versuchen wir, die alten Problemlösungen an das neue Problem anzupassen.

Wir praktizieren das so, weil es meist funktioniert und meist effizient ist. Das Motto: »Wir machen das, weil wir das schon immer so gemacht haben« führte dazu, dass der Mensch buchstäblich über Jahrmillionen nichts als behauene Steine als Werkzeug nutzte (siehe history.com).

Elon Musk benutzt als Beispiel gern die Erfindung des Automobils. Henry Ford wird ja bekanntlich mit der Frage zitiert, was die Leute wollen, worauf die geantwortet hätten: »Schnellere Pferde!« Beim Denken in »ersten Prinzipien« fragt man aber, was die eigentlichen Probleme sind, die man zu lösen versucht – nämlich Menschen von A nach B zu transportieren –, und dann denkt man von diesen Prinzipien her.

Das Denken in ersten Prinzipien kann allerdings auch die Produktionsweise grundlegend verändern. Musk verwendet hier das Beispiel der Batterien. Er stellt fest, dass sie sehr teuer sind, also betrachtet er die einzelnen Komponenten, die in den Preis einfließen. Theoretisch müsste bei Massenproduktion der Preis ja in Richtung »Rohmaterial + Lizenzen« konvergieren. Was sind also die Faktoren, die einen Preis hochhalten?

Der Grund des Aristoteles

In der Metaphysik schreibt Aristoteles (384–322 v. Chr.), dass »die Wissenschaft das, was im prinzipiellsten Sinne Grund ist, zum Ausgangspunkte zu nehmen hat. Denn dann behaupten wir die Erkenntnis eines Gegenstandes zu besitzen, wenn wir ihn auf seinen letzten Grund zurückzuführen glauben.« (zitiert nach zeno.org)

Ein letzter Grund kann nach Aristoteles das Warum einer Angelegenheit sein, die Materie und das Substrat (woraus es gemacht ist), der Auslöser (Anstoß) oder der Zweck, der das Veränderte aus seinem Kontext löst und zu etwas Neuem – hoffentlich etwas Gutem – bewegt. (paraphrasiert nach ebenda)

Ob man wie Elon Musk eine billigere Rakete bauen will, ob man ein Philosoph ist, der vor 24 Jahrhunderten die Wissenschaft erfand, oder ob man ein Kind ist, das die Welt entdeckt – man begreift, indem man fragt: Warum ist das so? Aha, und warum ist das wiederum so? Aha, und warum ist nun das so?

Rad oder kein Rad

Das Denken in »ersten Prinzipien« (oder im »letzten Grund«, wie Aristoteles sagt) ist nicht selten sehr aufwändig.

Wir kopieren bestehende Problemlösungen, weil es effizient ist. Weder Aristoteles noch Elon Musk überlegen jedes Mal, wenn sie sich morgens anziehen oder wenn sie ein Stück Brot essen, was die »ersten Prinzipien« der jeweiligen Tätigkeit sind.

Wer in ersten Prinzipien denkt, der könnte mit viel Aufwand an Zeit, Geld und Energie zu einer Lösung gelangen, die dem entspricht, was der aktuelle Stand der Technik ist. Er könnte »das Rad neu erfinden«. Immerhin hat er dann verstanden, was die funktionalen Zusammenhänge und Konzepthierarchien des Rades sind, und kann das Rad dann vielleicht verbessern. – Vielleicht aber kommt dabei auch kein Rad heraus – sondern vielleicht ein Fluggerät –, und das ist es, wie die Menschheit sich weiterentwickelt.

Erfindungen und Personalpolitik

Ja, gelegentlich erfindet man das Rad neu (hoffentlich ein besseres Rad) – und gelegentlich stößt man auf Erkenntnisse, die einem gar nicht gefallen.

Vom ehemaligen GE-CEO Jack Welch ist überliefert (ich paraphrasiere aus dem Gedächtnis), dass man bei jedem Angestellten überlegen sollte, ob man ihn heute neu einstellen würde – und wenn nicht, solle man ihn entlassen, auch wenn er nichts »falsch« gemacht hat. Man könnte es »first principle thinking« in der Personalpolitik nennen.

Gehen Sie selbst aber im Kopf einmal die großen Krisenfragen zum Beispiel Deutschlands durch. Nehmen wir etwa ARD & ZDF: Welches Problem lösen die eigentlich – und welches sollen sie lösen? Muss das Problem überhaupt heute noch gelöst werden, und durch welche anderen Mittel wäre es womöglich zehnmal so effektiv, aber zu einem Zehntel der Kosten zu lösen?

Oder bei Migrationsfragen: Welche Kräfte sind wirklich am Werk? Oder beim Klima – und den Milliarden, die dabei verschoben werden? Oder bei der Demokratie und ihrem Personal selbst – uff!

Nicht immer schlecht

Es sei nicht vergessen, dass selbst »Gebildete« unter erheblichen Denkproblemen leiden können – »leiden« ist aber oft das falsche Wort: In so manchem Beruf ist eigenes Denken ein gefährlicher Kündigungsgrund. Ein »Gebildeter« im systemrelevanten Sinne ist einer, der die Aussagen der Autoritäten und das Prinzip der Autorität selbst verinnerlicht hat (siehe dazu auch Essay vom 11.6.2018).

Es ist wahrlich nicht in allen Situationen schlecht, wenn ein Mensch das aktuelle Wissen seiner Zunft parat hat. Ich bestehe definitiv darauf, dass mein Zahnarzt und mein Buchhalter den Stand ihrer Wissenschaft kennen und befolgen. (Bei den Handwerkern, die ich mir leisten kann, habe ich diese Erwartung teils aufgegeben.)

Denken im Visier

Deutschland hat, wie weite Teile der westlichen Welt, ein Denkproblem – und wenn hochwertiges Denken deine wichtigste Ressource ist (oder: war), dann ist ein Denkproblem mehr als nur ein ästhetischer Makel.

Denken darf jeder, warum tun es nur so wenige? Weil ernsthaftes Denken echte Arbeit ist, weil es scheitern oder nur minimale Ergebnisse liefern kann, weil man durch zu viel Denken ins Visier des Verfassungsschutzes geraten kann.

Ob du das Denken zum Guten oder zum Bösen einsetzt, ob du »gut sein« spielst, aber tatsächlich ein gerissener Hund bist, das sind wieder andere Fragen – und wie das Denken, liegt es wieder an dir, wozu du es wirklich tust. Die Zukunft gehört den Denkenden – ob sie »gut« oder »böse« denken.

Also: Sucht die ersten Prinzipien der Dinge! Vielleicht versteht ihr dann besser, was gerade wirklich passiert.

Und wenn ihr mit dem Denken für den Tag durch seid, dann dichtet doch wieder mal etwas – etwas Schönes, etwas Neues. (Worin liegen eigentlich die ersten Prinzipien der Dichtkunst?)

Weiterschreiben, Wegner!

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