In den sozialen Medien kursiert ein Videoschnipsel mit dem Historiker Egon Flaig (zum Beispiel @Disputatorus, 05.06.2025).
Dieser schwärmt für Schießübungen in den Schulen, so wie es sie auch in Polen gibt. Der wohl bei 3Sat ausgestrahlte Beitrag zitiert ihn, mit viel Gravitas in der Off-Stimme: »Eltern müssten bereit sein, ihre Kinder zu geben.«
Der Historiker erklärt: »Die Unwilligkeit von Eltern, ihre Kinder als Soldaten zu sehen, das heißt: als Mitglieder des Gemeinwesens, die eventuell geopfert werden für das Gemeinwesen, die geopfert werden für die Aufrechterhaltung unseres Lebens, so wie wir es weiterpflegen wollen, dieser Wille, dieses Opfer auch bringen zu wollen, ist ein schmerzliches.«
Nein, wir sollten uns nicht darüber echauffieren, dass der gesprochene Gedanke des Alt-Professors sich gegen Ende zu verlieren scheint. (Es bezeugt, dass der Professor live und in Echtzeit formuliert. Das ist mehr, als ich mich etwa in meinen Videos trauen würde.)
Und wir sollten uns definitiv nicht darüber echauffieren, dass es sich aus dem Elfenbeinturm eines emeritierten Geschichtsprofessors gut reden lässt. Das ist ganz in Ordnung so. Störende Gedanken konsequenzlos äußern zu können, ist eine Grundbedingung westlichen Fortschritts.
Das Problem ist nicht, dass Jugendliche und ihre Eltern nicht den moralischen Wert darin sehen, dass ihre Söhne ihr Leben für eine höhere Sache riskieren. (Der Professor erwähnt explizit auch Frauen als Soldaten, doch ich schreibe das schlicht dem mangelnden Kontakt zur Realität zu.)
Unter Jugendlichen ist es heute ein erstaunlich populäres »Meme«, dass man leider zu spät geboren sei für die Kreuzzüge – und zu früh für die Eroberung des Weltalls. (Die ironische Pointe ist, dass man also seine Schlachten in Social Media ausficht.)
Der emeritierte Historiker arbeitet mit den Prämissen einer anderen, längst vergangenen Realität. Er argumentiert aus einer geistigen Welt, in der es noch ein intaktes Gemeinwesen gibt – und in der Opfer für dieses Gemeinwesen noch sinnvoll erscheinen.
Die Blindheit und intellektuelle Verwahrlosung der meinungsbildenden Klasse in Deutschland ist atemraubend: Während man Polen für seine Wehrhaftigkeit lobt, verurteilt man es zugleich für seine Migrationspolitik – und die Wahl eines konservativen Präsidenten.
Was lernen wir aus dem möglichen Realitätsverlust des wohlmeinenden Professors? Wie werden wir daran bessere Menschen?
Nein, es existiert kein großes »deutsches Gemeinwesen« mehr. Schon das Zahlen von Steuern fühlt sich kaum noch moralisch gerechtfertigt an, geschweige denn das Kämpfen und Sterben.
Man stelle sich nur vor, jemand wollte wirklich mit der Waffe in der Hand für (um den Professor zu zitieren) die »Aufrechterhaltung unseres Lebens, so wie wir es weiterpflegen wollen« kämpfen!
Womöglich für unsere Identität oder gar für unser Volk! Er würde enteignet, seine Konten gesperrt, seine Freiheit genommen – und zwar ausgerechnet im Namen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Es ist ein anderes Thema, wofür die jungen Menschen wirklich kämpfen und sterben sollen. Das »deutsche Gemeinwesen« ist es nicht. Und das Leben, wie wir es kannten, oder das deutsche Volk sind es ganz bestimmt auch nicht. (Es wäre ein anderes Thema, zu erörtern, wofür wirklich gekämpft wird.)
Und doch, und doch: Es ist dem Menschen angeboren, Teil von etwas sein zu wollen, für das sich zu kämpfen lohnt. Und zu sterben.
Nicht, weil zu sterben erstrebenswert wäre. Sondern: Wofür sich zu sterben lohnt, dafür und darin lohnt es sich auch zu leben.
Es bleibt also dies: Der Mensch braucht etwas, das größer ist als er selbst. Etwas, für das es sich zu kämpfen lohnt – und wenn nötig, zu sterben. Doch fantasiert nicht gleich von Kreuzzügen und Heldentod!
Lasst uns doch erst nach den Werten, für die wir angeblich zu sterben bereit sind, auch wirklich täglich leben.