Stell dir eine Straße vor, auf der jeder Zweite humpelt. Jeder Dritte kriecht auf allen Vieren, und jeder Fünfte bleibt gleich ganz in der Gosse liegen. Doch keiner gesteht sich, ein Problem zu haben. Keiner nutzt eine Krücke, keiner einen Rollstuhl.
Käme ein Krankenwagen, würde man diesen mit Steinen bewerfen. Man würde die Retter mit Messern bedrohen (so man eine Hand frei hat, mit welcher man ein Messer halten kann), bis die Retter denken, sie hätten sich in die tolerant befreiten Zonen von Berlin verfahren.
Würde man die Leute fragen, warum sie denn nichts gegen ihre Gebrechen unternehmen, dann täten sie schlimm beleidigt, und sie würden rufen: »Wir sind doch nicht krank! Uns fehlt nichts, und zu sagen, uns fehlte etwas, das ist eine Unverschämtheit!«
Eine Frage raubt mir den Schlaf. Die Nacht wird zum Morgen, und immerfort frage ich: Was ist das Gegenteil eines Hypochonders? (Nicht auszuschließen, dass ich eben übertrieben habe, wie sehr mir diese Frage angeblich zusetzt. Ein Hypochonder ist übrigens einer, der sich Leiden und Krankheiten einbildet, wo keine sind.)
»Hypochondrie«, das klingt wie eine jener Mode-Krankheiten, die jeder Zweite »haben« möchte, so wie Burn-Out oder neuerdings auch mal Autismus.
Mein Haus, mein Boot, meine Hypochondrie. (Ich vermute allerdings: Jeder zweite Hypochonder tut nur so.)
Das schöne griechische Wort »hypochondriakós« bedeutet: »an den Eingeweiden leidend«. Früher meinte man ja, die Gefühle würden von den Gedärmen produziert. (Die emotionalen Auswürfe mancher Zeitgenossen legen das weiterhin nahe.)
Aber nein, ich leide keinesfalls groß daran, dass es zu viele Hypochonder gäbe. Im Gegenteil!
Unser Problem ist nicht der Überfluss an Hypochondern – unser Problem ist die erschreckende Zahl an Mitbürgern, die ihre und unserer aller Probleme nicht ernst genug nehmen!
Wie können wir es nun nennen, das Gegenteil von Hypochondern?
Ich probiere mal: die »eingebildeten Gesunden«.
Die Drogendealer, die den umherwankenden Zombie-Junkies von San Fransisco, Philadelphia und anderen »toleranten« Städten ihre harten Drogen verkaufen, sind funktionale Kollegen jener Kräfte, die das Leugnen von Problemen zur Tugend erklärt haben.
Seien wir ehrlich: Leute, wir haben Probleme!
Ja, auch du.
Dieses Problem, das du seit zu langer Zeit nicht angehen willst – wenn du es weiter ignorierst, wird es nicht geringer werden. Nur das Leugnen wird mehr und mehr deiner Kraft kosten, bis du für nichts anderes mehr Kraft übrig hast.
Raff dich endlich auf und sieh deiner Realität ins Gesicht.
Tu was, solange du noch etwas tun kannst. (Und wenn du nichts mehr daran tun kannst, dann tu etwas anderes.)