»Wo ist meine Heimat?« – diese Frage bildet den Titel und die ersten Worte der tschechischen Nationalhymne: »Kde domov můj«? – Ich muss in den letzten Jahren immer wieder daran denken, doch nicht unbedingt in Bezug auf Tschechien (siehe auch »Es geht um Heimat, es geht immer um Heimat«).
»Wo ist meine Heimat?« – die Frage wird zu Beginn beider Strophen jeweils zweimal gestellt. Es wird ja eine Antwort angeboten, doch die Erklärung ist im buchstäblichsten Sinne »blumig«: »Wälder rauschen auf den Felsen, im Garten strahlt des Frühlings Blüte, es ist das irdische Paradies für’s Auge!«
Die schwebende Blumigkeit der tschechischen Hymne kontrastiert zum politischen Manifest oder den Kampfszenen mancher anderer Hymne; das Ätherische umreißt eine Sehnsucht nach Schönheit, nach Sicherheit und Geborgenheit, und damit eine Sehnsucht, die ihre Erfüllung an einem bestimmten Ort innerhalb dessen Grenzen sucht – suchen darf und suchen soll – es ist ja eine National-Hymne.
Ermittlungen eingestellt
Niklas war Schüler und lebte in der Kurstadt Bad Breisig.
Am 6. Mai 2016 besuchte er das öffentliche Feuerwerk »Rhein in Flammen«. Ich selbst habe »Rhein in Flammen« einige Male besucht, es war damals ein majestätisches Ereignis. – Niklas war auf dem Nachhauseweg, zusammen mit einer Freundin und einem Freund, als er von drei »jungen Männern« nahe der Haltestelle Rheinallee in Bad Godesberg angegriffen wurde (siehe Google Maps Streetview). Es wurde, so weit man weiß, gezielt gegen seinen Kopf getreten (wdr.de, 4.5.2019).
Am 12. Mai 2016 starb Niklas in der Uni-Klinik Bonn.
Es gibt Verdächtige und es gibt Zeugen der Tat, doch es gibt niemanden, der offiziell am Tod des Schülers die Schuld tragen wird. – Die Ermittlungen wurden nun eingestellt.
In den Nachrichten heißt es:
„Der Täter konnte nicht ermittelt werden, da das gesamte Umfeld eisern schweigt“, sagte der Bonner Oberstaatsanwalt Robin Faßbender. „Wir gehen nach wie vor davon aus, dass viele Leute wissen, wer das getan hat, aber keiner erzählt es uns“, sagte Faßbender. „Wir sind in diesem Fall aber auf die Aussagen von Zeugen angewiesen.“ (bild.de, 4.5.2019)
In den USA wären womöglich alle Anwesenden in Haft genommen wurden. In Deutschland können mehrere »junge Männer« gleichzeitig anwesend sein oder offensichtlich Bescheid wissen, wenn ein »Alman« zu Tode getreten wird, doch solange derjenige, der den finalen Kopftritt verabreicht hat, es nicht mit Brief, Siegel und Mea Culpa zu Protokoll gibt, werden wohl eben alle laufen gelassen.
Wie soll man da nicht zynisch werden? Die Staatsfunk-Zwangsgebühr nicht bezahlen, dafür geht man schon mal in den Knast (siehe tagesspiegel.de, 5.4.2016, taz.de, 9.5.2018 und weitere), aber dabeisein, wenn einer, »der schon länger da ist«, totgetreten wird, aber dann nicht aussagen wollen, da kann der Rechtsstaat leider nichts machen. Irgendwo freut sich gewiss eine Genderaktivistin, dass es in der Zukunft einen »alten weißen Mann« weniger gibt.
Sie etwa nicht?
Eine Rechtsprechung, deren Ergebnisse wiederholt und eklatant von den Bürgern als Unrecht empfunden werden, ist mindestens gefühlt im Erklärzwang, was sie unter »Recht« versteht.
Anders als besonders die Einfachgestrickten unter den Juristen meinen, ist eine Entscheidung längst nicht allein dadurch ethisch oder moralisch gerechtfertigt, dass ein Richter es so sagt.
Wir fühlen uns hilflos.
Deutschland ist eingeklemmt zwischen linkem Wir-haben-uns-alle-lieb-Wahn und einem Rechtsstaat, dem zunehmend die Werkzeuge für die »neue Lage« zu fehlen scheinen.
Das Verfahren über die Tötung des Schülers Niklas wird eingestellt, weil die Zeugen schweigen.
So empörend das sein mag, so wütend wir sind, ich frage Sie doch: Hätten Sie etwa nicht geschwiegen?
Nehmen wir hypothetisch an, einer der Zeugen war selbst unbeteiligt, doch er weiß genau, wer schuldig ist. – Welche Möglichkeiten bedenkt er? Was sind seine realistischen Aussichten?
Wenn er aussagt, bekommt der Schuldige vielleicht nur ein paar Sozialstunden oder ein Fingerwedeln samt »Bewährungsstrafe« vom Richter, doch für »die Seinen« wäre der Zeuge ein Verräter, der keinen frohen Tag mehr erleben wird.
Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass es Mitbürger gibt, welche ihr Kollektiv, ihren Clan oder ihre Familie deutlich mehr fürchten und respektieren als den deutschen Staat.
Es ist ja nicht einmal nur ein »praktisches« Fürchten, es ist auch eine Sache des Respektes! – Junge Männer aus einer Kultur, die Stärke und Ehre wertschätzt, treffen auf die linksgrüne Kultur präventiver Unterwerfung, blauäugiger Zahlfreude und suizidaler Dummheit – es ist wenig, das jene jungen Männer motivieren könnte, moralischen Respekt vor der Gastgeberkultur zu zeigen.
Der Bürger, »der noch nicht so lange da ist«, muss sich unter Umständen zwischen Rechtsstaat und Familie samt deren (angeblich) archaischen Macht- und Wertstrukturen entscheiden – es steht zu befürchten, dass die Zahl der schweigenden Zeugen in Zukunft nicht weniger wird – es »funktioniert« ja!
Wenn und weil
Es gibt guten Grund, Angst um Deutschland zu haben. Wenn sowohl die Bürger, »die schon länger da sind«, als auch die »Toleranzempfänger«, jede Gruppe auf ihre jeweils eigene Art, dem Rechtsstaat nicht mehr vertrauen, was soll denn irgendeine Zuversicht bezüglich der Zukunft dieses Landes rechtfertigen?
Wo soll in Deutschland denn die Gerechtigkeit herkommen?
Bleibt dem Deutschen denn wirklich nichts anderes übrig, als auf Karma zu hoffen, auf die Gerechtigkeit im Himmelreich, nach dem Tode? Ein Land, erstickt in Haltung, Dummheit und Verzweiflung? – Das kann es doch nicht sein! Das darf es doch nicht sein!
Ich habe vom »Lied der Innenhöfe« gesprochen. Wer es sich in »toleranten« Gesellschaften leisten kann, der wird sich in »Innenhöfe« zurückziehen – sowohl praktisch (Wohnen in umzäunten Anlagen, Privatschulen et cetera), als auch metaphorisch (man debattiert nur noch dann offen, wenn die Gesinnungs-Stasi garantiert nicht zuhört, öffentlich aber plappert man die Staatsfunk-Parolen nach und zeigt »Haltung«).
Manche Neubürger leben ja längst in solchen »Innenhöfen«, teils sind diese aus dem Ausland gesteuert und finanziert, teils werden ganze Straßenzüge, Parks und Stadtteile zu ihrem Innenhof, und die, die dort wohn(t)en, brauchen neue, eigene Innenhöfe.
Ein Zimmer nach dem anderen
Jeder Bürger eines jedes Landes sehnt sich nach Heimat, und zwar nach einer Heimat in seinem Land – dass dies in Deutschland zur Disposition steht ist so irre wie auf Dauer gefährlich instabil. Wer ein Zimmer nach dem anderen freigibt, damit Fremde darin leben, welche den allzu gutmütigen Hausherrn verachten, der hat eben immer weniger Wohnraum.
Heimat braucht Geborgenheit. Zur Sehnsucht nach Heimat gehört die Sehnsucht nach einem Ort, wo Ordnung und Gerechtigkeit walten. – Herrscht in Deutschland denn Ordnung und Gerechtigkeit? Die Clans schaffen sich deren Ordnung und deren Gerechtigkeit, sicher, aber was ist mit denen, welche treuherzig die Aufgaben eines »Clans« dem Rechtsstaat anvertraut haben?
Hätten Sie denn nicht geschwiegen, wenn Sie einer der Zeugen vor Gericht gewesen wären? Wem gegenüber fühlen sich jene jungen Männer denn eher und stärker verantwortlich, ihrer Familie und ihrer Community – oder den Behörden und Beamten der Bundesrepublik Deutschland? Wo ist denn wirklich deren Heimat, ihr Innenhof? Wo erwarten die jungen Männer denn realistischerweise irgendeine Ordnung, irgendeine Gerechtigkeit?
Ich könnte in diesen Tagen gut verstehen, wenn auch wir Deutschen im Geist die ersten Zeilen der tschechischen Hymne mitsingen: »Kde domov můj« – wo ist meine Heimat?