Katastrophenalarm, Hochwasser, überflutete Straßen und Brücken, da war doch was! Der SPD-Spitzenmann Martin Schulz hat versichert, mit den Gedanken bei den Flutopfern zu sein. Problem: Viele erinnern sich an den starken Auftritt von Gerhard Schröder in 2002 in den Hochwassergebieten.
Im Buch Talking Points habe ich diesen Auftritt als „visuellen Talking Point“ beschrieben. Im Folgenden ein Auszug aus den Seiten 90/91. Wer wissen möchte, wie die Geschichte weitergeht, kann sich gerne das Buch zulegen. Die Effekte sind zeitlos.
Effekt: Symbolhandlung
Regel
Ein Politiker muss, wie jeder andere Arbeiter auch, effizient vorgehen. Spätestens seit wir Worte wie „Aufmerksamkeitsökonomie“ verwenden, muss der öffentliche Redner in jedem Wort mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel Emotion transportieren. Eines der effizientesten Mittel zum Transport von Emotionen ist die Symbolhandlung.
Beispiel
Zur Erinnerung: Sinn und Aufgabe eines jeden Talkingpoints ist es, Menschen fühlen zu lassen, dass es „gut“ ist, Ihnen zu folgen.
Während viele Talkingpoints diesen emotionalen Führungsanspruch verdeckt transportieren, gibt es eine Symbolhandlung, die zugleich maximal direkt, maximal offen, maximal sinnlos und maximal effektiv ist: Kommando übernehmen als Reaktion auf eine Katastrophe.
Eine dieser großen Katastrophen war das Hochwasser im Jahr 2002. Allein in Sachsen tötete die Überschwemmung 21 Menschen. Eine andere, wenn man es zynisch sehen darf, „Katastrophe“ deutete sich auch im Politischen an, zumindest aus Sicht der deutschen Sozialdemokraten. CDU/CSU lagen sieben Prozentpunkte vorne, der von Deutschlands berühmtesten Spin-Doktor Michael Spreng gecoachte Herausforderer Edmund Stoiber war plötzlich zum lockeren Lebemann geworden, der Amtsinhaber Schröder dagegen „trug schon lange keine Brioni-Anzüge mehr, dafür Ratlosigkeit im Gesicht“. Dann begann es zu regnen und regnen und in Mittel-Ost-Europa war die Erde vollzogen und die Erde konnte kein Wasser mehr aufnehmen und das Wasser floss als Flut in die Täler und in die Städte hinein. Die Feuerwehr in Dresden gab den Zwinger und die Semperoper verloren.
Gerhard Schröder tat, was jeder Häuptling mit einem Funken politischen Instinkts tun musste. Der Kanzleramtsverteidiger zog Gummistiefel an und wenige Tage nach den stärksten Regenfällen stellte er sich am 14. August 2002 in Grimma der Flut in den Weg – so sah es zumindest für TV-Kameras und Wähler aus. Schröder stellte den betroffenen Menschen immerhin 385 Millionen Euro aus Steuermitteln zur Direkthilfe bereit und bald waren 45000 Soldaten der Bundeswehr im inländischen Hilfseinsatz. Es war das Geld der Wähler, das er verteilte, und es waren die Profis, die ohne ihn nicht schlechter vorangekommen wären, welche tatsächlich die Hilfe leisteten. Doch Schröder war es, der das wirkungsvollste aller politischen Symbole hier anwenden konnte: Ich will euch führen, ich muss euch führen, es ist gut, dass ich euch führe.
Wenn eine Katastrophe übers Land hereinbricht, ist die Präsenz eines politischen Häuptlings am „Ground Zero“, dem Zentrum des Desasters, vom rein praktischen Aspekt her nicht nur sinnlos, sie ist oft direkt kontraproduktiv. Es gibt nichts, was der Profipolitiker den spezialisierten Rettungskräften sinnvoll sagen könnte. Soll der Jurist dem Technischen Hilfswerk schlaue Tipps geben, wie die Sandsäcke zu stapeln seien? Es ist nicht nur nicht hilfreich, es behindert manchmal sogar die Rettungsmaßnahmen nicht unerheblich. Statt schnellstmöglich Sicherheit und Ordnung wiederherzustellen, sind Sicherheitskräfte mit dem Wohlergehen von Promis und Journalisten beschäftigt.
Das alles sieht der Fernsehzuschauer nicht. Man könnte meinen, dass wenn die Katastrophe übers Land kommt, der Wähler zum verängstigten Cro-Magnon wird, zitternd, hoffend, dass der Häuptling die Keule schwingt und zum Angriff auf die Sturmflut bläst – und sei es wie der König Xerxes, der das Meer auspeitschen ließ, um Poseidon zu strafen. Wichtig ist, dass endlich jemand was tut.