01.12.2024

Kein Recht auf Arbeit

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Bild: »Freiheit zur Arbeit«
Entgegen populistischer Demagogie existiert kein »Recht auf Arbeit«. Jobs und Gehälter folgen aus Nützlichkeit und Notwendigkeit. Nützlichkeit aber bedeutet Sinn. – Demnächst werden sich Zig- und Hunderttausende die »Sinnfrage« neu stellen (müssen).
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Arbeitsplätze gehen verloren – habt ihr davon gehört?! Natürlich habt ihr davon gehört, ganz aktuell, wann präzise ich euch auch diese Frage stelle.

Dass Arbeitsplätze zu Tausenden verlorengehen, ist ein wöchentlicher Refrain der aktuellen deutschen Politik. (Und 80 Prozent der Wähler wollen, dass es so weitergeht.)

Ich will hierzu Physiklehrer Professor Bömmel channeln, indem ich sage: »Da stelle ma uns mal janz dumm« und dann frage: »Was ist eejentlich ein ›Arbeitsplatz‹?«

Ist doch (un-)klar

Die schwierigsten Fragen der Philosophie sind oft jene, auf die man antworten will mit: »Ist doch klar!«

Da wäre die Frage nach der Natur des Ich, nach Gut und Böse, nach der Bedeutung von Bedeutung – aber übrigens auch nach dem Wesen von Geld.

»Ist doch klar«, will man zunächst antworten, doch dann wird man zurückgefragt, idealerweise von einer prüfenden Instanz des eigenen Verstandes: »Okay, du kannst das Wort zuverlässig im Alltag verwenden. Wie würdest du es aber jemandem erklären, der damit keine Erfahrung hat? Was ist die Definition

Ähnlich könnte es sich mit dem Arbeitsplatz verhalten. Genauer: Mit der Natur des Arbeitsplatzes.

Was ist ein Arbeitsplatz, was ist seine Bedeutung?

Gefühlt und gelebt

Ein zynischer Versuch der Definition von »Arbeitsplatz«, der sich für zu viele Menschen als begrifflich vollständig ausreichend erweisen könnte, ginge etwa so: »Ein Arbeitsplatz ist, wo man täglich hingeht und am Ende des Monats dafür Geld bekommt. Und was man dort tut, ist auf irgendeine Weise mühsam, und ohne das Geld wäre man nicht hingegangen.«

Seien wir wie immer ehrlich: Wer je gearbeitet hat, der hat an manchen Tagen – oder über Jahrzehnte – auch diese zynisch-sarkastische Definition von »Arbeitsplatz« gefühlt und gelebt.

Und doch versteht auch der Arbeiter (hoffentlich), dass es nicht der Sinn des Arbeitsplatzes ist, ihn zu quälen oder ihm Geld zu geben.

Bei »Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen« in Sozialstaaten hält man Menschen mit Arbeit beschäftigt und gibt ihnen Geld. Die direkten Folgen dieser beiden Aspekte (dass die Leute »von der Straße« sind und etwas Geld bekommen) sind der Zweck der Maßnahme, und bisweilen ist explizit kein Sinn außer diesen beiden Aspekten sichtbar.

Folglich hat sich »ABM« als abschätzig-zynische Beschreibung für gefühlt sinnlose Tätigkeiten etabliert. (Am Rande: Ich möchte etwa allen ABM-Landschaftspflegern versichern, dass die Reinigung und Pflege des lokalen Parks das Leben vieler Menschen schöner macht und also Sinn hat.)

Was dem Konzept der »ABM« schmerzlich fehlt, kann uns allerdings helfen, das Wesen von Arbeit zu verstehen.

Die Früchte seiner Mühe

Schon in der Bibel werden Lohnarbeit und die ethischen Regeln darum debattiert.

  1. Mose 24:14–15a führt aus: »Dem Tagelöhner, der bedürftig und arm ist, sollst du seinen Lohn nicht vorenthalten, er sei von deinen Brüdern oder den Fremdlingen, die in deinem Land und in deinen Städten sind, sondern du sollst ihm seinen Lohn am selben Tage geben, dass die Sonne nicht darüber untergehe – denn er ist bedürftig und verlangt danach«.

Dass der Tagelöhner sein Gehalt erhalten soll, schlicht um überleben zu können, wird dort ohne abschätzige Bewertung dokumentiert. Ja, es dient als ethische Begründung, warum Gehalt zuverlässig ausgezahlt werden soll.

Die Bibel betont immer wieder die heilige aber auch seelisch wohltuende Qualität von Arbeit. Prediger 2:24 etwa betont, wie gut es dem Menschen tut, die Früchte seiner Mühe zu genießen. Epheser 4:28 beschreibt eine heiligende Wirkung der Arbeit, die sogar einem ehemaligen Dieb zukommen kann, wenn seine Arbeit dem Wohl der Bedürftigen dient.

(Nicht nur) meine liebste Bibelpassage zur Arbeit ist natürlich das Gleichnis von den anvertrauten Talenten (Matthäus 25:14–30).

Gott (und damit: die Grundregeln aller Existenz) wird beschrieben als ein Unternehmer, der seinen Knechten verschiedene Mengen Gold (»Talente«) zur Verwaltung übergibt, um sich dann auf Reisen zu begeben. Bei seiner Rückkehr bewertet er die Knechte danach, was sie aus den anvertrauten Talenten machten. Aus dieser Bewertung stammt die Redeweise: »Wer hat, dem wird gegeben werden, und wer nicht hat, dem wird auch das, was er hat, genommen werden.«

Der Schlussvers dieses Gleichnisses aber beschreibt jenen Vorgang, dessen Umsetzung man sich bezüglich mancher Sinnlos-Bürokraten von DEI-Bullshit-Jobs wünschen würde (und zumindest für die Trump-USA erhofft): »Den unnützen Knecht werft hinaus in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern.«

Sichern oder Verbessern

Auch wenn du deinen Job des Geldes wegen tust, so ist (außer im stets todgeweihten Sozialismus) nicht der erste Zweck deiner Arbeit, dir ein Gehalt zu verschaffen.

Der erste und einzig echte Zweck von Arbeit ist es stets – oder sollte es sein –, der Gesellschaft und/oder den Einzelnen das Leben zu sichern oder zu verbessern.

Ein Friseur erlebt die Lebensverbesserung seiner Kunden unmittelbar.

Der Manager einer Fabrik tut klug daran, den Fabrikarbeitern regelmäßig vorzuführen, wie das Endprodukt das Leben der Kunden verbessert. (Auch die Arbeiter in einer Yacht-Fabrik sind stolz auf ihr glücklich machendes Produkt, das sie sich selbst niemals werden leisten können.)

Der Sinn von Arbeit liegt darin, selbst und direkt das Leben von Menschen zu sichern und zu verbessern oder Anteil an einem größeren Projekt zu haben, das das Leben von Menschen sichert oder verbessert.

Was aber, wenn das Leben von Menschen wie bisher gesichert und verbessert werden kann, aber neue Technologien oder kulturelle Verschiebungen plötzlich zigtausende Menschen dafür »überflüssig« machen?

Der Westen hat es ja schon mal erlebt, als die Textilmaschinen die Weber überflüssig machten …

Fabrik oder Firma

Es gibt keine universelle Regel des Universums, welche besagt, dass jeder Mensch eine Arbeitsstelle in einer Fabrik oder Firma finden muss. Tatsächlich ist ein solcher Zustand aus geschichtlicher Perspektive eine Anomalie.

Artikel 23 der UN-Menschenrechte von 1948 mag ein »Recht auf Arbeit« und ein »Recht auf Schutz vor Arbeitslosigkeit« fordern, doch woraus außer wohligem Bauchgefühl sollte sich das herleiten?

(Warum sollte es in Deutschland groß beachtet werden, selbst wenn es wohlbegründet wäre? Schließlich werden im Neuen Deutschen Totalitarismus ja auch Artikel 18 (Gewissensfreiheit), Artikel 19 (freie Meinungsäußerung) und Artikel 21 (gleicher Zugang zu öffentlichen Ämtern) laut höhnend ignoriert.)

Erst langsam und dann …

Ein Mensch mag zur Arbeit gehen, um Geld zu verdienen und sich zu ernähren. Doch wenn ihm gekündigt werden sollte, wird er oft genug selbst dann, wenn er etwa finanzielle Unterstützung vom Staat erhält, in eine Sinnkrise verfallen.

Wem gekündigt wird, der stellt meist fest, dass er unbewusst wohl doch einem sinnvollen größeren Ziel diente und ihm die Arbeit ein Gefühl von Sinn jenseits des Gehalts gab.

Es ist abzusehen, dass in Deutschland durch 1. grobe Idiotie und blanke Boshaftigkeit der deutschen Regierung, 2. absehbare technische Umwälzungen durch künstliche Intelligenz und 3. das deutsche Bildungsdesaster (verschärft durch Demografie und Migration) weitere Zig- und Hunderttausende arbeitslos sein werden.

Die Regierung wird versuchen, diese Entwicklung noch eine Zeit lang mit Bullshit-Jobs zu übertünchen. Doch das gelingt schon jetzt kaum noch. Mit zerfallender Infrastruktur, intellektueller Verödung et cetera steuert das Land auf eine soziale Klippe zu.

Für das Absehbare gilt ähnlich wie für gewisse Arten von Krebs: Erst geht es langsam und dann schnell.

Bisheriges und Neues

Auch und gerade der, der meint, sein Job sei »sicher«, sollte sich die Frage stellen, welchen Sinn seine Arbeit in fünf Jahren noch ergeben wird.

Wessen Leben sicherst du heute? Wessen Leben verbesserst du heute? Und dann: Wie sicher bist du, dass künstliche Intelligenz und/oder ausländische Dienstleister dies nicht ähnlich gut, aber viel billiger erledigen können?

Jeder Einzelne – und damit »die deutsche Arbeiterschaft« – sollte sich heute schon die Sinnfrage stellen, und zwar möglichst bevor »der Arbeitsmarkt« dir die Sinnfrage aufzwingt.

Der Mensch stellt sich die Sinnfrage zu Beginn und dann wieder gegen Ende seines Lebens. Wenn der Arbeiter sich heute die Sinnfrage stellt, dann tut er das aus beiden Perspektiven.

Stelle dir die Sinnfrage, weil das Bisherige zu Ende geht. Etwas Neues beginnt, und es liegt an dir (und seien wir wie immer ehrlich: auch an deinem Glück), wie viel Sinn du innerhalb des Neuen finden wirst.

Die wir mit uns tragen

Was ist sinn-voll?

Wie verhindere ich, von Markt und Gesellschaft als unnützer Knecht zum Heulen und Zähneklappern in die Finsternis geworfen zu werden?

Was wird morgen noch wahr sein?

Die Feuerzangenbowle lehrt uns: »Wahr sind nur die Erinnerungen, die wir mit uns tragen, die Träume, die wir spinnen, und die Sehnsüchte, die uns treiben.«

Wohl dem, der für sich eine Arbeit findet, auf die er mit zufriedener Erinnerung zurückblickt und die zugleich ausreichend nah an möglichen Träumen liegt. Sei diese Arbeit das Schreiben von Essays, bei denen man sich zunächst »janz dumm« stellt, oder die theoretische Erkundung – wenn nicht sogar der praktische Bau! – von Dampfmaschinen.

Weiterschreiben, Wegner!

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