Ihr Lieben, liebe und geschätzte Leser, Ihr natürlich seid klug. Die anderen jedoch – ihr wisst schon, wovon und von wem hier geschriebene Rede ist –, diese anderen, wie blöd sind denn bitte die?!
Hach, verzeiht meine Derbheit. Ich will aus meinem Herzen keine Statistik machen. Ich sollte meine Wut zügeln, gewiss, doch von Zeit zu Zeit muss man dem Gaul die Zügel lassen – sonst bricht das Zaumzeug ihm noch den Kiefer!
Prüfe (sich) selbst
Es gilt aber auch weiter: Prüfe alles (und alle), glaube wenig, denke selbst!
Ich prüfe mich also selbst, prüfe meine schimpfenden Salven, klinge bald selbst wie einer von jenem parteigewordenen Abmahnverein, und ich stelle fest: Zu jenen anderen, die gerade nicht hier und also schmerzhaft dumm sind, zählt auch jener Mensch, der ich gestern war.
Zur Wahrheit gehört: Aus heutiger Perspektive war ich gestern sehr dumm. (Wir tun an dieser Stelle einfach mal so, als würde uns nicht erneut bewusst, dass an den Universitäten stets nur die Klugheit von gestern und vorgestern gelehrt wird. Ach, wenn das Gelehrte nur auch mal mit der Realität korrespondierte, ist man ja schon halbwegs froh.)
Früher war ich dumm, aber heute, liebe Weggefährten, heute bin ich klug und weise. Ich bin überhaupt an jedem Tag der Klügste, der ich je war. Der Mensch aber, der ich gestern war … was für ein Trottel war das doch, was für ein Troll!
Durch schüchterne Risse
An diesem Punkt öffnen sich dann doch zarte Risse in meinem Selbstbewusstsein und hindurch bricht das seltene Licht der Bescheidenheit.
Ein Problem fällt auf, und es hat damit zu tun, was Richter die »allgemeine Lebenserfahrung« nennen (womit sie unfreiwillige Einblicke in Leben und Denken deutscher Richter geben).
Es ist nach bewährter Erfahrung davon auszugehen, dass ich morgen in weniger und nicht in mehr Angelegenheiten falschliege.
Also werde ich morgen – und umso mehr in einem Jahr und einem Jahrzehnt! – mit Berechtigung sagen können: Wie falsch ich doch lag! Was für ein Esel doch das Viech gewesen ist, das ich damals – also heute, schreibend – war!
Hieraus aber, mit der mathematischen Schärfe eines Descartes schließend – mindestens! –, gelange ich zum zu Recht zurechtstutzenden Schluss: Ich bin (’s ist möglich und wahrscheinlich) schon heute schrecklich unwissend. Eine ernüchternde Erkenntnis. Doch: Jeder andere Schluss wäre der Täuschungen dämonischste, nämlich die Selbsttäuschung.
Wie nie zuvor
»Wenn jemand meint, er habe etwas erkannt, der hat noch nicht erkannt, wie man erkennen soll«, so schreibt Paulus an die Korinther. Was ich auch meine, heute erkannt und verstanden zu haben: morgen kann ich es besser verstehen – und alles daranzusetzen an dieses bessere Erkennen, das soll dein Auftrag sein.
Heute sind wir relativ dumm – wenn auch längst nicht so absolut wie die anderen dumm sind.
Morgen aber, Freunde – klug wie nie zuvor werden wir morgen sein!