Über meinem Schreibtisch hängt eine übergroße Wanduhr (59 cm Durchmesser, Model »Bravur« von Ikea). Es ist, auf philosophische Weise betrachtet, das wichtigste meiner Arbeitsgeräte.
Nein, in dieser elektronischen Zeit herrscht wahrlich kein Mangel an Zeitmessgeräten. Auf dem Smartphone. Am Handgelenk.
Während ich die erste Fassung dieses Textes tippe, zählen oben rechts auf dem Bildschirm die Sekunden hoch: Es ist 7 Uhr, 35 Minuten und 38 Sekunden. Ich bin heute relativ spät am Platz, denn ich hatte mir unterwegs noch ein Frühstück gekauft.
Schwarzer Kaffee und ein gegrilltes Brötchen mit Hühnchen und Salat – das wärmt Bauch und Seele. Ich schreibe dies auf, um mich selbst daran zu erinnern, dankbar zu sein. Dankbar, und zwar nicht auch für die kleinen Momente, sondern gerade für die kleinen, schönen und für immer verflossenen Momente. Werd ich zum Frühstück sagen: Verweile doch, du bist so nahrhaft!
Das Essen eines Brötchens, so habe ich die Maschine ausrechnen lassen, nimmt 0,00002375 Prozent eines Menschenlebens ein. (Angenommene Werte: 10 Minuten fürs Brötchen, 80 Jahre fürs Leben; kann abweichen für langsame Esser oder schnelle Leber.)
Ein heutiges Menschenleben dauert durchschnittlich 0,00000000008 Prozent der geschätzten Lebensdauer des Universums.
Bei dieser Berechnung gehen wir vom Heat Death des Universums aus, und zwar nach 100 Billionen Jahren, von denen »wir« bereits 13,8 Milliarden absolviert haben.
Denkt aber nicht, dass ihr ganz so viel Zeit habt!
Deutlich früher, nämlich in etwa 1 Milliarden Jahren, wird die Sonne um etwa 10 Prozent heißer sein als heute und die Ozeane werden verdampfen (was man mit einer »Sonnensteuer« auszugleichen versuchen wird). Die Sonne wird dann weiter heißer und größer werden, und in etwa 5 Milliarden Jahren wird sich die Sonne zu einem Roten Riesen aufblähen.
Sie wird sich die nächstfliegenden Planeten Merkur und Venus einverleiben (nachdem dort aggressive Kampagnen gegen »Sonnenphobie« liefen). Ob dann auch die Erde in der Sonne aufgehen wird, ist noch unklar. Womöglich wird es auch bloß etwas wärmer, geschätzt etwa zweitausend oder dreitausend Grad. Die Atmosphäre wird längst verdampft, das Gestein zu Lava geschmolzen sein. Kurz: Die Wetterverhältnisse werden endlich zu den Farbskalen passen, die der Staatsfunk in der Wettervorhersage schon heute verwendet.
Was wollte ich sagen? Ach ja, das auf dem Grill angebratene Brötchen mit dem schwarzen Kaffee war lecker – die kleinen Freuden im Leben eines Essayisten, Anlässe zur Dankbarkeit. Jeder Moment kommt nur einmal.
Der kleine Zeiger der sehr großen Wanduhr zeigt inzwischen auf »8«, und der große Zeiger, wenn die Uhr ein Kompass wäre mit dem Norden bei »12«, zeigt nach Nord-Ost (er zeigte nach Nord-Nord-Ost, als ich diesen Satz begann).
»Heat Death« bedeutet zu Deutsch natürlich Hitzetod. In diesen Tagen wird von der deutschen Propaganda die Hitzegefahr als Sau des Jahres durchs nationale Dorf getrieben.
Temperaturen, die man früher bejubelt und mit leckerem Langnese-Eis gefeiert hätte, werden heute als Grund zur Panik eingerahmt. Erinnert ihr euch an die Langnese-Werbung? Hach, es war ein besseres, klügeres, leichteres und, ja, menschlicheres Deutschland. Wann nur verfuhr sich die Nation derart?
Der Hitzetod ist aber nicht die einzige Theorie für das Ende des Universums. Andere Theorien sind der Big Freeze und Big Chill, also das große Einfrieren oder das große Abkühlen.
Auch das sind natürlich mögliche Schreckensszenarien für unsere nähere Entwicklung. Vor einem halben Jahrhundert warnten Wissenschaftler vor bevorstehenden Eiszeiten (siehe etwa spiegel.de, 11.08.1974). Da alles zyklisch ist, wird wohl auch das bald wiederkommen (und dann wird die Antifa auf Leute einprügeln, die sich nicht warm genug anziehen).
Während die unbarmherzigen Uhren um mich her ihre Sekunden hochzählen – und damit meine und eure herunterzählen –, erfahre ich bei der relevanten Wikipedia-Lektüre von einer weiteren Theorie zum Ende des Universums: The Great Whimper – das große Gewimmer.
Hach, das kann doch kein Zufall sein! Betreffs der Zukunft unserer lieben Heimat habe ich schon 2019 einen prophetischen Essay geschrieben. »Nicht mit einem Knall, sondern mit Gewimmer« hieß der.
Was für spannende Parallelen! Die Wissenschaft ist sich bloß nicht sicher, ob wir alle den Hitzetod, den Kältetod oder den »Tod mit Gewimmer« sterben. Doch dass die Zukunft Deutschlands und die des Universums aneinander geknüpft sind, ist nicht mehr zu leugnen. (Und wer es doch leugnet, der ist, moderner Logik folgend, eben ein Universumsleugner.)
Deutschland ist ein Universum und das Universum ist Deutschland. Du und ich aber, wir sind kleine Planeten und fliegen umher, jeder in seiner Kreisbahn. Und dieser Planet sollte sich noch einen Kaffee holen – und wohl auch ein wenig abkühlen.