Finde dich damit ab: Du bist in der Minderheit, wir sind in der Minderheit, und wir werden auf absehbare Zeit in der Minderheit bleiben.
»Wir sind mehr«, so grölt der blöde Mob, damals wie heute, und sie haben leider recht.
»Wir sind gebildet«, so schreien sie frech, »und ihr seid es nicht, denn ihr hinterfragt, was die Autoritäten sagen.«
»Bildung« besteht realiter darin, erfolgreich zu reproduzieren, was Autoritäten als Wahrheit festlegten.
Und das funktioniert auch für den Betrieb der Gesellschaft – meistens.
Eisen im Hirn
Wenn ich zum Arzt gehe, dann bin ich froh, wenn er den Stand der medizinischen Wissenschaft kennt, und sich nicht ad hoc etwas ausdenkt. Der Arzt soll also klassische medizinische Bildung genossen haben.
Jedoch, vergessen wir nicht, dass auch die Ärzte des Mittelalters »gebildete« Leute waren, die ihren Autoritäten vertrauten.
Die medizinischen Autoritäten des Mittelalters empfahlen Aderlass für und gegen alles (siehe Wikipedia), Quecksilber bei Syphilis (siehe Wikipedia), und zwischendurch ein Tabakklistier zur Belebung, bei welchem du nicht mit dem Mund, sondern mit dem anderen Ende jener langen Röhre eine rauchst (YouTube-Tipp: interessantes Video zur Geschichte des Klistiers).
Bis vor einigen Jahrzehnten war es der neueste Stand medizinischer Bildung, dass man an Leuten, die sozial störten, eine Lobotomie durchführte (siehe Wikipedia).
Das heißt: Man zerstörte mechanisch Teile des Gehirns, bis dessen Besitzer eben nicht mehr störten – und zum Teil für den Rest ihres traurigen Lebens die Wand anstarrten.
Und bevor Sie mir sagen, dass die Lobotomie, auch »Leukotomie« genannt, doch auch umstritten war, dann würde ich gern erwähnen, dass deren Erfinder, António Egas Moniz, für diesen Wahnsinn im Jahr 1949 den Nobelpreis erhielt, zusammen mit Walter Rudolf Hess, einem Mitglied der Leopoldina seit 1925 (siehe Wikipedia).
»Glaube nur der Wissenschaft!«, so sagte der Arzt mindestens implizit, als er mit dem Hammer das scharfe Eisen in den Schädel des Patienten schlug.
Und wer der Lobotomie nicht vertraute, der war wohl ein Schizophrenie-Leugner, denn heute gilt den »Gebildeten« jeder, der eine fragwürdige Lösung anzweifelt, als Leugner des Problems – oder eben als »ungebildet«.
Denkbar kompatibel
Als wir in der Schule über Diktaturen lernten (also besonders über die eine, deren jahrelanger Vermittlung die drei Fächer Geschichte, Deutsch und Sozialkunde gewidmet waren), wurde immer wieder betont, dass auch und besonders die »gebildeten« Schichten sich willig mit der Macht arrangierten, ja, sie begrüßten den jeweiligen »starken Mann« sogar!
Es wurde nicht wirklich erkundet, zumindest nicht im Unterricht, warum dem so war. Dabei ist die Erklärung denkbar einfach: Erfolgreiche Bildung ist die belegte Fähigkeit, die Erkenntnisse und Meinungen von Autoritäten zu reproduzieren und sie sogar für wahr zu halten. (Siehe auch »Misstraut den Gebildeten!« vom 11.06.2018.)
Diktatur und Bildung, so wie Bildung in der Realität in Erscheinung tritt, sind leider erwiesenermaßen denkbar kompatibel.
Ja, es wäre schön, wenn »Bildung« bedeuten würde, dass der Mensch kritisch zu denken lernt, dass er die wissenschaftliche Methode versteht und auch in seinem privaten Denken anzuwenden sucht.
Und in einem utopischen Idealzustand wäre es der Fall, dass der Mensch, der sich »gebildet« nennt, auch und zuerst an der Seele gebildet ist. Vielleicht sogar mit der Bildung der Umgangsformen als Bonus.
Dies ist aber keine ideale Welt.
Trottel und Trottelinnen
Die meisten Menschen sind faul, und die meisten Gebildeten sind Menschen, also sind auch die meisten Gebildeten faul, und deshalb werden auch die Gebildeten versuchen, mit so wenig Mühe wie möglich als gebildet zu gelten, und daher sparen sich die Gebildeten das Hinterfragen in öffentlicher Sache und die Erkenntnis in eigener Sache, und falls Sie, lieber Leser, sich an dieser Stelle fragen, wie viele Kommas dieser Satz verwendet, habe ich für Sie nachgezählt, und es sind bis hierhin elf, und jetzt schon zwölf, und hier kommt endlich der.
Hat euch der letzte Satz etwas Spaß gemacht? Ich habe ihn für uns geschrieben. Für uns, die Minderheit. Für die Minderheit, welche sich noch an den Möglichkeiten der deutschen Sprache erfreut (und der schon deshalb das tatsächlich ungebildete Gestammel gewisser Trottel und Trottelinnen in der Politik so zuwider ist).
Das Messer der Mehrheit
Die sind mehr, und wir sind weniger, und da Staatsfunk und Propaganda die breite Masse genau so haben wollen, wie die breite Masse ist – nämlich: breit – werden wir auch absehbar eine Minderheit bleiben. Wir sind die eine Minderheit, für die kein Minderheitenschutz gilt.
Bisweilen mag es taktisch klug sein, sich mit der Masse gut zu stellen, mit diesen Buckligen, die auf ihren Buckel stolz sind und ihn »Bildung« nennen. Doch wir wissen, wie es sich wirklich verhält.
»Warum folgt man der Mehrheit? Etwa weil sie mehr Vernunft hat?«, so fragt Blaise Pascal, und er antwortet: »Nein, sondern weil sie mehr Macht hat.«
Wenn wir der Mehrheit folgen, dann tun wir es immer öfter so, wie man einem Räuber die Wertgegenstände übergibt, nicht weil der Räuber einen moralischen Anspruch darauf hätte, sondern weil er uns das Messer an die Kehle hält.
Die große Frage
Am Ende des Tages – und am Ende der Tage – wird die Frage nicht lauten, ob du in der Mehrheit warst oder nicht. Und wenn überhaupt, hat die Geschichte doch oft und nachdrücklich genug gezeigt, dass die Masse auch ohne Lobotomie reichlich blöde wirkt.
Ob du in der Minderheit oder in der Mehrheit warst, oder mit dem einen Bein in der einen Gruppe und mit dem anderen entsprechend, die große Frage am Ende wird immer lauten: Hast du einen jeden deiner Tage gut genutzt?
Ich will diesen Essay mit einem Gedanken aus meinem neuen Buch übers Loslassen schließen – und dich damit in den Rest deines Tages entsenden: Ob du in der Minderheit oder Mehrheit warst – mögen deine Tage ihrer Mühe wert gewesen sein!