14.03.2025

Man kämpft, man kämpft

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten
Wer kämpft, so heißt es, der hat noch nicht verloren. – Schöne Redeweise, wären da nur nicht die Beispiele von Verlorenen, die auf verlorenem Posten weiterkämpften. War deren Hoffnung nicht simpler Irrtum? – Und überhaupt: Wofür soll man heute kämpfen?

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Man fragt mich, wie es mir denn so geht, und ich sage: »Man kämpft, man kämpft.«

Das fragende Gegenüber ist von meiner Antwort wohl angetan, denn es antwortet wiederum: »Ja, kämpfen ist gut! Wer kämpft, der hat noch nicht verloren!«

Ich lächle, und zwar auf jene Art, bei der man die Muskeln um die Augen zusammenzieht, um Aufrichtigkeit zu signalisieren, und den Mund in seitliche Spannung bringt, aber doch nicht die Zähne bleckt.

Es soll energische Positivität signalisieren, ohne die projizierte Ernsthaftigkeit durch Fröhlichkeit zu verwässern.

Bei mir aber denke ich: Was für einen Unsinn wir hier doch wieder reden! Natürlich kann, wer kämpft, schon längst verloren haben!

Wir kennen etwa die Erzählungen von Soldaten, die nicht hörten – oder nicht wahrhaben wollten –, dass der Krieg vorbei war und ihre Seite verloren hatte, die also weiter ihren Posten und also ihren Sinn verteidigten und auf diese Weise kämpften.

Bekannt ist etwa Hiroo Onoda, Japaner und Nachfahre von Samurai-Kriegern. Onoda kapitulierte erst 1974 – und damit 29 Jahre zu spät. Bis dahin hielt er seinen Posten auf einer Insel in den Philippinen (siehe Wikipedia).

All das sage ich aber nicht laut, denn ich bin zivilisiert.

Zivilisiert zu sein, das bedeutet, nur das zu sagen, was einer angenehmen Stimmung nicht abträglich ist. Die Zivilisierten sind die funktionierenden Rädchen ihrer Gesellschaft, der »Zivilgesellschaft«, über deren wahre Mechanik man besser nichts sagt – zumindest nicht laut.

Ich überlege derweil, weiter innerlich, was der innere Kampf mit einer äußeren Kampfhandlung gemeinsam hat.

Ja, jener Japaner, der knapp drei Jahrzehnte ausharrte und »kämpfte«: Worin genau bestand sein Kämpfen?

Er überlebte auf seinem Posten und nannte es, seinen »Posten zu halten«, doch ist Überleben schon Kämpfen? (Ja, ich sehe euer heftiges Nicken.)

Wenn ich sage: »Man kämpft, man kämpft«, dann meint das nicht zwingend außergewöhnliche Handlungen, die von außen als Kampfhandlungen zu erkennen sind.

Wenn ich meine Zähne putze, meine Hose anziehe, einen Kaffee und ein Brötchen frühstücke – kann das nicht auch schon ein Kämpfen sein?

Wer kämpft, der handelt mit einem Sieg als Ziel, einem Sieg über etwas, über jemanden.

Nicht immer kann er genau nennen, worin sein Ziel, sein Sieg, sein Gegner besteht – aber er weiß, dass er kämpft.

Die Möglichkeit zu siegen ist die Hoffnung der Kämpfenden.

Der äußere Bestandteil der Hoffnung ist die Möglichkeit, erfolgreich zu sein – der innere Bestandteil ist die Arbeit am Eintreten dieser Möglichkeit – das Rechnen mit dieser Möglichkeit.

Ein Beispiel: Wer gegen eine Krankheit kämpft, hofft auf das Eintreten möglicher Genesung, der arbeitet daran, dass die Möglichkeit eintritt.

Die Genesung wäre der Sieg gegen die Krankheit, also besteht die Hoffnung aus ebendieser.

Was meine ich nun, wenn ich sage, dass ich kämpfe? Ich sage ja nicht bloß, dass ich kämpfe, sondern dass »man« kämpft.

Man kämpft, man kämpft: das Kämpfen als Grundeigenschaft der Conditio humana. Der basalste innere Kampf, der alle Konflikte und Momente durchzieht, unabhängig von allen äußeren Feinden, ist doch ein Kampf gegen Sinn- und Freudlosigkeit.

Wir müssen uns Sisyphos bekanntlich als einen glücklichen Menschen vorstellen, denn Sisyphos ist ein Sieger, wieder und wieder, und zwar jedes Mal, wenn er aufs Neue beschließt, den Stein den Berg hinauf zu schieben.

Der innere Abgrund als letzter Feind – die Abwesenheit von Freude als vorletzter Feind, der Mangel an Sinn als letzter Feind dann. (Es ist ein interessanter, aber riskanter Entwurf, den letzten Feind schon früh in seinem Leben anzugehen. Früh im Leben weiß man noch weniger als später, mit welchen Waffen man eine Hoffnung hat.)

Ich kämpfe, so denke ich bei mir. Man kämpft, und ich kämpfe. Und dieser Kampf ist meine Arbeit. Ich arbeite in Richtung von Möglichkeiten, deren Manifestation berechtigt »Sinn« genannt werden könnte. (Was glaubt ihr denn, dass das hier ist?!)

All das denke ich bei mir, doch ich sage es nicht laut, denn ich möchte ja als zivilisiert gelten.

Ich sage nur: »Hmm, hmm.«

Ich bewege den Kopf auf eine Weise, die zwar kein zustimmendes Nicken ist, doch von meinem Gegenüber für ein solches gehalten werden könnte. Ich tue das absichtlich, und es wird mir bewusst, dass ich mein Gegenüber damit täuschen wollte. Also wechsle ich, innerlich vor Scham errötend, zum verneinenden Kopfschütteln.

Dieses Kopfschütteln aber hält mein Gegenüber nicht für die Verneinung seiner Behauptung, wer kämpfe, der habe noch nicht verloren, sondern für melancholischen Weltschmerz, was auch wieder eine Fehldeutung ist, aber diesmal zumindest keine von mir beabsichtigte. Ich zucke, natürlich nur innerlich, mit den Schultern, dann lasse es ansonsten darauf beruhen.

Zufrieden mit dieser initiierenden Interaktion wechselt mein Gegenüber von der Begrüßung zum Alltagsplausch über aktuelle Nachrichten, über gigantische Schulden, gigantische Lügen, Kriegsvorbereitungen – ich zeige die erwarteten Zeichen von Empörung und Interesse, also Gestikulation, erhobene Augenbrauen und so weiter. Und zugleich ich denke: Das ist sie wohl, die Conditio germanica, und nach dem Krieg ist vor dem Krieg. – Ach ja, Dazwischenwesen sind wir doch, immer zwischen zwei Kriegen.

»Man kämpft, man kämpft«, so sage ich wieder, um eine gedankliche Klammer zu setzen.

Und wenn ich mich so höre, fällt mir auf, dass sich dies auch auf das Volk beziehen könnte, in dessen Sprache ich denke, fühle, schreibe.

Man kämpft, man kämpft, und man sollte doch nur kämpfen, wo Hoffnung ist, sonst kämpft man tatsächlich auf verlorenem Posten.

»Es kommen Zeiten, und sie sind längst da, in denen wir um das Recht kämpfen werden, nicht kämpfen zu müssen«, so denke ich, und ich stelle fest, dass ich das wohl tatsächlich laut gesagt habe, denn mein Gegenüber schaut ganz irritiert, als hätte ich etwas sehr Unzivilisiertes gesagt.

Weiterschreiben, Wegner!

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