Dushan-Wegner

01.01.2022

Wenn Masken (zu spät) fallen

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Foto von Andre Benz
Claus Kleber hört auf – und stellt plötzlich fest, dass es Ideologie beim Staatsfunk gibt. Sowas! Das hat er vorher nicht gewusst? – Ach, nicht jede Lüge besteht aus Worten, manche Lüge besteht aus einem ganzen Berufsleben.
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Wir tragen Masken, und das, bildlich gesprochen, nicht erst seit der Corona-Panik. Jene Masken aber, die ich hier natürlich meine, die tragen wir vor dem Charakter.

Der Charakter eines Menschen ist laut Duden das »Gepräge eines Menschen durch ererbte und erworbene Eigenschaften, wie es in seinem Wollen und Handeln zum Ausdruck kommt«.

Wir sagen Dinge, die wir nicht so meinen. Wir tun Dinge, die wir tief in uns drin eigentlich nicht tun wollen. Unsere ganzen und halben Lügen, in Aussagen und in Handlungen, sie erfüllen oft die Funktion von Masken. Wir wollen, vor anderen und zu oft vor uns selbst, anders erscheinen, als das, was wir wirklich sind und wollen.

Die einfache Corona-Maske soll ein Schutz der Umwelt vor unseren Viren sein, die besseren Masken sollen uns vor den Viren anderer schützen.

Mit den Masken vor dem Charakter ist es ähnlich: Wir tragen sie, um andere nicht zu verletzen – etwa wenn wir lieber den Mund halten, statt ehrlich unsere Meinung zu sagen. Oder wir tragen eine Maske, um zu verhindern, dass andere Leute unsere Schwächen sehen und ausnutzen. Und bei Gelegenheit tragen wir eine Maske, weil wir genau dafür bezahlt werden.

Gründe des Maskenfalls

Jedoch, manchmal im Leben lassen wir »unsere Masken fallen«, und die Gründe dafür sind verschieden.

Wir könnten unsere Masken zum Test fallen lassen! Vielleicht haben wir einen Menschen kennengelernt, dem wir potenziell näher kommen wollen. Wir lassen dann ganz bewusst unsere Maske fallen und geben einen Blick auf unser »wahres Ich« frei – und wir testen so aus, wie der andere Mensch reagieren wird, ob es aussichtsreich und nicht zu gefährlich ist, ihn tatsächlich in unser Leben zu lassen.

Oder wir könnten unsere Masken fallen lassen, weil wir es schlicht müde sind, uns zu verstellen. Zu Lügen erfordert Stress, auch das sozial akzeptable Lügen durch Weglassen.

Wir könnten unsere Masken auch taktisch vorübergehend ein wenig nach unten ziehen. Indem wir etwas echte Wahrheit von uns preisgeben, könnten wir verschiedene positive Reaktionen vom Gegenüber erwarten, etwa dass dieser selbst »nützliche Informationen« von sich preisgibt, oder dass unser »Publikum« uns generell für einen »ehrlichen Charakter« hält, und uns also eher vertraut.

Vielleicht lassen wir die Maske auch deshalb fallen, weil wir uns erstens unserer eigenen Endlichkeit bewusst werden, und zweitens der Tatsache, dass unsere besondere Art der Maske uns zum Lügner macht, woraus wir dann drittens nicht ganz falsch ableiten, dass unsere Existenz auf Erden die Existenz eines Lügners war, was wir im Schlussspurt korrigieren wollen könnten.

Die vermuteten Gründe, warum ein Mensch seine Maske fallen lässt, sind regelmäßig interessanter als das, was hinter der Masken zum Vorschein kommt.

Welche Meinung war Maske?

Ich habe über die Jahre hinweg einige Mal den Herrn Claus Kleber vom deutschen Staatsfunk erwähnt.

In der Einleitung über dem Essay vom 17.3.2020 schrieb ich:

Am 14.3. ist für Kleber die Grenzschließung nah an Merkellästerung – am 15. klingt es plötzlich total logisch. Wenn das Journalismus ist, was ist Propaganda?! Und: Mit welchem Recht kassiert er im Monat locker doppelt so viel wie manche Retter im JAHR?! (Essay vom 17.3.2020, Intro)

Jener Text trug den Titel »Im Krieg offenbart sich der wahre Charakter«. – Wenn Kleber innerhalb von Tagen seine zu allerbester Sendezeit ausgestrahlte Meinung damals um 180 Grad gedreht haben sollte, welche der beiden Meinungen war »echt«? Welche war nur eine »Maske«?

Im Mai 2016, also in den ersten Jahren meines öffentlichen Schreibens, hatte ich im Text »Merkel und ihr merk-würdiger Trick« auch von Herrn Kleber gesprochen, der gewiss in der Lage sein sollte, strategisch günstig eine Träne zu verdrücken.

Im Oktober 2016 dann, analysierte ich im Essay »Regt euch ab« eine vermeintlich offenherzige Aussage des Herrn Kleber als »vollständig richtig« und doch zugleich »vollständig falsch«.

Ich entwickelte dort diese Testfrage, wahrlich nicht nur an Kleber gerichtet: »Wäre Ihre Reaktion ähnlich, wenn die andere politische Seite das getan hätte? Wenn nein, könnte Ihr Satz auch von einem Heuchler stammen.« – Man könnte auch sagen, dass diese Frage testet, ob das, was du sagst, in Wahrheit vielleicht nur der Maske geschuldet ist, die du gerade trägst.

Pffft!

Ende 2021 beendete jener Herr Kleber seine Staatsfunk-Karriere – und zum Abschied kritisierte er seine Kollegen in bemerkenswerter Tonlage.

Im Interview mit der Zeit (zeit.de, 29.12.2021 (€)) ätzte Kleber etwa, manche Kommentare in den sogenannten »Öffentlich-Rechtlichen« seien eher »Besinnungsaufsätze« (siehe auch welt.de, 29.12.2021). »Ideologie vergiftet den Journalismus«, sagt Kleber extra mutig. Das stellt er jetzt fest? Beabsichtigt er, sein über Jahre kassiertes Supergehalt zurückzuzahlen, weil er diesen Laden mit stützte? Schämt er sich gar und gibt eventuelle Rentenansprüche auf?

Pffft, Pustekuchen!

Es wirkt wie ein Theater, ein Schauspiel, ein Maskenball – und wir hier, wenn wir das kritisieren, sind dann logischerweise die »Störenfriede auf dem Maskenball« (Essay von 2019).

Eine Maske gegen eine andere

Es gibt einen Mut, der deine vorherigen Handlungen als Feigheit und Lügen markiert. Nach seiner Karriere die Wahrheit über den Laden zu sagen, es ist doch nicht wirklich mutig – zeigt das nicht womöglich vielmehr, was für ein Heuchler du dein Leben lang gewesen bist?

Ein Dieb, der das Diebesgut zurückgibt, bleibt ein Dieb. Er hofft auf Strafminderung. Kleber ist kein Dieb, er ist Journalist. Hofft Kleber auf eine »moralische Strafminderung«? Ist er gar gläubig? Wir wissen es nicht sicher.

Nicht dass Kleber am Ende nur eine Maske gegen eine andere tauscht – beide scheinen sie mir schief zu sitzen. – Ein Twitterer kalauert:

Claus Kleber: Der schärfste Kritiker der Schleimer war bis gestern selber einer. (@shlomosapiens, 31.12.2021)

Ich fürchte ja gelegentlich, dass es sich unabhängig vom konkreten Fall ganz allgemein mit jenem Berufszweig wie mit dem Ring in Tolkiens Herrn der Ringe verhält: Journalismus verleiht dir große Macht, die Bürger zu knechten und zu binden (und, falls du Staatsfunker bist, buchstäblich ins Gefängnis werfen zu lassen, wenn sie dich nicht bezahlen wollen), doch es frisst deine Seele, und wenn du nicht rechtzeitig aussteigst, wirst du zuletzt zum leeren, kalten Gollum. (Eine Gegenthese würde lauten, dass Journalismus heute jene graublassen Existenzen anzieht, die »schon vorher so sind«.)

Ein Poet könnte formulieren: »Wenn du lange genug Journalist bist, wenn du deine Seele über Jahre und Jahrzehnte dieser oder jener Propaganda-Maschine verkaufst, dann ist womöglich irgendwann einfach nichts mehr da, und eine Maske zu tragen wäre dann deine einzige Art, irgendeinen Charakter vorweisen zu können.«

Fegefeuer und Ölplattform-Arbeiter

Es gibt einen alten Witz, in dessen Pointe werden von den Erzählern mal Rechtsanwälte eingesetzt, mal Börsenmakler, und manchmal sogar Ölplattform-Arbeiter – ich erzähle es hier mit Journalisten. Die Exposition ist immer gleich, und sie hat mit Musik zu tun.

Dieser Witz geht so: »Meine Eltern fragten, was ich beruflich mache. Ich sagte, dass ich Klavierspieler im Bordell bin. Ich kann denen ja nicht gestehen, dass ich in Journalismus mache.«

(Wenn Sie riskieren wollen, sich das Frühstück ein zweites Mal durch den Kopf gehen zu lassen, verweise ich auf die »Große BILD-Aktion fürs Kanzleramt – Malen Sie Merkel!« (bild.de, 29.12.2021). Das ist »Journalismus« im Propagandastaat Deutschland.)

Ein Zyniker könnte weiter zuspitzen: »Jeder Mensch hat seinen Preis, um welchen er käuflich ist, und Journalisten können den ihren monatlich nachlesen, als Zahlungseingänge auf ihrem Konto.«

Vielleicht wäre es klug, ganz allgemeinen, einen Beruf zu wählen, der dich nicht dereinst bewegen wird, bei Berufsabschied etwas zu tun, was sich als »die Masken fallen« lassen interpretieren ließe. Manche Maske fällt zu spät, und wenn sie dann fällt, ist es nicht selten mehr peinlich als wahrhaftig.

Zerreißt die Masken, bevor sie euer Leben zur Lüge werden lassen! – Mit Verlaub, ganz allgemein gefragt: Wenn du gegen Ende des (Berufs-) Lebens »die Masken fallenlässt« und »die Wahrheit« erzählst, war dann dein vorheriges Leben nicht logischerweise eine Lüge? Ein anderes Leben als dieses hast du nicht!

Gibt es ein Fegefeuer für Journalisten, welches ihnen die Sünden wegbrennt – oder gehen sie direkt in die inneren Kreise der Hölle, und dort in welche? Im Essay »Der Verrat und die Kreise der Hölle« von 2020 fragte ich im Gestus des Satirikers, »welche amüsante Höllenpein der Herr Dante wohl den Staatsfunkern, Propagandisten und Haltungsjournalisten zuteilen würde«. Es bleibt viel Raum für theologische Debatte.

Nicht falsch Zeugnis

Nicht nur weil ein irrsinniges Jahr endet und ein wahrscheinlich ähnlich irres Jahr beginnt, denke ich dieser Tage viel über Lebenslektionen, Lebensregeln und gute Vorsätze nach. – Niemand ist so unnütz, dass er nicht als schlechtes Beispiel dienen könnte – nicht einmal Journalisten!

Ein Philosoph könnte heute, auch ohne konkreten Bezug, ganz im Geist des Kantschen Imperativs, eine vermutlich alte Lebensregel neu formulieren: »Lebe dein Leben so, dass zum Schluss, wenn deine Maske fällt, ob heruntergerissen oder fallengelassen, dein Leben nicht plötzlich als Lüge dasteht.«

»Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten«, so heißt es in den Zehn Geboten (2. Mose 20, Vers 16).

Es wird landläufig (wenn auch etwas unpräzise) zitiert als: »Du sollst nicht lügen.«

»Du sollst keine Lügen sagen«, so hat man uns gelehrt, und es ist nicht falsch, doch wir wollen es erweitern: »Du sollst keine Lügen leben!« – Du sollst nicht falsch Zeugnis reden – und auch nicht leben.

Ich weiß nicht, was »die Wahrheit« ist, und schon gar nicht, was Ihre Wahrheit ist, doch ich wünsche mir und Ihnen die Kraft und auch den Mut, das vor uns liegende Jahr wirklich wahrhaftig zu leben.

Weiterschreiben, Wegner!

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