Dushan-Wegner

27.04.2022

»Meine ganze vollständige Karriere!«

von Dushan Wegner, Lesezeit 6 Minuten, Foto von Maddy Baker
Eine Kamerafrau (42, Mutter) stirbt nach Waffenunfall am Filmset. Die für Waffen zuständige Waffenmeisterin (24, grell gefärbte Haare) scheint aber vor allem darüber zu jammern, dass das ihre Karriere versauen würde. Was darf man daraus schließen?
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Stellen Sie sich vor, an Ihrem Arbeitsplatz wird ein Mensch schwerst verletzt. Alles ist in Aufruhr. Notärzte versuchen, dessen Leben zu retten. Es scheint, dass Sie wahrscheinlich einen groben Fehler gemacht haben, der zu diesem schweren Unfall führte. Wer auch immer den Fehler machte, in diesem Moment kämpfen die Ärzte noch um das Leben dieser Mutter.

Wie werden Sie reagieren? Was wird Ihre erste Reaktion sein? Was werden in dem Moment Ihre »relevanten Strukturen« sein?

Vorgeschichte

Am 21. Oktober 2021, beim Dreh eines Films namens »Rust«, löste sich aus der Pistole des Schauspielers Alec Baldwin eine Kugel und tötete die Kamerafrau Halyna Hutchins (40, Mutter eines Kindes, in der Ukraine geboren).

Alec Baldwin ist, neben seiner Filmarbeit, vor allem dafür bekannt, ein geradezu besessener Trump-Hasser und Hollywood-Linker zu sein, und so konnten sich einige Akteure zynische Kommentare nicht verkneifen wie »Guns Don’t Kill People, Alec Baldwin Kills People«. Es liegt ja auch eine bittere Ironie darin, dass Linke, die sonst für Waffenverbote sind, in Waffendingen offenbar derart unbedarft sind, dass aus Unachtsamkeit und Inkompetenz ein Mensch zu Tode kommt. (Warum hat Alec Baldwin die Waffe eigentlich nicht selbst geprüft, bevor er sie in Richtung der Kamera hob?! – siehe dazu auch variety.com, 25.4.2022)

Die verantwortliche Waffenmeisterin, welche unter anderem sicherstellen sollte, dass die verwendete Waffe samt Munition eben sicher war, ist eine 24-Jährige namens Hannah Gutierrez-Reed. Es ist nicht die Art von Person, die man nach aller Lebenserfahrung (und von mir aus: nach alten Vorurteilen) als Waffen-Aufsicht erwarten würde. Gutierrez-Reed trägt sogenannte »Cat-Eye-Glasses«, also jene Klischee-Feministinnen-Brille, deren Gläser nach oben recht spitz zulaufen. Der vordere Teil ihrer Haare ist neon-gelb-grün gefärbt.

Wie kam Gutierrez-Reed an diese Stelle? Nun, es war ihr zweiter Einsatz als Waffenmeisterin (»Armorer«). Bei ihrem ersten Einsatz, einem Film mit Nicolas Cage, hatte es bereits einen Skandal gegeben. Gutierrez-Reed hatte sich nicht an Standard-Sicherheitsprotokolle gehalten. Sie feuerte Waffen ohne Warnung ab, was Cage dazu brachte, fluchend das Filmset zu verlassen (thewrap.com, 26.10.2021).

Wieso wurde sie, nach einem ersten recht erfolglosen Einsatz, wieder an ein Filmset gebucht? Hatte es damit zu tun, dass bereits ihr Vater diesen Job hatte (siehe Wikipedia »Thell Reed«)? Hatte es damit zu tun, dass die Produktion des Filmes »Rust« (Alec Baldwin war einer der Produzenten) schon zuvor von Angestellten für mangelnde Professionalität (cnn.com, 24.10.2021) kritisiert wurde, und am Tag vor dem Unfall einige Filmarbeiter das Filmset verlassen hatten, aus Protest gegen die Sicherheitsmaßnahmen (so nbcnews.com, 1.11.2021)? Lag es daran, dass die Produktionsfirma »nehmen musste, was man kriegen konnte«? – Nun, die augenscheinliche politische Gesinnung von Gutierrez-Reed wird bei der Einstellung am Set des Trump-Hassers Alex Baldwin nicht geschadet haben – und diese Gesinnung würde bald durchscheinen.

(Nebenbei: Der Low-Budget-Film hatte ein interessantes Kosten-Schema; für die Waffenmeisterin war die relativ kleine Summe von knapp 8.000 US-$ vorgesehen, während von den sechs (!) Produzenten ein jeder garantiert 100.000 US-$ bekommen sollte; so nypost.com, 5.11.2015.)

Es ist Gegenstand von Ermittlungen und teuren Deutungs-Kriegen, wie genau es dazu kam, dass sich eine Kugel aus der Waffe löste, die der Hauptdarsteller und Co-Produzent Alec Baldwin hielt, woraufhin die Kamerafrau von dieser Kugel getötet wurde. Es bleibt eine große Frage, wie scharfe Munition überhaupt aufs Filmset gelangen konnte; siehe dazu etwa eu.usatoday.com, 30.11.2022. (Baldwin behauptet konsequent, nicht den Auslöser betätigt zu haben. Die Wikipedia hält einen fortwährend aktualisierten Stand-der-Dinge parat.)

Reaktion

Wen auch immer die Gerichte für schuldig befinden werden, schon jetzt sind die Details, die an die Öffentlichkeit dringen, durchaus bemerkenswert – vielleicht sogar lehrreich.

Die Polizei von Santa Fe (Kalifornien) hat Body-Cam-Aufnahmen von jenem Tag veröffentlicht (dailymail.co.uk, 26.4.2022; TMZ bei YouTube, 26.4.2022), darunter die Reaktion der Waffenmeisterin.

Wir sehen Hannah Gutierrez-Reed, die im Polizeiauto sitzt, und wir hören sie, wie sie in Begleitung der Polizei übers Filmset geht.

Was Gutierrez-Reed sagt, ist bemerkenswert, und es passt erschreckend zum Bild, das wir von Hollywood-Linken mit neonfarbenen Haaren haben.

Ich zitiere im Original, nach dem veröffentlichten Video und dailymail.co.uk, 26.4.2022:

  • »I’m the only female armorer in the game«
  • »I just fucked up my whole entire career«
  • »Welcome to the worst day of my life«
  • I’m a »fucking failure«

Gutierrez-Reed jammert, dass sie ihre ganze vollständige (»whole entire«) Karriere ruiniert hat. Dass es der schlimmste Tag ihres Lebens ist. Und dass sie die einzige weibliche Waffenmeisterin in der Branche ist, was wohl implizieren soll, dass sie der »Sache der Frauen« geschadet hat.

Was wir von Gutierrez-Reed nicht hören, ist irgendeine Form der Sorge, der Empathie oder auch nur der Anerkenntnis der Tatsache, dass da gerade ein Mensch um sein Leben ringt. (Dafür hören wir Verschwörungstheorien von ihrem Anwalt, wonach die scharfe Munition ein Akt der »Sabotage« war, siehe eu.usatoday.com, 30.11.2022.)

Maskerade

Vom Batman-Joker, wie er von Heath Ledger gespielt wurde, kennen wir den Satz, dass in seinen letzten Momenten vor dem Tod der Mensch zeigt, wer er wirklich ist. Wir dürfen heute halb-zynisch postulieren: Auch wenn er gerade womöglich für den möglichen Tod eines Menschen mit-verantwortlich war, kann ein Mensch zeigen, wer er wirklich ist.

Wenn Gutierrez-Reed mit ihren neon-gelb-grünen Haaren für »die Hollywood-Linke« steht, dann haben solche Leute als »relevante Struktur« zuerst sich selbst – und all ihr pseudo-menschliches Getue ist eine verlogene Maskerade.

Ach, es ist nicht so, dass wir es nicht schon zuvor gewusst und geschlussfolgert hätten – wir sehen ja deren Verhalten. Und doch verschlägt es einem den Atem, es live, in Farbe und mit Original-Tonspur zu erleben. (Der zuständige Sheriff sagt aktuell übrigens, dass keiner der Beteiligten »off the hook« sei, das also noch immer strafrechtliche Anklagen möglich sind; siehe nytimes.com, 26.4.2022(€).)

Rechenschaft

Sie können sich ja das Video z.B. auf YouTube selbst ansehen. Ich für meinen Teil bin einerseits froh, es gesehen zu haben, andererseits will damit auch darauf beruhen lassen.

Es wäre mir zu simpel, nur zu sagen: »Schau mal, die denkt nur an sich. Zum Glück bin ich nicht so wie die.« – Ich will dieses Geschehnis zum Anlass nehmen, in mich zu gehen. Nein, ich werde nicht so bald in die Situation geraten, für jemanden aus Versehen eine scharfe Waffe vorbereitet zu haben, und dann, wenn jemand umkommt, vor allem mich als Opfer dieses Desasters zu sehen. Doch in anderen Situation ist es durchaus denkbar, dass ich mich fragen sollte: »Nehme ich mich und meine Interessen vielleicht einen Tacken zu wichtig, werde also zu meinen eigenen Ansprüchen inkongruent?«

»Prüfe alles«, so lautet der erste Teil meines Wahlspruchs (der Rest ist bekanntlich: »glaube wenig, denke selbst«).

»Alles« zu prüfen beinhaltet logischerweise, auch mich selbst zu prüfen. Ich will versuchen, mich selbst und meine wirklich relevanten Strukturen zu prüfen. Bin ich »mit mir selbst kongruent«?

Früher oder später wird die Realität mich prüfen, mich zur Rechenschaft ziehen, wenn auch hoffentlich auf weniger öffentliche Art. Ich will, so gut ich kann, mich vorab selbst prüfen!

Weiterschreiben, Wegner!

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