Heute, am 9. November, vor zehn Jahren, wurde im Deutschen Bundestag die „Errichtung eines Freiheits- und Einheits-Denkmals“ debattiert. Und dann wurde am selben Tag auch noch das „Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen“ beschlossen. – Thomas Mann schreibt: „Ironie ist das Körnchen Salz, durch welches das Aufgetischte erst genießbar wird.“ – Man möchte ergänzen: Hier aber droht die Suppe arg versalzen zu schmecken! Genug der Ironie, genug!
„Wir sind hier nicht auf dem Weg in den Überwachungsstaat.“
– Brigitte Zypries (SPD), 9.11.2007
Damals, in 2007, herrschte in Deutschland das Kabinett „Merkel I“, also die Große Koalition. Steinbrück war damals noch nicht gescheiterter Kanzlerkandidat, sondern Finanzminister, und die Herrschaften Schavan sowie zu Guttenberg nannten sich noch Doktor.
Merkel beherrschte damals wie heute die feine Kunst, von ihrer alten Heimat inspirierte Ideen auch in der Bundesrepublik einzuführen – zur Umsetzung aber die SPD vorzuschicken. Am 9.11.2007 war es die Überwachung der Telekommunikation. Später würden es die Vorratsdatenspeicherung (Maas, SPD) sein, das verfassungswidrige (!) „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ (Maas, SPD) und die steuerfinanzierte Anti-Oppositions-Propaganda (Schwesig, SPD). – Immer wieder SPD.
Ein neues, altes „Lebensgefühl“ ist seitdem in Deutschland gewachsen. Der Bürger fühlt sich in seinem Privatesten, seiner Meinung über die Welt, überwacht. Der Bürger wird überwacht, wird geprüft und für allzu falsche Meinung bestraft. Du darfst sagen, was du denkst, solange du denkst, was du darfst. So manches Jahr unter Merkel war ein schlechtes Jahr für die Demokratie. Extra schlecht für die Demokratie war es aber bislang immer, wenn die SPD als so williger wie von demokratischem Gewissen unbelasteter Helfer bereitstand.
Doch, Jammern darf nur die Ouvertüre sein. Was tun? Was hilft gegen jene, welche die Prinzipien der Demokratie zum Feuerholz ihres Machtwillens kleinhacken?
Mehr Demokratie. Immer wieder, immer selbstbewusster. Doch zunächst: noch ein Fall!
Stimmungsmache
Der Focus titelt diese Woche online:
„Rechte nutzen Ebertplatz für Stimmungsmache gegen Ausländer“
– focus.de, 7.11.2017
Im Artikel wird dann beschrieben, wie die AfD sich politisch gegen die Gewalt am Kölner Ebertplatz positioniert. Eine Initiative „Köln gegen Rechts“ organisiert Gegendemonstrationen.
Mitten in NRWs Städten entstehen „Angsträume“, in denen der Rechtsstaat höchstens symbolisch präsent ist. Drogenhandel, Messerstechereien, Gewalt. „Normale“ Menschen trauen sich nicht mehr auf Plätze und in Parks, die vor wenigen Jahren noch Orte der Begegnung warten. Es aber wird gegen jene demonstriert, die vor exakt diesen Entwicklungen gewarnt haben. „Die Polizei werde alles dafür tun, das zu verhindern“, wird Polizeipräsident Uwe Jacob zitiert. Ja, ist wohl genau so absurd, wie Sie bereits vermuten: Er scheint mit seinem Satz jene Unanständigen zu meinen, die das zum Thema machen, was den Bürgern auf den Nägeln brennt.
Schaut man näher hin, ist diese wenig logische Reaktion auf ein Ereignis mehr als nur absurd. Es schadet der Demokratie.
Demokratie
Die CDU-SPD-Überwachungsgesetze und die Unterstellung, wer Missstände aufgreift wolle „Stimmung machen“ haben denselben Effekt: Sie bringen Bürger zum Verstummen.
Regierung und regierungsnahe Medien greifen nicht nur die Meinungsfreiheit als Grundpfeiler der Demokratie an. Spätestens wenn die politische Vertretung von Millionen Wählern als „Stimmungsmache“ außerhalb des demokratischen Dialogs gestellt werden soll, wird die Demokratie direkt angegriffen.
Was ist denn die Alternative dazu, dass politische Akteure sich eines Problems annehmen und die Ursachen, die doch jeder sehen kann, benennen? Dass niemand es sagt, egal wieviel Gewalt es gibt?
Es gehört doch zur Definition der Demokratie, dass politische Parteien für den Wähler sprechen. Journalisten und Politiker haben sich so sehr daran gewöhnt, dass sie den Wähler zum Schaf erziehen, das seine Kinder gehorsam zur Schlachtbank führt, dass sie nur noch „Rrrächts!“ zu schreien wissen, wenn Wähler aufbocken und schlichte Demokratie verlangen.
Wo hört man denn einen Vorwurf, dass die Gewerkschaften und Sozialverbände (und ihre hochbezahlten Vorstände) die sozialen Nöte zur „Stimmungsmache“ nutzen? Wo den Vorwurf, dass die Kirchen und Wohlfahrtskonzerne die „Flüchtlingskrise“ instrumentalisieren und „Stimmung machen“? Wenn die Grünen vor Atomkatastrophen und Klimakollaps warnen, ist das nicht auch „Stimmungsmache“?
Nein, ich widerspreche: Wenn ein Politiker ausspricht, was dem Bürger am Herzen liegt, dann ist es Demokratie.
Und, im Umkehrschluss: Wer zu verhindern sucht, dass meine Stimme demokratisches Gehör findet, der handelt antidemokratisch.
9. November 2017
Der 9. November ist ein „schwieriger“ Tag für die Demokratie, und „schwierig“ ist ein heftiger Euphemismus. Mit den Novemberpogromen um den 9. November setzte 1938 die Verfolgung der Juden im „Deutschen Reich“ für alle sichtbar ein. Einige Jahre zuvor, am 8. und 9.11.1923 hatte Hitler versucht, die Macht via Putsch an sich zu reißen. Er wurde festgenommen. Später gelang es ihm dann doch.
Sicher, am 9. November 1989 fiel auch die Mauer, was ja eigentlich Anlass zur Freude ist. Doch was zusammenwachsen sollte, wird immer wieder zumindest in Worten auseinandergerissen, sei es von Bundespräsidenten oder von Qualitätsjournalisten.
Gerade weil der 9. November ein schwieriger Tag für die Demokratie ist, muss es doch Pflicht sein, an diesem Tag eben für die Demokratie einzustehen.
Wie kann man als „einfacher“ Bürger für die Demokratie einstehen? Ich schlage vor: Menschenrechte und Meinungsfreiheit verteidigen gegen die Ideologen und Einschüchterer. Politische Gewalt und Gewalt gegen „Andere“ niemals als „normal“ akzeptieren. Sagen, was ist, solange man kann und darf. Parteien danach auswählen, ob sie für mich sprechen, nicht weil irgendwelche Lautsprecher mir gesagt haben, wen ich zu wählen habe.
Als „kleiner“ Bürger die Demokratie zu verteidigen gegen die Pöbler, Zensoren und Propagandisten ist eine Sisyphusarbeit, ohne Zweifel. Doch es ist eine jener Arbeiten, die den Arbeiter selbst formt, und, ich will die These mir erlauben: zu einem besseren Menschen macht.
Frei nach Camus sei also gewagt gesagt: Wir müssen uns den Demokraten als einen glücklichen Menschen vorstellen.