12.03.2025

Alt, aber nicht kalt

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten
Korruption ließe sich auch so beschreiben: jede politische Handlung, die nicht dazu dient, das Wohl des Volkes zu mehren und Schaden von ihm abzuwenden. Insofern kennt Deutschland seit Jahren vor allem Korruption.

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Lasst uns zwei Wörter betrachten: einmal die Eingeweide und einmal die Korruption. Und dann lasst uns ausrufen: »Hurra, wir leben!« – aber eines nach dem anderen.

Lass einmal das Wort Eingeweide auf dich wirken. Wie fühlt sich das Wort an? Und dann das Wort Korruption. Was spürst du, wenn du das Wort hörst, in deinen Eingeweiden?

Wenn eines oder gar beide dieser Wörter in dir eine emotionale, eine körperliche Reaktion hervorrufen, dann habe ich drei Nachrichten für dich.

Die erste Nachricht ist erklärend: Was aus den Tiefen des Unbewussten hervor ins Bewusste gerufen werden kann, das muss ja zuvor dort, in den Abgründen, in jener anderen und inneren Dimension überhaupt erst existiert haben, gelebt haben und darauf gewartet haben, hinauf- und hervorgerufen zu werden.

Die zweite Nachricht ist eine gute: Dass die Wörter Eingeweide wie auch Korruption überhaupt etwas aus dir hervorrufen, ist eine gute Nachricht, so wie das aus einer klaffenden Wunde schießende Blut eine gute Nachricht ist – und zwar nur solange es entsprechend schießt –, insofern das zeigt, dass da noch ein Puls ist, ein Herzschlag.

Bei zu vielen unserer Zeitgenossen rufen diese Wörter eben nichts mehr hervor. Eingeweide nichts. Und Korruption nichts.

Es bewirkt bei denen, um die erwähnten Wörter hier anzuwenden, keine Bewegung in den Eingeweiden, denn sie sind korrupt. Und das Wort korrupt meine ich hier vom Wortstamm her, denn der ist lateinisch, nämlich rumpere, das bedeutet: zerbrechen.

Die dritte Nachricht aber ist eine schlechte: Ich sagte Zeitgenossen, nicht Altersgenossen. Denn wenn die Wörter Eingeweide und Korruption dich noch stechen, wenn sie dein Wohlbefinden ritzen und Blut an die Oberfläche rufen, dann bist du vermutlich alt. Nicht kalt, aber alt – alt, aber nicht kalt … immerhin das.

Die jungen Leute von heute mögen sachlich wissen (und nicht einmal das sicher), was Eingeweide bedeutet: die inneren Organe von Mensch und Tier. Doch das Wort Eingeweide ruft in ihnen nichts hervor, nicht Ekel, nicht Angst – nichts. Warum nicht?

Wir empfinden Lust und Freude an den Dingen, die wir tun müssen, wenn die Art überleben soll. Und wir empfinden Angst und Ekel gegenüber jenem, was das Überleben gefährdet – und wenn Eingeweide sichtbar werden, wenn also zuvor ein Bauch aufgeschnitten wurde und so weiter, das ist schrecklich und ekelerregend, weil es eben das Überleben gefährdet, und zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit.

Warum aber fühlt sich das Wort Eingeweide nicht mehr an? Kein besonders Gefühl. Warum ruft das Wort so wenig hervor bei so vielen unserer Mitmenschen, besonders den jungen und modernen?

Weil nicht mehr gezeigt wird, was dieses Wort bedeutet. Weil nicht mehr gezeigt wird, wie das Hervorquellen geschieht.

Es wird ja nicht mehr in den Städten geschlachtet, sondern in Schlachtfabriken irgendwo.

Wir zeigen nicht die Eingeweide der Tiere, denn das könnte die Lust auf Fleisch hemmen. Geschlachtet wird auf Schlachtfeldern, doch auch die menschlichen Eingeweide werden nicht gezeigt.

Wir zeigen nicht die Eingeweide der Menschen, wenn Islamisten sie hervorholen, denn das könnte die Lust auf Toleranz hemmen.

Wir zeigen nicht die Eingeweide der Söhne und Väter, wenn sie auf den Schlachtfeldern der Ukraine hervorgeholt werden, denn das könnte die Lust auf Krieg hemmen.

Dass das Wort Eingeweide uns nicht wehtut, liegt also daran, dass nirgends mehr Eingeweide sind, dass nirgends mehr Eingeweide zu sehen sind, was im Geist des Menschen praktisch dasselbe ist. Nur geschlossene Bäuche überall, die einen schlank, die anderen fett, aber alle wohltuend verschlossen.

Das andere Wort aber, die Korruption, dieses Wort schmerzt aus einem anderen Grund nicht, aus dem umgekehrten Grund. Das Wort Eingeweide tut nicht mehr weh, weil nirgends mehr Eingeweide sind. Das Wort Korruption aber tut nicht mehr weh, weil wer heute aufwächst keine andere Politik als die korrupte kennt.

Ich nenne es Korruption, wenn ein Politiker aus anderen als den beiden heiligen Gründen handelt. Aus anderen Gründen also, als das Wohl des Volkes zu mehren und Schaden vom Volk fernzuhalten. In diesem Sinne kennt Deutschland seit Jahren und bald Jahrzehnten keine andere Politik als die blanke Korruption. Wenn korrupte Politik und Politik dasselbe bezeichnen, braucht es das Wort korrupt nicht mehr.

Weder Eingeweide noch Korruption tun als Worte dem modernen Menschen weh. Und wenn sie dir doch wehtun, heißt das zwar, dass deine Seele noch einen Pulsschlag hat – aber auch, dass du alt bist. Nicht kalt, aber alt. Alt, aber nicht kalt. Immerhin das.

Nein, diese Wörter tun den Modernen nicht mehr weh, und doch stoßen wir immer wieder auf sie, wenn wir ältere Texte lesen – und gelegentlich, wenn ein zeitvergessener Autor sie heute noch aufschreibt.

Das Wort Eingeweide wurde von Autoren benutzt in Zeiten, als die Menschen noch wussten, wie es aussieht, einem Tier den Bauch aufzuschneiden, so dass eben die Eingeweide hervorquellen.

Ähnlich mit der Korruption: Das Wort wurde von Journalisten verwendet, als Korruption ein Skandal war, als das Wort noch schmerzte. Heute aber wird jeden Tag der Bauch der sogenannten Demokratie aufgeschnitten, die Eingeweide quellen heraus, die NGOs, der Deep State, die Journaille und so weiter.

Wir aber, die wir die Korruption überhaupt noch sehen, weil wir noch Zeiten kennen, in denen sie nicht überall war, wir aber, denen bereits das Wort Korruption und um wie viel mehr die Korruption selbst Schmerzen bereiten, wir empfinden Angst und Ekel. Ein an der Seele gesunder Mensch muss doch Angst und Ekel empfinden, wenn er sieht, was unser aller Überleben gefährdet.

Die Empörung der letzten Lebenden aber, deine und meine Entrüstung, ist das spritzende Blut, welches anzeigt, dass im Volk noch ein Herzschlag ist, ein Lebenswille in den Eingeweiden.

In diesem Sinne also, liebe Freunde: Hurra, es tut weh!

Nicht kalt, aber alt – alt, aber nicht kalt … immerhin das.

Weiterschreiben, Wegner!

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