Dushan-Wegner

29.08.2022

Nicht Liebe suchen, nicht Feinde

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Foto von David Brooke Martin
Zwei Arten von Menschen fürchte ich heute: Jene, die unbedingt geliebt werden wollen, koste es was es wolle. Und jene, welche sich darin »lebendig« fühlen, immerzu nach Feinden zu suchen. Es ist erstaunlich, wie oft beides ein und dieselben Leute sind!
Telegram
Facebook
𝕏 (Twitter)
WhatsApp

Ein Nachbar hat einen Hund, den ich »Kampfhund« nennen würde. Der Hund beeindruckt mit einem großen Kopf (darin liegen zwei kleine Augen). Dazu trägt er scharfe Zähne in tödlichen Kiefern. Durchs kurze, grauschwarze Fell aber zeichnen sich Rückenmuskeln ab, die bei jedem Schritt des Tieres hin und her zu laufen scheinen.

Der Hund, so versichert sein Besitzer, will ja eigentlich gekrault und geliebt werden. Ich habe Zweifel, ob der Hund das zu jeder Zeit genauso sieht.

Wenn dieses Tier knurrt, spüre ich die tiefen Schwingungen in meinem Bauch. Zu meiner Nervosität gesellt sich die Neugier, woher das kaum kniehohe Tier die Resonanz nimmt, solch bedrohliche Bassfrequenzen anzustimmen.

Ich will dem Besitzer jenes Tieres ja glauben! Letztens traf ich ihn, da führte er sein Tier wieder an der Leine. Wir wechselten einige freundliche Worte, wie man sich eben so grüßt, wenn alles Notwendige schon vor langer Zeit gesagt wurde und es nichts Weiteres zu sagen gibt.

Ich beschloss, mutig zu sein. Ich hockte mich hin. Mit einer extra langsamen Bewegung, um das Tier ja nicht zu erschrecken, bewegte ich meine Hand in Richtung des großen, kantigen Kopfes, und ich streichelte das Tier, erst am Hinterkopf, dann am Nacken.

Ich hatte nicht erwartet, wie hart und kantig das Tier sein würde. Da war kein spürbares Fett unter der gespannten Haut. Die Haare des Fells waren spitz und schmeichelten meiner Hand wenig. Mit den Hunden, die ich sonst so kenne und liebe, teilte es nur formell die Tierart. Alles Körperliche an diesem Tier sagt: »Geh weg!« – und ich wollte es doch wagen.

Aus der Nähe, und als das hartkantige Tier seinen eckigen Kopf an mich schmiegte, sah ich erst, dass es um die Schnauze bereits ziemlich grau geworden war.

Ich streichelte die alte Kampfmaschine, doch es sollte nicht lange dauern, da hatte der Hund schon wieder genug, und er stimmte sein gruseliges Knurren an. Ich hätte nicht gedacht, dass ich tatsächlich zur gleichen Zeit langsam – um den Hund nicht zu erschrecken – und schnell – um nicht die Hand zu verlieren – zurückweichen kann.

Der Besitzer schaute mich verständnisvoll an, und ich deutete seinen Blick als Dank, dass ich es immerhin versucht habe.

Das unsichere Buhlen

Jener kantige, liebesbedürftige und dann wieder in Tat und Auftritt abweisende Hund, er erinnert mich an manche meiner Mitbürger – und ich will gleich sagen, dass beide Motivationen zu einem nicht unbedingt sympathischen Verhalten führen.

Ich erlebe Menschen, die unbedingt »geliebt werden« wollen, ja, die »geliebt werden« für einen moralischen Wert halten, also etwas Gutes, und die bereit sind, dafür die bösesten Dinge zu tun.

Der Kollege, der dich beim Boss verpetzt. Der Nachbar, der dich anbellt, weil du dich nicht an die neuesten Vorgaben des Staatsfunks hältst. Der Online-Denunziant, der dich bei Werbekunden schlecht macht. Alle diese widerlichen Handlungen sind in Wahrheit motiviert vom Wunsch, von den Autoritäten »geliebt« zu werden.

Und ich erlebe genug Menschen – nicht nur im pubertären Alter – die sich ganz offenbar darin »lebendig fühlen«, dass sie gehasst und bekämpft werden.

Wie misshandelte oder vernachlässigte Kinder suchen erstaunlich viele Menschen nach anderen Menschen, die sie zum »Feind« erklären können.

Logisch betrachtet würde man ja meinen, dass die Zugehörigkeit zu einer dieser beiden Gruppen die Zugehörigkeit zur anderen ausschließt, doch das Gegenteil ist der Fall!

Bedenken Sie doch woke Jugendliche oder gewöhnliche Linke, auf jeden Fall aber die Antifa – deren Gewalt ist wohl auch (aber nicht »nur«) ein Schrei nach Liebe.

Vergessen Sie zudem nicht jene armen Seelen, die gegen allen gesunden Menschenverstand glauben, was sie in ARD und ZDF hören – und die dann den Nachbarn und Kollegen angreifen, wenn er die Aussagen der Propaganda zunächst auf Sinn und Richtigkeit prüfen will.

All diese Menschen wollen geliebt werden – möglichst von der Obrigkeit, aber auch von allen übrigen Freunden des Gleichschritts – doch sie spüren ihre eigene Existenz erst dann, wenn sie einen Feind ausmachen und bekämpfen. (Im Deutschen benutzt man für sie manchmal die Metapher »Radfahrer«, denn sie buckeln nach oben und treten nach unten.)

Weil diese Leute in ihrer Seele eben doch Feiglinge sind (deswegen ja das unsichere Buhlen um die Liebe der Stärkeren), schimpfen und schlagen sie selten »nach oben« – sie kratzen und beißen zuerst gegen jene, die sie als »unten« empfinden, etwa gegen alle, die von Politik und Propaganda als Außenseiter markiert wurden.

Der Setzling

Der Hund trägt wenig Schuld daran, dass er ist, wie er ist. Das Tier wurde so gezüchtet und dressiert.

Der Mensch mag manche »hündische« Eigenschaft teilen, im Guten und wie Schlechten, doch er ist eben kein Hund.

Ein solcher Mensch entscheidet sich, seinem Drang nach so billiger wie falscher »Liebe« nachzugeben. Ein solcher Mensch entscheidet sich, die zufällige Differenz in der Meinung zur Feindschaft zu übersteigern.

Es gilt natürlich, uns vor solchen Menschen in Schutz zu nehmen. Die Welt ist gefährlich voll von ihnen (und ein jeder hat Wahlrecht), und wir sollten entscheiden, uns vor ihnen zu hüten.

Jedoch, der Setzling solch »hündischer« Eigenschaften steckt in jedem von uns, auch wenn wir solche Neigung zu unterdrücken verstehen.

Über das Wasser

All die Menschen, die mit falscher Methode nach richtiger Liebe suchen, und also keine finden, und all die Menschen, die brav den Autoritäten darin folgen, wen sie heute als Feind zu hassen haben, all sie sollen uns als Mahnung dienen.

Lernt zu widersprechen, ohne im Andersdenkenden den Feind zu sehen. Ich halte wenig von dem Bibelspruch, die andere Wange hinzuhalten, wenn man geschlagen wird (Matthäus 5:39). Und ich halte wenig davon, dass wer nicht für mich sei, damit gegen mich sei (Matthäus 12:30).

Ich sage nicht »Liebe deine Feinde«, sondern: Es ist deine Freiheit, zu beschließen, dass der Andersdenkende nicht dein Feind ist – mindestens, weil das besser für deinen Blutdruck ist.

Und, die Liebe betreffend: Sucht nicht die Liebe der Mächtigen! Ja, sucht nicht einmal die Liebe der einfachen Mitmenschen. Gebt, was ihr geben wollt, und nehmt, was man euch gibt, doch bettelt niemals um Liebe.

Was die Liebe der Menschen betrifft, halte ich es durchaus mit einem Bibelspruch, allerdings aus dem Alten Testament, konkret Prediger 11,1: »Lass dein Brot über das Wasser fahren; denn du wirst es finden nach langer Zeit.«

Tue Gutes. Doch tue es ehrlich, nicht wie die Gutmenschen, denn die haben ihren Lohn schon gehabt!

Manchmal wird dir die Welt das Gute mit Gutem vergelten, manchmal überhaupt nicht.

Lerne, beides mit Gleichmut hinzunehmen. Und wenn du es gelernt hast, dann komm bitte zurück und erklär uns allen, wie es dir gelungen ist!

Weiterschreiben, Wegner!

Danke fürs Lesen! Bitte bedenken Sie: Diese Arbeit (inzwischen 2,027 Essays) ist nur mit Ihrer Unterstützung möglich.

Wählen Sie bitte selbst:

Jahresbeitrag(entspr. 1€ pro Woche) 52€

Augen zu … und auf!

Auf /liste/ finden Sie alle Essays, oder lesen Sie einen zufälligen Essay:

Mit Freunden teilen

Telegram
Reddit
Facebook
WhatsApp
𝕏 (Twitter)
E-Mail

Wegner als Buch

alle Bücher /buecher/ →

Nicht Liebe suchen, nicht Feinde

Darf ich Ihnen mailen, wenn es einen neuen Text hier gibt?
(Via Mailchimp, gratis und jederzeit mit 1 Klick abbestellbar – probieren Sie es einfach aus!)