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Drei Arten von Menschen gibt es… Halt! ich will das gleich korrigieren: Natürlich gibt es mehr als drei Arten – es gibt womöglich mehr Arten von Menschen, als es überhaupt Menschen auf der Welt gibt!
Der Charakter eines einzelnen Individuums changiert ja durchaus, je nach Situation, Lebensalter und Hormoncocktail.
»Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust«, so Goethes Faust, »die eine will sich von der andern trennen«.
Wenn nun aber in jeder Brust auch nur zwei Seelen wohnten – bei gewissen Persönlichkeitsbildern sind es ja realiter viel mehr – und jede dieser beiden Seelen eine eigene Art bildet, dann hätten wir es gegenwärtig mit knapp 16 Milliarden Seelenarten zu tun. (Ja, es stimmt: Aktuell wird die Weltbevölkerung auf 7,9 Milliarden Menschen geschätzt. 1960 noch waren es etwas über 3 Milliarden; Quelle: worldmeters.info. Es wird alles spannend werden.)
Für die Zwecke unserer inneren Forschung aber will ich uns nach bescheidenen drei Arten von Charakteren gruppieren:
- Die, welche seufzen: »Ach, hätte ich nur die Mittel, in Gänze wie auch in Tiefe der Welt kundzutun, was in meinem Innersten brodelt!«
- Die, welche flüstern: »Wie gut, dass niemand weiß, was ich wirklich denke! Übel würden sie mir mitspielen, wenn ich ihnen die Wahrheit und nichts als die Wahrheit sagte.«
- Und dann existieren jene, welche nur raunzen: »Hä?«
Zu welcher dieser Gruppen zählen Sie sich, lieber Leser?
Gewiss nicht zur dritten Gruppe, nicht zu den Unreflektierten. Wer will schon als unbedacht Raunzender gelten? Noch geben wir uns der trägen Ungefährlichkeit des unbedachten Mitläufertums nicht hin – noch nicht.
Ringen Sie aktuell um die zutreffenden Worte, um den wahren Pinselstrich, welche das Brodeln in Ihnen an die Oberfläche bringen sollen (ohne Sie dabei zu blamieren)?
Oder hätten Sie ja durchaus treffende Worte parat, wollen aber all den Mitläufern nicht auch noch das Seil reichen, an welchem man die Allzuoffenen seit jeher allzu gern aufknüpft (derzeit noch **metaphorisch gesprochen).
Gilt bekanntlich
Von den alten Griechen inspiriert dürfen wir sagen: In ungerechten Zeiten gilt der Gerechte als gefährlich.
Als gut gilt bekanntlich, was die jeweils relevanten Strukturen stärkt. Ungerechte Regime sind sich selbst maximal relevant, und also wird in ungerechten Zeiten der Gerechte als böse gelten.
Die Gerechtigkeit des Gerechten stellt das Regime infrage. Der Gerechte zehrt durch bloße Sichtbarkeit an der Legitimität des bösen Regimes.
Der Gerechte führt der Welt vor, dass man gerecht und gerade sein kann, und diese realisierte Möglichkeit schwächt die Autorität der Ungerechten, und so wird er zur Gefahr für die herrschenden Mächte. Deshalb wird im ungerechten Regime der Gerechte zum Bösen erklärt.
Es ist ja nicht nur die Gerechtigkeit!
Es lässt sich durchdeklinieren: In dummen Zeiten gilt der Kluge als gefährlich, in verlogenen Zeiten der Wahrhaftige, in verbogenen Zeiten der Gerade, und so fort.
Fein ordentlich
Zwei Seelen wohnen auch in meiner Brust – nein, halt, wieder eine Korrektur: Es sind drei.
Die dritte der drei Seelen ist jene, welche in den breiigen Chor des dumpfen »Hä?« einstimmen will. Die Wissenschaft legt nahe, dass die Dumpfheit den Menschen froher macht. Nun gut, diese Seele ist auch da, ich will sie für jetzt weiter hungern lassen.
Die zweite der drei Seelen aber ist die, welche sich fragt, ob es nicht klüger wäre, zu schweigen. Der Gewinn, den die Offenheit einbringen kann, wird in anderer Währung berechnet und bezahlt, als der Preis, den du für dieselbe Offenheit zahlen wirst.
Der Meinungsmut des Einzelnen ergibt sich aus seinem Umrechnungskurs zwischen dem emotionalen Gewinn, den die Offenheit einem einbringt, und dem Preis, den man in verschiedenen Formen für dieselbe Offenheit zahlen wird.
Die erste der zwei Seelen ist schließlich jene, welche nach geeigneten Worten, Sätzen und Absätzen forscht, um die Tiefenströmungen und Abgründe meiner Ängste und Hoffnungen fein ordentlich in die Schubladen grammatisch akzeptabler Sprache zu sortieren.
Das also soll unser Auftrag sein!
Lange halten
Wir wollen nach Worten und auch Taten suchen, die unser Äußeres, unser Handeln also, mit unserem Innersten und Tiefsten in Einklang bringen. Acht Milliarden Menschen suchen auf diesem Erdkreis ihr kleines Stück vom Glück, und in einigen Jahrzehnten werden sie erstens ausgetauscht und zweitens noch mehr geworden sein – meine Kleinheit ist Grund genug, den Mut aufzubringen, einfach ich selbst zu sein, sprich: mein Inneres zu ordnen und mein Äußeres folgen zu lassen.
Wir wollen klug sein und klug bleiben! Ein Tauwetter kann unversehens zurück in harte Kälte umschlagen, und dann steht mancher mutige Löwe als arme Sau da. Verstecke dich in aller Öffentlichkeit, doch vergiss dabei das Verstecken nicht. Im Zweifelsfall sei nicht ganz so auffällig – wer zu auffällig ist, kann schon mal auf die Nase fallen!
Und ich will, immer wieder der dritten Seele, der Dumpfheit in mir, sagen: »Nein, noch nicht.«
Noch halte ich mich, um wieder Herrn von Goethe zum Zeugen zu rufen, an »die Welt mit klammernden Organen«.
Noch suchen wir nach Worten und Taten, die wahr und dabei klug sind. Noch will ich genau ich sein, noch ist die Gefahr überschaubar.
Möge dieses »Noch« noch möglichst lange halten.