Ich fordere, dass Meinungsfreiheit um eine Pflicht ergänzt werden sollte, nämlich um die Pflicht, zu Ende zu denken. Wer eine Meinung hat, ist verpflichtet, diese Meinung auch zu Ende zu denken.
Im Unterschied zu manch Lupenreinem und Hundertfünfzigprozentigem ist mir bewusst, dass so eine Pflicht gesetzlich einzuführen bedeuten würde, die Bewertung und Zertifizierung des Zu-Ende-Denkens unter behördliche Aufsicht stellen zu müssen – und wer sollte da die Prüfer prüfen?
Die Pflicht, zu Ende zu denken, ist also eine moralische. Und als solche für Menschen mit Gewissen noch verbindlicher als das Gesetz – ätschibätsch! (Übrigens, für künftige Biographen: 2016 erklärte ich dies bloß zur »Tugend«.)
Jean-Paul Sartre postuliert, dass Freiheit auch immer mit moralischer Verantwortung einhergeht. Der Mensch sei »zur Freiheit verurteilt«, was bedeutet, dass er durch die Freiheit gezwungen ist, die Konsequenzen seiner Handlungen und Gedanken zu tragen.
Wenn aber auch die Meinung frei ist, so legt nicht nur ihre Äußerung, sondern bereits ihr inneres Erwägen die Pflicht auf deine Schultern, das Angedachte zu Ende zu denken.
Welchen Sinn soll das Denken denn auch haben, als die Dinge weiter und bis zu ihrem mal grandiosen und mal erbärmlichen Ende zu denken?
Zwar menschlich, aber …
Adorno und Horkheimer mahnten, wer eine Meinung in den öffentlichen Diskurs einbringt, müsse diese einer Reflexion unterziehen, und ich sage: sich nicht nur der praktischen, sondern zuerst und grundlegend auch der logischen Konsequenzen bewusst sein.
Habe den Mut, dich deines Verstandes zu bedienen, so mahnen uns Kant und die Aufklärung. Wenn den Verstand zu gebrauchen aber auch das Zu-Ende-Denken beinhaltet, wäre dessen Ausbleiben als Feigheit zu werten – und ein Feigling in inneren Angelegenheiten zu sein, ist zwar menschlich, aber weder edel noch hülfreich noch gut.
Ach, ich will nicht mehr (ich werde wohl, aber ich will nicht) allzu viele Worte über die »Demokratie« verlieren. Ich kann mir da weitere Verluste nicht mehr leisten. Ich will über Meinungsbildung reden, das ist ergiebiger. (Mir scheint, die Meinungsbildung verlief in Kommunismen bisweilen klüger als in all der Freiheit. Gehemmter, aber klüger. Sei’s drum.)
Im eigenen Interesse
Liebe Lands- und sonstigen Leute, mir erscheint es eine nützliche und eigentlich auch natürlich neue Regel zu sein: Wer eine Meinung hat, ist verpflichtet, sie auch zu Ende zu denken.
Wer sich an der öffentlichen Meinungsbildung beteiligt, der beeinflusst damit das Wesen ebender Öffentlichkeit, deren Teil er doch selbst ist.
Sollte man als Sprechender also nicht ein Interesse daran haben, dass, soweit es an einem selbst liegt, vorzugsweise durchdachte, also mit höherer Wahrscheinlichkeit konstruktive Meinungen auftreten?
Lasst es mich so sagen: Wer eine undurchdachte Meinung in eine Debatte einbringt, an welcher er selbst teilnimmt, der ist wie einer, der in sein eigenes Badewasser pinkelt und dann auch noch einen Schluck davon nimmt. Solche Schweinereien machen wir nicht.
Deshalb unsere neue Regel: Wenn du eine Meinung zum Besten gibst, erklärst du damit, dass du sie zu Ende gedacht hast und uns deine Schlussfolgerungen darlegen kannst – auf Nachfrage (und nur auf die, bitte).