In Brasilien ist ein Flugzeug abgestürzt, mit 57 Passagieren und 4 Crew-Mitgliedern an Bord.
Was sind eure ersten Gedanken, wenn ihr so eine Meldung hört? Was ist euer Gefühl? Schreibt, wenn ihr mögt, eure ersten Gedanken und eure erste Bauchreaktion als Kommentar bei YouTube.
Ich werde hier gleich mit genau zwei Gedanken auf diese Nachricht aus Brasilien reagieren. Wir können unsere Gedanken dazu ja dann vergleichen. Ich sage euch schon jetzt: Mein zweiter Gedanke ist etwas zynisch.
Flug PTB2283 am 9. August 2024
Die Fakten, soweit aktuell bekannt: Es handelt sich um Flug PTB2283 am 9. August 2024, geplant von Cascavel nach São Paulo-Guarulhos. Das Flugzeug sollte um 11:40 Uhr starten und um 13:50 landen. Tatsächlich startete man mit etwas Verspätung um 11:58. Und um 13:12 Uhr war der Flug vorzeitig vorbei.
In den sozialen Medien verbreiteten sich schnell Bilder des Absturzes. Die Maschine drehte sich um ihre Mittelachse, während sie praktisch wie der sprichwörtliche Stein vom Himmel fiel.
Bei dem Flugzeug handelt es sich um eine »ATR 72-500«, also eine Propellermaschine, wie sie auch in Europa für Regionalflüge eingesetzt wird. Zum Beispiel von der Lufthansa. Die neuere Ausstattungsvariante, die »ATR 72-600«, ist ein beliebter »Inselhüpfer« auf den Kanaren. (Für Details zu den Varianten siehe Wikipedia.)
Im Moment, während ich dies notiere, ist noch keine Ursache für das Unglück bekannt. Die Maschine fiel in einen Wohnbezirk in Vinhedo, in den Innenhof einer Wohnanlage (reuters.com, 10.8.2024), deren Bewohner wohl unverletzt blieben.
Brasiliens Präsident Lula äußerte seine Bestürzung und Solidarität. Der Gouverneur des brasilianischen Bundesstaates São Paulo erklärte eine dreitätige Trauer.
Die Flugschreiber wurden geborgen. Der europäische Flugzeughersteller ATR kündigte die Zusammenarbeit bei der Auswertung an.
Wenn auf den Flugschreibern nichts Spektakuläres gefunden wird, steht damit auch schon fest, dass vom Flug PTB2283 am 9. August 2024 wenig mehr bleiben wird als der obligatorische Wikipedia-Eintrag. Für einige Zeit bleibt auch noch ein gegen Ende krummes Strichlein auf flightradar24. Wie »geschichtsträchtig« ist sie aber wirklich, diese viertgrößte Flugzeugkatastrophe in Brasiliens Geschichte?
So berührend und schockierend diese Nachricht ist, so lässt es mich nicht los, zu fragen: Was lernen wir daraus?
Doch erwähnt werden
Lasst mich bitte, so wenig dramatisch wie möglich, zwei Gedanken zu diesem Absturz notieren.
Mein erster Gedanke zu diesem Absturz ist so naheliegend und selbstverständlich, dass er beinahe »banal« wirken könnte. Und doch ist es ein Gedanke, den die meisten von uns so gründlich und so lange verdrängen, dass er doch erwähnt werden muss.
Dies ist mein erster Gedanke: Auch für dich und mich kann es zu jedem Zeitpunkt plötzlich vorbei sein – plötzlich und, ja, unerwartet. Und dann, in der Zeitspanne zwischen Einsicht und Ende, ob das nun Sekunden sind oder auch Tage, zählt eigentlich nur eine Frage: Habe ich all meine Tage zuvor gut genutzt?
Carpe diem, so lehren die Alten – pflücke den Tag. Jeder Tag kommt nur einmal, so sagen wir hier. Lebe den Tag so, dass wenn plötzlich das Flugzeug abstürzt, in dem du sitzt, deine Gedanken nicht vor allem voll von Bedauern sind, über all die Tage, die du verschwendet hast.
Zehn solche Flüge
Mein zweiter Gedanke zu diesem Absturz klingt zunächst zynisch. Es ist eine Frage: Warum bewegt uns ausgerechnet der Absturz dieser Maschine so sehr, wenn durch andere Ursachen viel mehr Menschen sterben?
Wir könnten etwa über »das große K« reden. 239.948 Menschen sterben in Deutschland pro Jahr an Krebs, geteilt durch 365 ergibt das etwa 657 – also zehn solche Flüge pro Tag, jeden Tag.
Die Wahrheit ist wohl, dass wir uns abgefunden haben. Aber auch, dass es keine »gruselige Lust« bereitet, sich mit jemandem zu identifizieren, der ausgemergelt und vollgepumpt mit Morphin im Krankenhausbett dahinsiecht.
In einem Flugzeug zu sitzen, das in Spiralen viertausend Meter gen Boden stürzt, das ist spektakulär, das hat Hollywood-Qualität!
Wir stellen uns vor, selbst im Flugzeug zu sitzen. Wir phantasieren vielleicht davon, selbst das Flugzeug zu retten. Wir hören auch immer wieder gern von den Passagieren, die einen solchen Flug verpassten … ach, ihr merkt selbst, wie ich und damit wir uns schon wieder in diesem wohligen Schauder verlieren.
Doch genau diese Faszination für Flugzeugabstürze sollte uns eine Mahnung sein!
Wir wissen doch inzwischen alle, dass Flugzeuge statistisch das mit Abstand sicherste Transportmittel sind. Im Jahr 2023 ist Fliegen statistisch wieder sicherer geworden (siehe iata.org).
Aufs Jahr gerechnet stirbt bei Flugzeugabstürzen ein Mensch pro Tag – weltweit! Im Autoverkehr sterben allein in Deutschland pro Tag sieben Menschen, was auch schon lobenswert wenig ist für ein Land mit 69 Millionen zugelassenen PKWs (laut kba.de) – bei übrigens nur knapp 51 Millionen gültigen Fahrerlaubnissen (ebenfalls kba.de).
Die Medien lassen uns die Aufregung um den Absturz spüren, etwa focus.de, 9.8.2024: »Video zeigt rasenden Fall: Flugzeug stürzt in Brasilien ab – alle 61 Menschen an Bord tot«.
Da klickt, da liest, da schaudert man mit. Das bündelt die Emotionen und die Aufmerksamkeit. Das erschöpft, doch es befriedigt auf makabre Weise auch.
Und es macht auf denkbar nützliche Weise noch blinder als ohnehin für all die anderen, weniger gut ins »Narrativ« passenden Arten von Leid und Tod.
Blind etwa für Leid und Tod durch gewisse politische Entscheidungen. Taub für das Leid durch verheerende, aber von Staat und Propaganda verbreitete oder begünstigte Ideologien. Taub und blind und viel zu erschöpft für das Leid und womöglich auch den vielfachen Tod durch die blanken Lügen, welche der Staat, die Propaganda und gewisse internationale Akteure als »einzig erlaubte Wahrheit« durchsetzen wollen.
So etwas wie Seelenruhe
Das also sind meine zwei Reaktionen auf die aktuellen Nachrichten vom Flugzeugabsturz in Brasilien, nämlich erstens: Bedenke, dass du sterblich bist, und dass es auch für dich plötzlich vorbei sein kann. Nutze also jeden Tag so, dass du später nicht bereuen wirst, deine Tage verschwendet zu haben.
Und zweitens: Sei dir dessen bewusst, dass nicht jede Nachricht, die deine Aufmerksamkeit fesselt, für dich auch zwingend relevant ist. Es hat sich bewährt, davon auszugehen, dass Nachrichten entweder gelogen oder Ablenkungen sind. Wenn die Nachricht aus Brasilien wahr ist, wovon ich ausgehe, dann frage, wovon sie dich ablenkt.
Wir wünschen auf die Entfernung den Angehörigen der Opfer, wieder zu so etwas wie Seelenruhe zu finden. Und wir beschließen für uns, dass auch diese Nachricht uns klüger machen soll. Klüger, etwas weise und jedenfalls dankbar für jeden Tag … denn er kommt nur einmal.