Dushan-Wegner

27.04.2023

Sokratische Methode

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten, Was sagst du dazu?
Wer nicht fragt, bleibt dumm – wer nicht gefragt wird, womöglich auch. Mehr Mut zur so richtig alten Schule! Gemeint hier: Sokratische Methode und so. – Wer weiß (noch), was das ist?
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Wie viele Dinge wissen wir »eigentlich«, doch dieses Wissen scheint irgendwo in uns vergraben zu sein? Wenn wir es doch nur irgendwie »ausgraben« könnten! Der griechische Philosoph Sokrates (470–399 v. Chr.) entwickelte in der Antike eine Methode, um genau das zu erreichen – die Sokratische Methode.

Aber wozu?

Die Sokratische Methode ist eine Form des organisierten, zielgerichteten Dialogs. Durch Fragen werden Meinungen und Ansichten der Gesprächspartner abgeklopft. Indem der Fragende dem Gesprächspartner die begrifflichen und logischen Konsequenzen seiner Annahmen aufzeigt – oder: selbst entdecken lässt – werden widersprüchliche Aussagen aufgedeckt und der Gesprächspartner wird zu einer neuen Erkenntnis oder Einsicht geführt.

Zwei Fachbegriffe sind hier Elenchos (Widerlegung, weil der Fragende den Befragten widerlegt; siehe Wikipedia) und Mäeutik (also: Hebammenkunst, weil der Fragende dem Befragten zur »Geburt« der Erkenntnis der Wahrheit verhilft; siehe Wikipedia).

Was dagegen?

Man könnte gegen die Sokratische Methode argumentieren, dass sie oft zu einer Verwirrung der Gesprächspartner führt – ein verwirrter Gesprächspartner wird ja Dingen »zustimmen«, die er bei klarem Verstand ablehnen würde (es klingt ja plausibel).

Die Original-Dialoge selbst (die übrigens von Sokrates’ Schüler Platon aufgeschrieben wurden) enden oft damit, dass das »Opfer« sich bewusst wird, nicht zu wissen, was es eben noch zu wissen meinte. Ist das wirklich ein positiver Erkenntnisgewinn?

Gesteuerte Fragen können als manipulativ oder passiv-aggressiv empfunden werden, wenn der Fragende schon eine bestimmte Absicht verfolgt (»Sie sind doch bestimmt auch der Meinung, dass …«).

Dem Sokrates selbst ist seine Frage-Methode zuletzt nicht gut bekommen. Er wurde zum Tode verurteilt, weil er angeblich die Jugend von Athen verblende, und weil er gottlos sei, sowieso (siehe Wikipedia). Er trank den (heute sprichwörtlichen) Schierlingsbecher (siehe Wikipedia).

Die letzten Worte des Sokrates bestanden wohl aus der Bitte, dem Gott der Heilkunst, Asklepios, einen Hahn zu opfern – wir kommen nicht mehr dazu, Sokrates zu fragen, was genau er damit meinte.

Wofür ist es gut?

Die Sokratische Methode ist besonders nützlich in der Bildung, der Philosophie und in Debatten. Ob Lehrer oder Verkäufer: Wer steuernd fragt, betreibt eine Art der Sokratischen Methode. (Deshalb finden sich im Internet nicht wenige Blog-Beiträge zu »Sokratische Methode im Vertrieb«; siehe Google-Suche.)

Die Gesprächstherapie der Psychologen wird immer wieder zumindest als Idee auf den sokratischen Dialog zurückgeführt.

Und auch unser Motto hier ist erkennbar von der Methode des Sokrates inspiriert: »Prüfe alles, glaube wenig, denke selbst!« (Was würde Sokrates eigentlich zur Politik von heute sagen? Wahrscheinlich würden sie ihn wieder »canceln«, wenn auch immerhin nicht giftiges Kraut trinken lassen.)

Doch man kann sich auch selbst ein Sokrates sein! Man kann in sich hineinhören und fragen: »Ich sage, dass ich X für wahr halte, aber woher weiß ich das?«

Was ist Mut?

Lassen Sie uns mal einen ausgedachten Dialog im Sokrates-Stil formulieren – zum Beispiel über Mut.

A: »Das war aber mutig von dem!«

B: »Was meinst du mit ›mutig‹?«

A: »Na, dass er keine Angst hatte!«

B: »Findest du, dass Mut bedeutet, keine Angst zu haben? Gibt es Menschen, die Angst haben, aber trotzdem mutig handeln?«

A: »Ja, die gibt es wohl.«

B: »Wie würde man für die also Mut definieren?«

A: »Mut bedeutet wohl, etwas Gefährliches zu tun, ob man Angst hat oder nicht.«

B: »Wie nennt man einen, der etwas Gefährliches tut, sich aber der Gefahr nicht bewusst ist?«

A: »Das ist wohl Leichtsinn!«

B: »Kann Leichtsinn dasselbe sein wie Mut?«

A: »Wohl nicht.«

B: »Und gehört es nicht zum vollen Verständnis einer Gefahr, auch etwas oder viel Angst zu empfinden?«

A: »Ich nehme es an, ja.«

B: »Mut bedeutet, wie wir feststellen, zu handeln als ob man keine Angst hätte. Und Leichtsinn ist kein Mut. Was ist Mut also?«

A: »Es bleibt logisch wohl nur eines übrig: Mut bedeutet, etwas Gefährliches zu tun, obwohl man Angst hat.«

Wir brechen unser ausgedachtes Beispiel-Gespräch ab! Sie können ja bei Gelegenheit mal einen Sokrates-Dialog im (ins Deutsche übersetzten) Original lesen, zum Beispiel den Menon-Dialog: via projekt-gutenberg.de.

Wissen Sie noch?

Hier sind drei Fragen zur Sokratischen Methode – eine Frage zur Wiederholung und zwei zum Weiterdenken:

  1. Was hat Sokrates mit einer Hebamme gemeinsam?
  2. In welchen Lebenssituationen könnte man die Sokratische Methode praktisch anwenden?
  3. Welche konkreten Themen könnten Sie sich vorstellen, für die sich die Sokratische Methode eignen würde? Und: Welche Ihrer Bekannten werden mitmachen – und welche wohl nicht?

Weiterschreiben, Wegner!

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