17.11.2021

Solange du suchst

von Dushan Wegner, Lesezeit 3 Minuten
Es ist in Ordnung, nicht zu wissen, was genau man werden möchte, auch wenn man morgen den Hundertzwanzigsten feiert! Ja, wer sich ganz sicher ist, dass er die eine, bestimmte Person werden will, und bestimmt keine andere, woher nimmt er seine Gewissheit?
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Keine Ahnung, keine Meinung, kein Konzept, keine Lust um aufzustehen – so sang Westernhagen einst. Ich erinnere mich noch immer daran, bald drei Jahrzehnte später. Das Lied heißt: Es geht mir gut. (Das Lied ist auf YouTube.)

Unsere Tochter wird in diesen Tagen fünfzehn Jahre alt. Es fühlt sich an wie das bekannte Gestern, als wir ihre kommende Geburt meinen Eltern und Großeltern ankündigten. Meine Großeltern leben nicht mehr. Der Rest von uns ist eineinhalb Jahrzehnte älter geworden.

Nun wird sie also fünfzehn, die liebe Tochter, und sie plant nicht nur ihre Geburtstagsfeier! Der Teenager macht sich schon länger Gedanken über Studium und Beruf. Wie systematisch und klug sie dabei vorgeht!

Ich bin ehrlich beeindruckt vom planvollen Denken und Handeln unserer wunderbaren Tochter – doch wäre sie nicht so zielgerichtet, dann wäre auch das nicht schlimm!

Es ist in Ordnung, nicht zu wissen, wohin man will, und es wäre definitiv in Ordnung für einen Teenager.

Einige der spannendsten und liebenswürdigsten Menschen, die ich kenne, wissen mit vierzig oder fünfzig Jahren noch nicht, was sie »werden wollen«. (Und hier paraphrasiere ich, ungeplant, aber wahrlich nicht unwillig, ein weiteres schönes Lied, nämlich »Wear Sunscreen« von Baz Luhrman; siehe wieder YouTube.)

Man könnte bald eine philosophische Schule drauf aufbauen: Es ist in Ordnung, nicht zu wissen, was genau man werden möchte, auch wenn man morgen den Hundertzwanzigsten feiert! Ja, wer sich ganz sicher ist, dass er die eine, bestimmte Person werden will, und bestimmt keine andere, woher nimmt er seine Gewissheit?

Keine Ahnung, keine Meinung, kein Konzept, so sang einst Westernhagen. Ist das auch meine Hymne?

Nun, je mehr Ahnung ich habe, umso schmerzhafter erkenne ich, wie wenig Ahnung ich habe – eigentlich gar keine. Es ist ein ernüchternder Moment, wenn der berühmte Satz »Ich weiß, dass ich nichts weiß«, nicht mehr philosophische Koketterie ist, sondern banale Bestandsaufnahme.

Meinungen habe ich viele, viel zu viele, wenn ich auch zuletzt viel sanftmütiger geworden bin gegenüber anderen Meinungen, sprich: den falschen Meinungen. (Ja, das war ein Scherz. Ich bin nicht sanftmütig.)

Ob ich ein Konzept habe, das kann ich erst dann sagen, wenn ich für mich auf abstrakter Ebene geklärt habe, was eine Beschreibung erfüllen muss, um Konzept genannt werden zu dürfen.

Habe ich denn zumindest Lust, morgens aufzustehen? Man könnte sagen: Es ist mehr ein Getriebensein. – Zählt Getriebensein als »Lust, aufzustehen«?

Ich finde: Es ist in Ordnung, keine Ahnung, keine Meinung und kein Konzept zu haben. Es ist definitiv in Ordnung und im guten Sinne normal, morgens auch mal nicht aufstehen zu mögen.

Problematisch wäre wohl nur, es dabei zu belassen, und gar nicht zu versuchen, sich ein Konzept dieser ganzen Unternehmung namens Leben zu bilden!

Solange du suchst, solange ist es durchaus in Ordnung, wenn du noch nicht weißt, wo, was und wer du bist.

Wie gesagt: Solange du suchst.

Weiterschreiben, Wegner!

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