08.02.2022

Spiel mit deinem Leben!

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Foto von Abhidev Vaishnav
Die Realität fühlt sich dieser Tage wie ein makabres Spiel an, und der Einsatz ist immer das Leben selbst. Die große persönliche Frage lautet doch: In welchem Spiel spiele ich mit – und in welchem nicht?
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Du spielst mit deinem Leben! Ja, so könnte auch heute ein Mensch zum anderen Menschen sagen: »Hör auf damit! Wie kannst du das nur tun? Du spielst mit deinem Leben!«

Ob Berufswahl, Wahl des Wohnorts oder auch die Impfentscheidung (wie diese auch ausfällt). Sobald sich einer entscheidet, wenn er vielleicht sogar in seiner Entscheidung von der »Voreinstellung« abzuweichen wagt, schon dröhnen bald die warnenden Stimmen, und die Stimme seiner eigenen Angst ist womöglich deren lauteste: Was tust du? Wie kannst du? Siehst du denn nicht, dass du mit deinem Leben spielst?

Du gründest eine Firma? Weißt du denn nicht, wie viele Unternehmen pleitegehen? Du spielst mit deinem Leben!

Du willst um die Welt reisen? Weißt du denn nicht, was für Gefahren überall lauern? Du spielst mit deinem Leben!

Du heiratest? Weißt du denn nicht, wie hoch die Scheidungsrate ist? Du spielst mit deinem Leben!

Du bringst Kinder in die Welt? Weißt du denn nicht, dass Kinder zu den größten Armutsrisiken zählen? Du spielst mit deinem Leben! (Und absurderweise angeblich wohl auch mit jenem Leben, dessen Existenz erst durch dich begann.)

Du willst Künstler werden? Mit 55 Jahren den Beruf wechseln? Auswandern? Dableiben? Impfen lassen? Nicht impfen lassen? Einen Nagel in die Wand schlagen? Ein Bad nehmen? Einatmen? Ausatmen? Alles gefährlich! Du spielst mit deinem Leben!

Zu spielen, das ist uneigentliches Handeln, auf eine Weise, die Freude bereitet.

Das »ernsthafte« Handeln aber, das keine Spur von Spiel enthält, mit dem beruhigenden Geruch von Chlor und Konsequenz, es ist in seiner Eigentlichkeit eine Illusion. »Man kann sich das Leben auch durch allzu großen Ernst verscherzen«, so sagt ein geflügeltes Wort, und natürlich ist es wahr.

Wenn du kein Gott bist, dann ist all dein Handeln im besten Fall der Versuch eines Handelns, so wie jeder Wurf eines Keglers der Versuch ist, die Kegel umzuwerfen.

Jede deiner Entscheidungen ist eine »Als-Ob-Entscheidung« – im besten Fall: Als ob es gelingen könnte. Als ob ich genug bedacht hätte. Als ob mir auch diesmal genug Glück beschert sein würde.

Du weißt nicht, was der neue Tag bringt. Ein neuer Konkurrent kann dein Geschäft überflüssig werden lassen. Dein Ehepartner kann dir gegenüber erkalten. Die für dich zuständige Regierung kann böse werden. Deine Gesundheit kann nachgeben. Du kannst wichtige Details übersehen und dich tragisch verschätzen. Du kannst schlicht Pech haben.

Du handelst immer im besten Falle nur so, als ob dein Vorhaben gelingen könnte. Also ist dein Handeln immer nur ein Spiel. Es liegt an dir, und es wird deiner Seele guttun, das Spiel auch als Spiel zu nehmen, und selbstbewusst die Regeln des Spiels zu lernen – sie vielleicht sogar zu schreiben.

Der Mensch trifft Entscheidungen immer nur, als ob sie sinnvoll wären, als ob mir genug Informationen vorlägen, als ob ich mir sicher sein könnte, dass just in diesem Moment mir weder mein Verstand noch mein Herz einen Streich spielen.

Wir treffen Entscheidungen, als ob wir wüssten, was wir tun – und das auch nur an guten Tagen. Unsere Entscheidungen sind immer nur ein Spiel, ein Versuch, eine Wette auf die Richtigkeit unserer Deutung.

Ihr habt gehört, dass ihr nicht mit dem Leben spielen sollt, doch ich sage euch: Wer nicht mit seinem Leben spielt, der hat es bereits verspielt.

Es hat seinen Grund, warum so viele Unternehmer regelmäßig Poker spielen oder ein gefährliches Hobby pflegen, wie schnelle Autos zu fahren oder auf dem offenen Meer zu segeln. Es passt zum Denk- und Lebensstil, den manche von ihnen für sich wählten: Das Leben ist ein Spiel mit maximalem Einsatz. Das Leben ist ein Spiel ums Leben selbst.

Im Gleichnis von den anvertrauten Talenten (Matthäus 25) spricht Jesus vom reichen Mann, der auf Reisen ging, und seinen Knechten unterschiedliche Mengen an Silber anvertraute. Zwei der Knechte handeln mit dem anvertrauten Vermögen, und sie werden gelobt. Einer aber vergräbt es feige, und über diesen heißt es: »Und den unnützen Knecht werft hinaus in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern.« – Was war sein Vergehen? Er hat nicht gespielt, er hat nicht gehandelt, als ob das Handeln zum Erfolg führen könnte, er hat nicht gewagt, und also wurde ihm wieder alles genommen, sodass ihm nichts bleibt.

Ich sage zu mir, zu meinen Kindern, ich sage zu einem jeden von uns, die wir in diesen Zeiten zu verkrampfen drohen: Spielt, aber lernt die Regeln! Ja, lernt die Regeln des Spiels, die Tricks und die Kniffe, vor allem aber spielt! Habt Freude am Spiel, habt Freude am Leben selbst!

Ich rede hier wahrlich nicht vom »Zocken«, von einer Mentalität des »Augen zu und durch«, vom Verjubeln fremden Geldes, wie Regierungen und Sozialisten es gern tun – das wäre eine böse Art von Spiel (ich schrieb darüber im Essay vom 30.4.2019). – Das Spiel, von dem wir reden, ist das ernsthafteste aller Spiele, es geht ums Leben selbst, es geht um diesen Tag, um die nächste Woche, um dieses Jahr.

Stellen wir uns ein Spiel vor, in welchem du zu Beginn einen Einsatz gestellt bekommst, den man dir zum Schluss aber wieder wegnimmt. Der Einsatz wird dir so oder so wieder genommen werden, und wenn etwas bleibt, dann nur das, was du über den Einsatz hinaus gewonnen hast. – So ähnlich verhält es sich mit dem Spiel, das wir das Leben nennen.

Dein Leben wurde dir gegeben, dein Leben wird dir wieder genommen werden, und der Wert deines Lebens ist das, was du dir darüber hinaus erspielt hast – der Wert, der Sinn, das Gute, ja, die Schönheit.

Spielt, oder werdet zu Spielfiguren. Zieht, oder werdet gezogen. Vor allem aber: Entscheidet selbst, in welchem Spiel ihr mitspielt.

Weiterschreiben, Wegner!

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