Ich weiß, wir können es alle nicht mehr hören: »Flüchtlinge«, »Migranten«, »Wir haben Platz« (und mit »wir« ist das einfache Volk gemeint, nicht die, welche all das beschließen und propagieren).
Wenn ich eben sagte, wir »können« das nicht mehr hören, bedeutete das natürlich: Wir wollen es nicht mehr hören. Es klingt uns wie Lügen über Lügen. Niemand mit mehr als drei Gehirnzellen glaubt noch, dass das Gros der »Flüchtlinge« wirklich solche sind. Wenn Hundertschaften junger Männer im wehrfähigen Alter nach Europa eingeflogen und fürs Erste in EU-finanzierten Baracken stationiert werden, so höre ich wütende Bürger rufen, ist »Flüchtlinge« womöglich nicht das richtige Wort.
Wir können und wollen es nicht mehr hören, aus mehr als einem Grund. Zum Beispiel die wütende Hilflosigkeit, die uns bald Magengeschwüre wachsen lässt.
Und doch müssen wir es hören, aus allen Richtungen, zu jeder Tages- und mancher Nachtzeit. Wenig überraschend: auch vom Papst.
Was aber dieses Jahr vom Papst Leo XIV. verbreitet wurde, ist je nach Sichtweise ein enttäuschender Kotau vor dem Bösen oder – und das ist meine These – eine verschlüsselte Warnung.
Erstarrte und schwerfällige
Seit 1914 wird von der Katholischen Kirche ein Welttag der Migranten und Flüchtlinge begangen. Es wundert wenig, dass der bei vielen Gläubigen umstrittene Papst Franziskus diesen Tag mit besonderem Gusto beging.
Franziskus ließ auf dem Petersplatz eine Statue mit »Flüchtlingen« aufstellen, gleichauf mit Aposteln und Heiligen (bbc.com, 30.9.2019). Ja, mit dem Namen »Angels Unaware« erhob Franziskus etwa die Migranten aus Syrien in den Status von Engeln, sprich: sünd- und willenlosen Dienern Gottes. Eine simple Google-Suche nach »Syrer« und »Messer« könnte einen sarkastisch fragen lassen, ob diese Engel wirklich Engel aus dem Himmel sind.
Papst Leo XIV. hat diese Woche, wie man es erwarten würde, eine Botschaft zum Welttag der Migranten und Flüchtlinge 2025 veröffentlicht (vatican.va, 25.07.2025).
So wie es die Pessimisten und Zyniker erwartet haben – und wie es gewisse »globale« Kreise sehr freuen wird –, wird es Zeit, dass wir ihm glauben, wenn Leo XIV. sagt, er würde die Agenda seines Vorgängers fortführen (reuters.com, 10.5.2025).
Oder?
In einer langen Passage lobt der Papst »insbesondere katholische Migranten und Flüchtlinge«: »Mit ihrer spirituellen Begeisterung und ihrer Lebendigkeit können sie nämlich dazu beitragen, erstarrte und schwerfällige kirchliche Gemeinschaften wiederzubeleben, in denen die spirituelle Wüste bedrohlich voranschreitet.« (vatican.va, 25.07.2025)
Ebenfalls unfehlbar
Ich gestehe euch, dass mein erster Reflex darin bestand (und etwas in mir denkt das immer noch), abzuwinken. »Jaja«, dachte ich, »das übliche Globalisten-Geschwätz. ›Begeisterung‹ und ›Lebendigkeit‹ erinnern an das fake-naive Geschwätz linksgrüner Migrationsgewinnler.«
Und so wollte ich alles rundherum ablehnen – warum Zeit verschwenden? Jeder Tag kommt nur einmal.
Doch ich besann mich schnell, natürlich. Mir fiel die Hierarchie der Autorität ein, und die ist hier relevant!
Zwischen dem Unfehlbaren und dem Privaten
Der höchste und bekannteste Grad päpstlicher Autorität ist ex cathedra. Was derart formuliert ist, gilt als unfehlbar und verlangt Glaubensgehorsam.
Weniger bekannt, aber ebenfalls unfehlbar sind Lehrentscheidungen ökumenischer Konzilien. Als ebenso unfehlbar und also hinzunehmen gilt übrigens die beständige und einhellige Lehre der Mehrheit der Bischöfe, inklusive des Bischofs von Rom – selbst wenn einzelne Irrlichter ausscheren sollen. Dazu zählt etwa die Verurteilung von Abtreibung und das nur Männern vorbehaltene Priestertum.
Am »unteren Ende« päpstlicher Autorität sind private Meinungsäußerungen (etwa in Interviews oder spontan im Vorübergehen). Die haben keinen Lehrcharakter. Natürlich empfiehlt es sich dennoch für den Heiligen Vater, jedes seiner Worte zu wägen, doch solche privaten Aussagen sind eben das.
Zwischen dem Unfehlbaren und dem Privaten aber existiert eine besondere Zwischenstufe des »authentischen Lehramts«, etwa in Enzykliken und apostolischen Schreiben.
Nicht die Größe, nicht die Tiefe
Auf schillernde Weise legendär sind einige entsprechende Schreiben von Papst Franziskus.
Etwa Amoris Laetitia – die Dubia der vier Kardinäle wurden nie vollständig beantwortet.
Mit Laudato Si’ (2015) wurde Franziskus zum Klimajünger. 2019 zelebrierte er in den Vatikangärten ein an Götzendienst erinnerndes Ritual mit südamerikanischen Pachamama-Figuren (»Mutter Erde«). 2025 nun führte Leo XIV. die unter Franziskus vorbereitete »Missa pro cura creationis« ein, die »(Votiv-)Messe für die Sorge um die Schöpfung«.
Oder im Jahr 2020, mit Fratelli Tutti, wo der Papst aus den gesicherten Gemächern des Vatikans heraus politisch wird und gegen nationale »Egoismen« wettert. (Die deutsche Übersetzung enthält inkl. Überschriften viermal die Formulierung »ohne Grenzen«. »Grenzen« allein ist 25-mal enthalten und neunmal Varianten von »Egoismus«.)
Das in der Wirkung für die Kirche wohl schmerzhafteste Schreiben von Papst Franziskus war aber wohl »Traditionis Custodes«. Es ist eine von manchem traditionellen Katholiken als brutal und demütigend bezeichnete Einschränkung traditioneller Gottesdienste in der katholischen Kirche. Bislang hat Leo XIV. zwar öffentlich laut und schön auf Latein gebetet – doch zurückgenommen hat er die Grausamkeit (bislang) nicht.
Nein, die Papst-Schreiben der letzten Jahre haben nicht ganz die Größe, Tiefe und moralische Strahlkraft früherer Schreiben – leider im Gegenteil.
Nicht die Größe des Rerum Novarum aus dem Jahr 1891, als sich Leo XII. gegen den Marxismus stellte und doch zugleich den Kapitalismus und die Folgen der Industrialisierung scharf kritisierte.
Nicht von Mit brennender Sorge, 1937 von Pius XI. an Deutschland gerichtet. (Übrigens auch heute lesenswert! Zitat: »Ein besonders wachsames Auge, ehrwürdige Brüder, werdet Ihr haben müssen, wenn religiöse Grundbegriffe ihres Wesensinhaltes beraubt und in einem profanen Sinne umgedeutet werden.«)
Nicht von Humanae Vitae, als Paul VI. die künstliche Empfängnisverhütung verbot – und zwar im Jahr 1968, in jenem Jahr, dessen Zahl heute für den Anfang vom Ende des Westens steht.
Deshalb verwundert es wenig, wenn die Personalentscheidungen und Schreiben des neuen Papstes von der interessierten Öffentlichkeit sehr genau geprüft werden.
Nur vom Zerbrechen reden
Das Schreiben des Papstes zum Welttag der Migranten und Flüchtlinge 2025 wird nicht so verheerend sein, wie es manche Schreiben von Papst Franziskus waren. Und leider hat es gewiss nicht die Größe manch anderer Schreiben in der Geschichte. Es liegt wohl irgendwo dazwischen.
Es enthält allerdings ein Schlüsselwort, das die Alarmglocken schrillen lassen sollte, und jenes Schlüsselwort ist im Deutschen »starr«, im Englischen »rigid«.
2023 genehmigte Papst Franziskus die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare. Und in diesem Kontext fühlte er sich wohl genötigt, zur Vermeidung von »rigid ideologies« / »starrer Ideologien« zu warnen (pbs.org, 21.12.2023).
Man muss befürchten: Wer »rigid« sagt, referiert damit auf die Tradition, die Identität, das bewährte Gute – womöglich sogar: das Heilige.
Wenn Franziskus von »rigid« spricht, hören nicht wenige Katholiken: Tradition, »the old times religion« – und damit: wir selbst.
Warum aber ausgerechnet das Wort »starr«?
Was starr ist, kann nicht verbogen werden – aber zerbrochen. Veränderung des Starren bedeutet, es zu brechen.
Wenn also Franziskus und Leo XIV. davon schwärmen, welche Veränderung die Migration bringen wird, können sie nur vom Zerbrechen reden. Wovon denn sonst?
Die Hierarchie der Autorität
Hat Papst Leo XIV. also seine Freude am Zerbrechen der Tradition durch Migranten ausgedrückt, ganz in Tradition von Franziskus?
Schauen wir genauer hin!
Jener Absatz begann: »Insbesondere katholische Migranten und Flüchtlinge«. Man beachte das Wort »katholische«.
Tatsächlich hört man etwa aus den USA, dass manche katholische Kirche am Sonntag vor allem von südamerikanischen Einwanderern gefüllt ist – und ohne diese leer wäre. Wenn unsere Sonntagsfaulheit »zerbrochen« wird, dann wäre das definitiv eine »Starrheit«, die zerbrochen zu werden verdient.
Beachten wir die zwei Einschränkungen: »katholische« und »können«. Erinnern wir uns an die Hierarchie der Autorität. Ein solches Schreiben ist nicht unfehlbar. Es kann aber auch nicht so falsch sein, dass es die Gläubigen in die Irre führen könnte.
Das heißt, so meine Deutung, dass in diese politisch korrekte Formulierung die Wahrheit eincodiert sein muss.
In diese Worte ist kodiert, so wage ich zu lesen, dass katholische Einwanderer neues Leben in die Kirchen bringen können – oder: neuen Geist.
Was aber ist mit den anderen Migranten? Was ist mit den Migranten, die unsere Nächstenliebe-Instinkte missbrauchen – und dann offen über uns lachen? Was ist mit den Migranten, die wie eine Armee junger, durchtrainierter Männer wirken – und nicht wie die Flüchtlinge in den Geschichtsbüchern? Was ist mit den Migranten, die aus Christenhass unsere Kirchen verschandeln und Priester niederstechen? (siehe Essay »Braucht man Kirchen, wenn man nicht an Gott glaubt?«)
Von all denen hat Leo XIV. nicht gesprochen.
Missionare welcher Hoffnung
Nein, der Papst hat nicht gelogen.
Er hat, vielleicht damit wir nicht in die Irre geführt werden, uns überlassen, jene Details zu ergänzen, die er ausließ.
Wenn wir aber die fehlenden Details eintragen, kommen mir doch Zweifel, den Titel dieses Schreibens betreffend: »Migranten, Missionare der Hoffnung«.
Missionare ja, aber nicht zwingend der Hoffnung. Zu oft leider: Auslöser der Hoffnung auf ein Wunder.
Ich habe es zuvor gesagt, und ich sage es wieder: Ich warte auf das Wunder, das Wunder, das kommen soll.
Ich glaube aber auch, ohne Ironie oder Poesiebuch-Naivität, dass Hoffnung wie auch Wunder mit meiner Arbeit beginnen.
»Ora et labora«, so die Benediktiner: Bete und arbeite.
Bete, als ob Arbeiten nichts bewirken könnte – und arbeite, als ob Beten nichts bewirken könnte.
Wenn du aber beides in dieser Art getan hast – und zwar erst dann! –, dann vertraue darauf, dass es werden wird, wie es werden soll.
Nachtrag
Als ich zu Ostern 2025 mit Leo zu Besuch in Rom war, hatten wir Tickets für die Besteigung des Petersdoms. Auch um Ausschau zu halten, wo denn bitte im Vatikan die Flüchtlingsheime sind, um all die Starrheit aufzubrechen.
Am Ostermontag ereignete sich dann etwas, was verständlicherweise zur Absage der Besteigung und manch anderer touristischer Routinen führte. (Ich drehte ein kurzes Video dazu.)
Nun ist die liebe Tochter mit einer Freundin in Italien unterwegs, und beiden ist es am Freitag gelungen, die vielen Treppenstufen über Petri Grab zu besteigen, etwas näher an den Himmel. Hier sind zwei Fotos für euch, eines nach innen und eines nach außen.

