Dushan-Wegner

29.10.2017

War das Ziel nicht Gleichberechtigung?

von Elisabeth Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Foto von Roya Ann Miller
Nein, ein Kompliment ist nicht die größte Katastrophe. Ein Text über Hummeln, die Schubladen überwinden.
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Ich habe das Glück, mit einem noch nicht ganz alten, weisen, zufällig auch weißen, zufällig männlichen Mann verheiratet zu sein. In letzter Zeit wurde er häufiger gebeten, doch einmal zur aktuellen Sexismusdebatte einen Beitrag zu schreiben. Weil er nun aber so klug ist, sagte er lieber:  »Frau, schreib Du bitte zu dem Thema. Ihr Frauen kommt da besser in die Ecken.«

Nun bin ich wohl neben anderen Gruppen auch der der Frauen zuzuordnen, trotzdem keine begeisterte Trittbrettfahrerin auf den Empörungszügen von #aufschrei oder #metoo. Klar habe ich auch schon mal ein Kompliment bekommen, auch schon mal eins, über das ich mich nicht gefreut habe, weil ich es als dumm oder plump empfand. Aber es war für mich nie ein Anlass, ein Fass aufzumachen. Bei dummen Sprüchen (auch die gab es natürlich, in der Schulzeit, im Studium, im Geschäftsleben) gab es von mir zuverlässig einen Spruch zurück. Meistens lächelnd und freundlich.

Aber lassen Sie uns einen kurzen Blick auf das Thema Sexismus in Deutschland im Jahr 2017 werfen.

Strukturelle Probleme

An unseren Schulen lässt sich systemischer Sexismus im Alltag beobachten. Gerade Grundschulen sind viel eher auf die Bedürfnisse von Mädchen zugeschnitten als auf die von Jungen. Das lange Stillsitzen, gerade für Jungen mit großem Bewegungsdrang ist eine Qual, vollkommen natürliches Raufverhalten wird unterbunden, und vieles mehr.

Der Markt ist sexistisch, denn in den Mädchenabteilungen der Spielwarenläden gibt es die pinke Hölle mit Schmink- und Mode- und Putzsachen, Besen, Bügeleisen, Manikürestudios und ähnlichem Graus. Bei den Jungs findet sich alles, was es für den Start in die wissenschaftliche Laufbahn braucht, Dino-Ausgrabungssets, Roboter, Marssonden-Modelle, ein einziger Kinderzimmertraum. Leider ist die Nachfrage dementsprechend. Und aus eigener, bitterer Erfahrung im Bekanntenkreis weiß ich, dass man nicht bei allen jungen Damen auf Begeisterung stößt, wenn man ihnen das Elektronik-Einsteigerset schenkt, statt des gewünschten Top-Model-Vollpakets.

Mädchen-Förderprojekte sprießen wie Pilze aus dem Boden. Das Ziel ist ehrwürdig, mehr Frauen in die technischen Berufe zu motivieren, mehr Studentinnen in die MINT-Studienfächer. Ich selbst habe diverse AGs in Schulen geleitet, mit dem Ziel Begeisterung für Mathematik und Technik weiterzugeben. Allerdings kann man Kinder nur mitreißen und nicht zwingen sich zu begeistern. Egal, ob Jungen oder Mädchen. Angebote, die sich nur an Mädchen richten, stellen wiederum eine Ungerechtigkeit dar. Es geht doch um Gleichberechtigung.

Es gibt noch immer viel zu wenig männliche Erzieher. Und wenn es sie denn gibt, wird ihnen von Elternseite häufig erst einmal mit Argwohn begegnet. Es ist noch viel zu tun, viele Schräubchen zu justieren.

Probleme auf persönlicher Ebene

Manche Äußerungen oder Handlungen werden von einzelnen Menschen als herabwürdigend empfunden. Hier ist die Lage verzwickt, denn was die eine Frau freut, stört die andere zu tiefst. Die ganze Absurdität drückt sich dann zum Beispiel in Tweets wie diesem aus:

War das Ziel nicht Gleichberechtigung?

In diesem Bereich wird es, wie Sie sehen, schnell schwammig. Natürlich kann ich subjektiv nur für mich sprechen. Und natürlich bin ich mir des Confirmation Bias bewusst, der bewirkt, dass es mir so erscheint, als wären die meisten vernünftigen Menschen meiner Meinung und alle anderen hysterisch. Aber das ist, wie gesagt, rein subjektiv. Ein bisschen geht es mir da wie der berühmten Lieblingshummel aller SozialpädagogInnen:

Die Hummel hat 0,7 cm² Flügelfläche und wiegt 1,2 Gramm. Nach den Gesetzen der Aerodynamik ist es unmöglich, bei diesem Verhältnis zu fliegen.
Die Hummel kümmert das nicht und sie fliegt trotzdem.

Als durchschnittlichem Menschen begegnen mir durchschnittlich viele, teils nett gemeinte, teils fiese, teils dämliche, teils herabwürdigende Sprüche. Aber da ich meistens zu beschäftigt bin mit irgendetwas Spannendem, Interessantem oder Inspirierendem, kümmere ich mich nicht darum und mache einfach weiter mein Ding.

Ein wenig absurd ist die Tatsache, dass die Zeit, die Frauen damit verbringen, sich Luft zu machen über wahrgenommene sexistische Sprüche, von anderen genutzt wird, um sich weiterzubilden und an ihren Fähigkeiten zu feilen.

Sexismus in anderen Kulturen

Ein Argument, was gerne angeführt wird, um der hiesigen Sexismus-Debatte den Wind aus den Segeln zu nehmen, ist, dass es in Deutschland gar keine wirklichen Probleme mehr gibt, wenn man auf andere Länder und Kulturkreise blickt.

Dieses Argument überzeugt mich wenig. Denn dass es anderswo schlimmer ist, heißt nicht, dass wir bereits alle Ziele erreicht hätten. Eine Zukunftsvision, die ich mir für meinen Sohn und meine Tochter wünsche und für unsere Gesellschaft als Ganzes, ist ein gleichberechtigtes Miteinander, gleiche Rechte, gleiche Pflichten, gleiche Möglichkeiten zur persönlichen Entfaltung bei gleicher Wertschätzung. So lange das Ziel nicht erreicht ist, haben wir noch Arbeit vor uns.

Diese Vision allen in Deutschland Lebenden nahezubringen stellt auch einen Aufgabenbereich bei der Integration von Migranten dar. Auch hier lässt sich das Problem, oder besser, die Aufgabe, bereits in Kindergärten und Grundschulen beobachten. Häufig sind es Kinder mit Migrationshintergrund, die den Erzieherinnen weniger respektvoll begegnen oder von ihren weiblichen Gruppenkolleginnen erwarten, dass sie für sie aufräumen oder Tische beim Mittagessen putzen. Hier ist es wiederum hilfreich, für die Lernphase männliche Erzieher im Team zu haben. Und auch in diesem Alter zumindest lässt sich mit Geduld, Lächeln und freundlichen, so oft wie nötig wiederholten Erklärungen mehr erreichen, als mit empörtem Gezeter und Bestrafungsaktionen.

Für eine freundliche, unaufgeregte Debatte

Zum Abschluss mein Ceterum Censeo für alle Debatten: freundlich und unaufgeregt zu bleiben bringt uns alle weiter. Ich halte nichts von Schubladen, auch nicht von solchen, in die man sich selbst steckt. Wollen wir in einer Gesellschaft leben, in der nur noch reiche und schöne Männer es sich erlauben dürfen, einer Frau ein Kompliment zu machen? Wenn eine Äußerung eines Mitmenschen mich stört, kann ich doch versuchen, das freundlich und ruhig zu kommunizieren, ohne das Gegenüber gleich an einen Pranger zu stellen. Ein bisschen Wohlwollen kann hier helfen, wenn es wirklich darum geht, die Gesellschaft zu gestalten und nicht bloß darum, für sich selbst Aufmerksamkeit zu generieren. Es gibt so viele positive, konstruktive Beschäftigungen, denen man nachgehen kann. Keine/r muss sich empört zum Opfer stilisieren.

Natürlich darf der Mann auch etwas zu dem Thema beisteuern und hat das in der Vergangenheit auch schon getan. Zum Beispiel mit folgenden Texten: Bekenntnisse eines Mansplainers, Feminismus, Malerinnen der Renaissance.

 

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