14.06.2019

Wenn die AfD die anderen Parteien so behandeln würde, wie diese sie behandeln

von Dushan Wegner, Lesezeit 6 Minuten, Bild von Tony Reid
Stellen wir uns vor, die AfD käme an die Macht und würde die anderen Parteien so behandeln, wie diese sie heute behandeln. »Undemokratisch!« würde man brüllen, und »Unanständig!« – und womit? Mit Recht.
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Die großen Fragen der Denker und Philosophen sind nur die kompliziert ausformulierten Fragen, die wir uns als Kinder gestellt gaben, damals, als wir am Anfang unseres Lebens standen und irritiert versuchten, die Welt und ihre Regeln zu verstehen.

»Warum darf sie das und ich nicht?!«, so fragt mein Sohn, weil die um drei Jahre ältere Schwester noch wachbleiben darf, um ihr Buch zu lesen, während er schon zum Schlafen abkommandiert wird – die Augen fallen ihm ja schon zu!

Es scheint den Kindern angeboren zu sein, dass Regeln für alle gelten sollten, das gebietet ihnen ihr Gefühl von Fairness.

Die angeborene Gerechtigkeit wird gelegentlich vergessen, wenn man es selbst ist, der mehr Kekse bekam; dann heißt es auf die elterliche Nachfrage, ob das denn so gerecht sei: »Ja, denn ich habe heute eine Eins in Englisch bekommen!« – Wie gut, dass es immer eine passende Regel gibt.

Der deutsche Philosoph Immanuel Kant formulierte das kindliche »Warum darf die das und ich nicht?« eleganter; wir kennen es als den Kategorischen Imperativ:

Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde. (Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten)

Man mag manche Anmerkung und Einschränkung anbringen, und es wurde getan. (An dieser Stelle sei ein alter Witz erzählt! Sagt der Masochist zum Sadisten: »Quäl mich!«, sagt der Sadist: »Nein!«) – Doch abgesehen von Fragen wie jener, ob der kategorische Imperativ auch für Masochisten und Sadisten gilt, lässt sich die abgeleitete Faustregel ableiten: Wenn du dich dabei erwischst, auf eine Weise zu handeln, von der du nicht möchtest, dass alle so handeln (also auch dir gegenüber, »was du nicht willst…«) dann ist es ziemlich wahrscheinlich, dass du gerade falsch und ethisch schlecht handelst – auch und gerade nach deinen eigenen Maßstäben – und welche anderen Maßstäbe willst du denn sonst auf dich anwenden?

Noch wird verneint

Es stehen Landtagswahlen in jenen deutschen Bundesländern an, welche uns die Tote Oma und das Meißner Porzellan brachten, welche Deutschland via Montagsdemonstrationen schließlich auch die Wiedervereinigung bescherten.

Die Ex-DDR-Bürger haben über die Jahre ein gewisses Misstrauen gegenüber »offizieller Wahrheit« entwickelt, und manche von ihnen bekommen kalte Gänsehaut, wenn Besserwessis und deren Staatsfunk ihnen sagen, was sie zu wählen und was sie doof zu finden haben.

In Sachsen und Brandenburg wird am 1.9.2019 der neue Landtag bestimmt, in Thüringen am 27.10.2019. In Brandenburg und Sachsen liegt die AfD laut Umfragen vor den übrigen Parteien, in Thüringen liegt sie aktuell auf Platz zwei hinter Merkels Echten (siehe etwa welt.de, 13.6.2019, wahlrecht.de).

Die Nicht-AfD-Parteien sind nervös – sehr nervös. Nicht alles, was sie hektisch unternehmen, ist rational und zu ihrem eigenen Wohl. Nicht alles, was die übrigen Parteien versuchen, ist eindeutig als demokratisch erkennbar (man denke nur an das unwürdige Gezerre um den Posten des Bundestagsvizes, welcher der AfD nicht zugestanden wird, während eine Bundestagsvize mit SED-Vergangenheit akzeptabel scheint). Bei Gelegenheit ist das, was die etablierten Parteien in ihrer Panik tun, eine blanke Verhöhnung der Opfer des deutschen Totalitarismus.

Der Ministerpräsident von Schleswig Holstein empfiehlt seiner Partei, die umbenannte SED nicht mehr »auszugrenzen« (»Die Zeit der Ausgrenzung ist vorbei«, spiegel.de, 12.6.2019). Noch wird verneint, dass da eine CDU-SED-Koalition angebahnt wird, doch wie lange noch? Wir erinnern uns an die Erklärungen nach der Bundestagswahl 2017, es würde niemals nie nochmal eine Große Koalition geben, und wir können ahnen, was so ein Politikerwort heute wert ist.

Ich bin nicht sicher, wie viel Vertrauen es mir einflößt, dass und wenn die Chefs von Umfrageinstituten als Kommentierer und Erklärer ihrer Umfrageergebnisse auftreten, es ist eine Mode eben. Der INSA-Chef Hermann Bunkert wird zitiert:

»Die aktuelle Landesregierung hat keine Chance mehr auf eine eigene Mehrheit. Die AfD liegt in der Wahlabsicht zwar vor der CDU, die CDU hat aber in einem Viererbündnis mit Grünen, SPD und FDP die Chance, den Ministerpräsidenten zu stellen« (INSA-Chef Hermann Bunkert, via augsburger-allgemeine.de, 13.6.2019, wo die BILD zitiert wird)

Was sagt es über die Inhalte der Parteien aus, dass ein Quer-durch-die-Bank-Bündnis auch nur denkbar ist? Dem Wähler wird signalisiert, dass es egal sei, wen er wählt – er bekommt doch wieder dasselbe serviert. Man denkt an die zynisch-witzige Redensart, dass wenn Wahlen etwas ändern würden, sie verboten wären. Durch solche Quasi-Annulierung von Wahlergebnissen vorab, und sei es nur durch die Spekulationen eines Demoskopen, könnte der Bürger den Glauben an die Demokratie verlieren. Wenn der Bürger in der Demokratie nicht auf die Kraft seiner Wahlstimme vertrauen kann, wie kann er dann der Demokratie vertrauen?

Vom Teufel besessen

Stellen wir uns für eine Sekunde vor, die AfD käme zur absoluten Mehrheit und würde die übrigen Parteien so behandeln, wie diese aktuell die AfD behandeln. – Zeter und Mordio würde geschrien werden, »undemokratisch« und »unanständig« würden sie rufen, und natürlich lägen sie richtig. (»ze æchte her« und »mordio« stammen übrigens aus der Anklage in mittelalterlichen Prozessen, und etwas mittelalterlich wird es heute.)

Das merkwürdige Argument unser aller Lieblingsguten lautet, wenn man es rekonstruieren wollte: »Man darf die AfD undemokratisch behandeln, damit sie nicht an die Macht kommt und selbst undemokratische Dinge tut.«

Das implizite Argument der etablierten Parteien, es sei geboten, im Umgang mit der AfD die Demokratie zu beschädigen, damit diese es nicht selbst tut, ist ähnlich dem Argument des Irren, der Leute in der Straße angreift, weil er meint, ihnen am provokativen Blick abzulesen, dass sie seine »Ehre« beschädigen wollten.

Wenn sie an die Macht kommen

Ich schlage einen kategorischen Imperativ für die Politik vor: Behandele andere Parteien stets so, dass es zur allgemeinen Regel für den demokratischen Umgang von Parteien untereinander werden könnte.

Als goldene Regel formuliert: Behandele andere Parteien so, wie du möchtest, dass sie dich behandeln, wenn sie an die Macht kommen.

Wenn die AfD an die Macht käme, hätte sie das moralische Recht verdient, die übrigen Parteien zu benachteiligen und zu drangsalieren, deren Kandidaten widerrechtlich zu sabotieren, in Medien eine Zahl von Aktivisten zu installieren, die Tag und Nacht auf hunderten Kanälen gegen alles, was nicht AfD ist, agitieren. Die Angriffe von Antifa-Schlägern auf die AfD werden gesellschaftlich zu oft toleriert oder ignoriert, wenn nicht sogar explizit begrüßt – welches moralische Recht die AfD daraus ableiten könnte, das auch nur zu fragen graust mich. Sollte die AfD tatsächlich irgendwann irgendwie an die Macht kommen, ist zu hoffen, dass sie die dreckigen, undemokratischen Methoden ihrer Gegner nicht auch nur im Ansatz zu »vergelten« sucht.

Noch einfacher, noch aktueller

Wenn man in der CDU darüber nachdenkt, die umbenannte SED nicht »auszugrenzen«, wenn in Medien über eine Koalition quer durch das gesamte Parteienspektrum gegen den Wahlgewinner nachgedacht wird, dann ist nicht mehr sinnvoll zu bestreiten, dass zu viel Meinungsmacher zu offen bereit sind, die Werte der Demokratie und den Respekt vorm Wählerwillen für die etablierte Macht-um-jeden-Preis zu opfern. Der Wahlkampf ist schmutzig und er wird schmutziger werden.

Die Politik, die sich »gut« und »demokratisch« nennt, dient uns als Lehrer und Negativ-Beispiel dafür, wie man als Politiker und als Mensch nicht sein sollte, wenn man ein anständiger Politiker und Mensch sein will.

Man könnte den kategorischen Imperativ für Kinder so formulieren: Handle immer so, dass du nicht selbst der Meinung bist, dass du doof bist.

Lassen Sie uns aus der Politik und ihrem Versagen eine weitere Version des kategorischen Imperativs ableiten, noch einfacher, ganz aktuell: Handle jederzeit so, dass dein Handeln dich nicht später als Lügner und Heuchler dastehen lässt – das gilt in der Politik, und im Privaten gilt es doppelt.

Weiterschreiben, Wegner!

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