Ein Meter und fünfundzwanzig Zentimeter menschleingewordener Weltschmerz, so stand er da, unser Herr Sohn. Seine Unterlippe schob sich vor, seine Fäustchen waren geballt.
Wir waren gerade vom Einkaufstrip zurückgekommen, und Leo hatte etwas Taschengeld in Lego umgewandelt. Wir hatten draußen noch ein paar Kinder aus der Nachbarschaft getroffen, und die wollten mit unseren Kindern spielen. Eine wunderbare Welt, was also war das Problem?
»Was hast du denn, Leo?«, fragte Elli, »magst du nicht dein Lego aufbauen? Oder spielen gehen?«
Der junge Herr setzte an, von seinem Schmerz zu berichten, doch es kamen nur Satzanfänge heraus: »Ich … also … die …«
Ich versuchte es mit einer anderen Methode. An jenem Tag war es auch sonnig und warm, und zu Ellis mütterlicher Verärgerung habe ich die Gewohnheit, Kindern den Appetit zu verderben. Ich fragte: »Magst du ein Eis, Leo? Sollen wir zusammen zum Laden gehen?«
Ein Fehler, diese Frage war ein Fehler gewesen!
»Das macht alles nur schlimmer!«, schnappte Leo in hilflosem Ärger über seine zitternde Unterlippe hinweg.
Es war Elli, die Leos Wut auf die Schliche kam.
»Kann es sein, dass du dich nicht entscheiden kannst, ob du Lego aufbaust oder nach draußen zu den Kindern gehst?!«
Leo nickte.
»Dann frage doch, ob sie mit dir aufbauen wollen!« – Und genauso geschah es, und es blieb nicht bei dem einen neuen Modell.
Wir versuchen, die Leo-Lego-Schlachten am Wochenende stattfinden zu lassen, aber manchmal muss das Wohnzimmer eben auch an einem Dienstagnachmittag zu vorübergehenden Hauptstadt bunter Plastikklötze werden.
Leo war einfach hin und her gerissen gewesen! Das war alles, das war das ganze Leid. Ach, wäre das Leben immer so einfach wie damals, in der Kindheit. Er wollte spielen gehen, und er wollte sein Modell aufbauen.
Elli fand einen einfachen Weg, wie er beides haben konnte – im richtigen Leben, wo Erwachsene einander den Tag schwer und die Nacht schlaflos machen, da geht nicht immer beides, da muss man sich entscheiden.
Zwei Herren dienen
Politiker reden – vor allem im Wahlkampf – von jüdisch-christlicher Tradition. In den Straßen demonstrieren gelegentlich Menschen für die Rettung des christlichen Abendlandes – und riskieren, dafür von der gottlosen Antifa verprügelt zu werden. Auf denn, lasst es uns retten, indem wir mal einen Bibelvers lesen!
Bitte schlagen Sie in Gedanken mit mir Matthäus 6, Vers 24 auf.
Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon. (Mt. 6:24)
Eine ganze Reihe unserer Sprichwörter entstammen der Bibel (genauer: aus Luthers Übersetzung der Bibel), etwa »Hochmut kommt vor dem Fall« (Sprüche 16:18) oder »Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein« (Sprüche 26:27). Eine weitere Redensart ist die vom »schnöden Mammon«. Eigentlich ist »Mammon« wohl nur das aramäische Wort für Geld oder Vermögen, doch indem Luther es unübersetzt ließ, entstand bald der Volksglaube, beim Mammon handele es sich um einen geheimnisvollen griechischen Gott des Geldes.
Im Bibelvers von den zwei Herren geht es um Wichtigkeit und Prioritäten. Der Mensch will, und muss, Prioritäten setzen, er muss sich entscheiden. Selbst der reichste Mann der Welt, ob er gerade Bill Gates oder Jeff Bezos heißt, hat nicht unendliche Geldmittel. Selbst die klügste Frau der Welt kann nicht jede mögliche Konsequenz jeder ihrer Entscheidungen vorhersehen. Selbst der gesündeste Mensch der Welt wird nicht ewig leben.
Wir müssen Entscheidungen treffen, was uns im jeweiligen Moment am wichtigsten ist, sonst werden wir verrückt und scheitern noch dazu – oder wir stehen unglücklich da, ballen die Fäuste und sind komplett überfordert; sollen wir mit dem Lego spielen oder mit den Freunden, und welcher missgünstige Dämon stellt kleine Menschlein vor solch schwere Entscheidungen?
Ordnung im Nachrichtensturm
Es gibt Tage, an denen dreht sich die komplette Nachrichtenlage um ein einziges Ereignis – und es gibt andere Tage, wie heute, da scheint uns ein Sturm unterschiedlicher Nachrichten entgegenzuschlagen.
Wie verwunderte Kühe im Hurrikan fliegen uns heute richtig schwere Nachrichten-Brocken um die Ohren.
Sachsen
In Sachsen hat der CDU-Fraktionschef nicht ausgeschlossen, mit der AfD zu koalieren (mdr.de, 27.9.2018). Nach der Abwahl des Merkel-Intimus Kauder eine weitere Ohrfeige gegen Merkels müde Wange, wieder im Kontext der Neuwahl eines Fraktionsvorsitzenden. In Sachsen wird in weniger als einem Jahr gewählt. Die CDU steht dort derzeit bei etwa 29%, die AfD bei 24%. Je länger man die Dame im Kanzleramt weitermerkeln lässt, um so möglicher wird es, dass die CDU der kleinere Partner würde – dass aber in der CDU über eine CDU-AfD-Koalition nachgedacht werden kann ohne Furcht vorm Nackenschlag aus Berlin, das ist durchaus bemerkenswert; die Wichtigkeiten sind da noch nicht endgültig ausgehandelt.
New York
Eine weitere Meldung, ein weiteres tieffliegendes Rindvieh (also die Meldung, nicht deren Protagonist): Deutschlands herumfliegende Peinlichkeit, Heiko »nennt mich nicht Zensurminister« Maas, hat das Land wieder einmal blamiert. Als Trump den Eliten die Leviten las, lachten Maas und sein Luftzufächler recht dämlich daher, peinlich natürlich für sie selbst, und peinlich für das Land, das ihnen Flug und Hotel zahlt. Was war es denn, das den feinen Herrn so erheiterte? Trump sprach über Patriotismus und gegen Globalismus. Ein Politiker, der zum Wohl seines Landes handelt, da lacht der Globalist doch! Doch der Herr aus der Putin-freundlichen Partei war bei der UN nicht nur, um den demokratisch gewählten Mann-des-Volkes Trump zu verhöhnen! Er traf sich auch mit dem Vertreter Saudi-Arabiens, um sich für die klaren Worte zu »entschuldigen«, die sein Vorgänger Sigmar Gabriel zur Libanon-Politik gefunden hatte. Focus.de, 26.9.2018 schreibt: »„Kniefall“ in New York: Maas entschuldigt sich bei Saudis für Sigmar Gabriel«, und: »Diplomatischer Sieg für das Königreich der Entschlossenheit« – Geschäft ist Geschäft.
Das Problem ist nicht einmal, dass CDU- und SPD-Politiker extra gern mit Saudi-Arabien irgendwelche Deals machen. Das Problem ist, dass allen Ernstes vor einem prädemokratischen Land untertänigst gekuschelt wird, während man echten Demokraten wie Trump quasi ins Gesicht spuckt. Die Wichtigkeiten des Herrn Maas (und seiner Mitarbeiter!) scheinen dann doch etwas verschoben.
Köln und anderswo
Wenn Herr Maas Ihnen sagt, dass die Sonne scheinen wird, dann lassen Sie Ihr Haus lieber schnell gegen Hagel versichern. Ein Beispiel von Maas’schem Blödsinn, von wahrlich nicht wenigen: In einem linken Hamburger Kampfblatt durfte Herr Maas schon 2015 Antisemitismus mit Sorge über die praktischen Islamisierung gleichsetzen: »Wer von der jüdischen Weltverschwörung fabuliert, der bedient die gleichen Ängste wie jene, die über die drohende Islamisierung des Abendlandes schwadronieren« (Maas in spiegelonline.de, 4.6.2015). – Was der Herr Minister sagt, es ist geschichtsloses Geschwurbel von einem garstigen Gernegroß, in gruseligem Gestus, von keinem Gramm an Gewissensgram gebremst, es ist glatt gewienertes Gedankensurrogat, aber grandios ist es, jawoll Herr General!, doch grandios einzig in seiner gewaltigen Geringheit.
Bis heute gilt: Von »Islamisierung« zu reden, das gilt Globalisten wie Gutmenschen, Manipulierern wie Manipulierten, als unfein. (Siehe dazu mein Text mit dem schlichten Titel »Islamisierung«.)
Während die servile Elite sich eine heile Welt zusammendeliriert, in welcher nichts stört als nur die Kritiker (Zitat Frank Walter »Eikonal« Steinmeier: »Es sind zu viele, die sich wohlfühlen im Schlechtreden unseres Landes«, heise.de, 26.9.2018), fährt Herr Erdoğan im Maybach durch Deutschland und zeigt wohl den Islamistengruß (bild.de, 27.9.2018), in Berlin wird ein Polizist verdächtigt (tagesspiegel.de, 27.9.2018), für die Türkei gegen Exil-Oppositionelle gespitzelt zu haben, gestern wurde die Kapernaum-Kirche in Hamburg zur Moschee geweiht (bild.de, 27.9.2018), morgen wird der erwähnte Herr Steinmeier den ebenfalls erwähnten Herrn Erdoğan (der von populistischen Hetzern kritisiert wird für seinen Einsatz gegen Hatespeech) in seinem Schloss empfangen – am Freitag aber geht es dann für Herrn E. in die schöne Stadt K., wo er eine M. eröffnen wird, bei deren Baubeginn alle Gutmenschen dabei sein wollten (siehe auch: »Erdoğans Kaserne«) – und nun will keiner hingehen zur Eröffnung (siehe z.B. wdr.de, 26.9.2018), und es scheint ihnen so peinlich, als hätte Heiko Maas persönlich die 55 Meter hohen Minarette in die Kölner Kulisse gestellt. Man könnte fürchten, dass im deutschen Verhältnis zur Demokratie (und zur Realität) ein paar Winkel verschoben sind, und dass es mit kosmetischen Korrekturen nicht gelingen wird, es wieder gerade zu rücken.
Ist wichtig
Diese drei Meldungen – wie so viele dieser Tage – haben gemeinsam, dass sie in tieferer Ebene immer wieder dieselbe Frage verhandeln: Was ist dir wichtiger, was wird morgen wichtiger sein, welchem Herren dienst du?
Die Frage, ob die CDU mit der AfD zusammengehen darf (eine ganze Reihe ihrer Politiker wie Wähler ist ja bereits dort), ist sie wirklich eine moralische – oder ist der wahre Affront die Chuzpe, sich als Alternative zur Alternativlosen zu positionieren? CDU-Politiker müssen sich entscheiden, was ihnen wichtiger ist: Merkels Gesicht zu wahren oder sicherzustellen, dass die Bürger eine demokratische Vertretung statt zerstrittener Puzzle-Koalitionen bekommen.
Die große Auseinandersetzung zwischen Trump und konservativen Politikern auf der einen Seite und Globalisten, Populisten und Postdemokraten auf der anderen Seite lässt sich auch als Streit um eine simple Frage deuten: Was hat dem Politiker wichtiger zu sein? Die Interessen von Rüstungs- und Bankkonzernen, wie Linke und Gutmenschen es verlangen, oder die Interessen der Bürger, der Arbeiter und der zukünftigen Generationen, wie Trump und andere Konservative es fordern? Was ist wichtiger? Billige Arbeitskräfte oder stabile Demokratie?
Und schließlich die Frage nach der Rolle archaischer Ideologie in der Demokratie. Sind Demokratie und ideologisch begründeter Machtanspruch vereinbar? Wenn ja, wo, in welchem Land? Wenn nein, was ist uns wichtiger? Erdoğan und seine Anhänger machen unmissverständlich deutlich, was ihnen wichtiger ist – Gutmenschen machen unmissverständlich deutlich, dass sie die Schrift an der Wand selbst dann nicht lesen könnten, wenn sie als Comic und in Kindersprache daherkäme.
Freiheit gewähren oder frei sein?
Als mein Sohn sich nicht entscheiden konnte, ob er den Lego-Bausatz aufbaut oder nach draußen spielen geht, war er so sehr in seinem Paradox gefangen, so unglücklich darüber, dass er bis zu Ellis Intervention weder das eine noch das andere tat.
Die Situation ist nicht gleich aber doch ähnlich der ethischen Paradoxie des Westens.
Einerseits möchte man tolerant sein gegenüber allen Religionen – doch was tut man, wenn man darin auch intolerante Elemente einer Religion fördert?
Die großen Konflikte heute münden immer wieder in die Frage nach der Wichtigkeit. Wenn wir es allerdings mit Ideologien zu tun haben, dann ist die große Frage heute: Was ist uns wichtiger? Freiheit gewähren oder frei sein?
Es gibt einen Grund
Freiheit bedeutet, Möglichkeiten zu haben, mit denen man zufrieden ist. Wenn ich essen kann, was ich will, und damit zufrieden bin, dann bin ich frei. Wenn eine Partei oder eine Religion mir vorschreiben will, was ich zu essen habe und ich damit nicht zufrieden bin, dann bin ich nicht frei.
Ein Mensch ist glücklich, wenn er erstens für sich finden kann, welche Strukturen ihm besonders relevant sind, und wenn es ihm zweitens vergönnt ist, seine Strukturen gemäß ihrer Relevanz wie konzentrische Kreise um sich herum anzuordnen. (Klingt kompliziert, ist aber einfach: Familie ist dir wichtiger als Stadt, die Nachbarschaft, dein Volk ist dir wichtiger als die Menschheit, die Menschheit wichtiger als die Tierwelt, und so weiter, bis hin zum Universum, siehe auch Relevante Strukturen.)
Die Suche nach Glück ist die Sehnsucht nach einer Ordnung der Dinge, wo die uns wichtigsten Strukturen (Familie, Freunde) uns nahe sind und wo sie zugleich von den weiteren Strukturen wie Nachbarschaft und Nation getragen und gestützt werden.
Es gibt einen Grund, warum uns die Nachrichten heute so viel mehr aufregen als noch vor wenigen Jahren: Der linke Angriff auf traditionelle Werte wie Familie und Volk macht alle unglücklich – ganz besonders die Linken selbst. (Ja, Linke sind nach einigen Statistiken deutlich weniger glücklich – Unordnung macht unglücklich.)
Als mein Sohn sich nicht entscheiden konnte, was ihm wichtiger war, wäre sein Abend fast den Bach runtergegangen, wenn Elli nicht eine kluge Lösung gefunden hätte!
Die Meldungen, die heute auf uns hereinprasseln, jede einzelne von ihnen offenbart ein gesellschaftliches Ringen um Wichtigkeit. Du kannst nicht zwei Herren dienen, nicht auf zwei Hochzeiten tanzen, du kannst nicht gleich loyal zu zwei Nationen stehen – oder auch nur zu zwei Ideen.
Es steht uns ja offen, zu entscheiden, was uns wichtiger ist: Freiheit gewähren oder frei sein. Gelobt werden oder einfach nur leben. Sich gut fühlen oder tatsächlich gut sein.
Wir sollten uns entscheiden, was uns wichtiger ist, denn wenn wir auf zwei Hochzeiten tanzen wollen und wenn wir uns dabei selbst die schlechtesten Herren sind (wenn wir uns selbst zu hassen beginnen, wie Antideutsche und Linksgrüne es ja bereits ganz offen tun), dann – es ist ganz logisch – könnten andere Leute, deren Strukturen und Kreise sehr präzise geordnet sind, unsere neuen Herren werden. Oder, wie ich letztens schrieb: »Deutschland, ordne deine Kreise – oder andere werden sie für dich ordnen!«