Dushan-Wegner

23.12.2018

Wir, die und der Weihnachtsbraten

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Bild von Aaron Burden
Auch 2018 war leider von WIR und DIE geprägt: WIR, die wir feiern, dass verschiedenen Menschen verschiedene Kreise wichtig sind, DIE, die nichts außer ihrer Weltsicht zulassen (wollen). Mein großer Wunsch: Dass sich 2019 viele DIE-Leute UNS anschließen!
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Was gibt es bei Ihnen an Heiligabend zu essen? Einen Weihnachtsbraten? Gans? Ente? Tofuschnitzel?

Soll man Fleisch essen? Ja, und nein. Oder: Nein, und ja. Will sagen: Es gibt relevante Strukturen, die werden vom Fleischessen gestärkt, und andere, die werden davon geschwächt.

Ja, ich unterscheide zwischen uns und denen, zwischen wir und die, und ich will gerne sagen, was ich damit meine: Uns ist bewusst, dass der Mensch in mehr als eine Struktur eingebunden ist, und dass ihm mehr als eine davon relevant sein kann – die haben sich (oft durch zufällige Fügung, etwa Freundeskreis oder Familie) auf eine relevante Struktur festgelegt; sie ahnen, dass ihr »Haltung« genanntes Denkextrem nicht funktioniert, dass es schlicht nicht funktionieren kann, doch statt es zu korrigieren, bedrängen und verfolgen sie jene, die es wagen, ihren Extremismus allein durch Aufstellen alternativer Thesen zu hinterfragen.

Ich will es am Beispiel des militanten Veganen erläutern! – Ich weiß, dass rotes Fleisch die Adern verstopfen kann, dass für Fleisch nun mal Tiere getötet werden müssen (bis es endlich marktfähiges Fleisch aus der Retorte gibt), und so weiter; sprich: dass und welche Strukturen durch mein Fleischessen geschwächt werden. Ich weiß aber auch, dass es dem Menschen angeboren ist, sich nach tierischem Eiweiß zu sehnen (der Mensch hat sogar eine Sonderstellung im Tierreich darin, dass er angebranntes Fleisch als angenehm empfindet, sprich: Grillgeruch) – mindestens das momentane Wohlgefühl des Menschen wird durch Fleischgenuss gestärkt, und ob er Fleisch als Quelle von Vitamin B12 oder Eisen braucht, das will ich hier gar nicht erst diskutieren, selbst wenn es ein interessantes und wichtiges Thema ist.

Im Kontext von Fleisch bedeutet das, zum Beispiel: Wir verstehen, dass es Gründe dafür und Gründe dagegen gibt – und egal wie wir uns entscheiden, sind wir uns der Komplexität des Themas bewusst. Die, ob militante Veganer oder Hardcore-Fleischesser, sehen und akzeptieren nicht, dass ihre Handlung immer auch andere Strukturen schwächen wird.

Kurz: Wir versuchen die verschiedenen Kontexte einer Handlung zu sehen (die »relevanten Strukturen«), die picken einen Kontext heraus und tun dann so – oft recht aggressiv – als gäbe es keinen anderen auch nur möglicherweise relevanten Kontext.

Der Unterschied

Unsere Wir-Die-Unterscheidung ist eine einladende, keine ausschließende. Wir versuchen, Menschen zu überzeugen, ebenfalls mehr als einen Kontext von Veränderungen zu sehen. Und wenn sie das nicht wollen? Wenn sie darauf bestehen, die ihnen relevanteste Struktur als die einzig möglicherweise relevante Struktur zu betrachten? Auch das ist okay, solange sie uns diese Weltsicht nicht aufzwingen. Wenn die Botschaft Ihrer religiösen Figur die für Sie einzige relevante Weisheitslehre ist, dann kann ich damit gut leben – außer Sie versuchen, mich zu zwingen, das ähnlich zu sehen oder auch nur mein Leben aufgrund Ihrer selbstgewählten Einschränkung selbst einzuschränken.

Ja, es läuft noch immer ein Graben durch westliche Gesellschaften, und es ist uns noch nicht gelungen, ihn zu überbrücken. Eine Skizzierung dieses Grabens ist das hier dargestellte Wir-und-Die.

Keine Skala

Man könnte verführt sein, das Wir gegen Die als Abstufungen auf einer Skala zu sehen, doch das wäre (leider) nicht ganz richtig: Wenn man sich auf derselben Skala bewegt, kann man sich, eben: bewegen.

Wir sagen: Dies ist wichtig und das andere kann auch wichtig sein, und ich will eine zukunftsfähige Balance finden.

Die sagen: Nur das, was denen wichtig ist, kann und darf wichtig sein.

Die wünschen sich, dass alle einer (und zwar deren) Meinung sind.

Wir wünschen uns, dass alle akzeptieren, dass auch andere Meinungen möglich und valide sind.

Die – sprich: heutige Linke – sind in ihrer Intoleranz mit einem intoleranten Homophoben vergleichbar: jenem genügt es nicht, selbst heterosexuell zu sein – er will auch durchsetzen, dass alle anderen heterosexuell sind.

Wir sind wie ein moderner Heterosexueller, der selbst gern und bewusst heterosexuell ist, sich zugleich aber eine Welt wünscht, in der völlig selbstverständlich auch der Nicht-Heterosexuelle nach seiner Fasson leben kann.

Deren Position und unsere Position liegen nicht auf derselben Skala, deshalb scheitert die Debatte mit denen so oft. Wie soll man diskutieren mit jemandem, für den es gar nicht logisch möglich ist, dass ein anderer Standpunkt ebenfalls Gültigkeit besitzen könnte? (Das ist wohl auch die Ursache der aktuellen Fake-Skandale z.B. beim Spiegel: Journalisten, welche sich eingeredet haben, dass jeder Widerspruch »rechte Hetze« und damit außerhalb des Diskutablen ist, können gar nicht erkennen, wenn sie sich komplett verlaufen und Lügen in Serien publizieren.)

Die große Debatte

Das größte Thema der letzten wie auch der folgenden Jahre ist das Tauziehen um Migrationsbewegungen.

In der Debatte stehen sich zwei Fronten gegenüber:

  1. Die haben nur eine relevante Struktur, den »Bahnhofsmoment«, das tolle moralische Bauchgefühl, wenn sie »Refugees Welcome« sagen.
  2. Wir fragen zusätzlich, ob Deutschland und Europa wirklich die sozialen Probleme Afrikas durch Aufnahme lösen kann, wozu das Aufeinandertreffen inkompatibler Denkweisen führen wird, ob nicht anders besser geholfen wäre et cetera.

Deren und unsere Denkweisen sind nicht auf einer Skala: Wir kennen durchaus das angenehme Gefühl, etwas Gutes für Mitmenschen zu tun – aber wir sind uns auch der Auswirkungen und Kontexte über das momentane Bauchgefühl hinaus bewusst, und wir wollen Wege finden, die Zukunft nicht für die guten Bauchgefühle von heute zu opfern.

Die große Debattenfrage ist nicht: Was ist wichtiger, sondern: Darf etwas wichtig sein außer dem aktuellen, kontextlosen Bauchgefühl?

Alle Bürger

Ich wünsche mir – und uns – zu Weihnachten, dass wir täglich mehr Menschen davon überzeugen, sich uns anzuschließen. Es müssen ja wahrlich nicht alle Menschen derselben Meinung sein, wie Linke es sich wünschen, das wäre langweilig und gruselig zugleich! Nein, es ist wichtig und richtig, dass verschiedene Menschen die Relevanz ihrer Strukturen verschieden gewichten.

Wenn  alle Bürger sich darauf einigen könnten, dass es außer dem ihnen wichtigen Kontext auch andere relevante Kontexte gibt, dass auch andere Meinungen als die ihre zulässig sind, dass die Relevanz und Gewichtung sich unterscheiden kann, dann hätten wir tatsächlich einen riesigen Schritt nach vorn getan – das ist zumindest meine Meinung.

Wohlbehalten und gesund

Ich wünsche Ihnen und Ihren Lieben ein besinnliches Weihnachtsfest – ob mit Weihnachtsbraten, ob mit Gans oder ganz anders – und dann eine ruhige Zeit zwischen den Jahren!

Kommen Sie wohlbehalten und gesund ins Jahr 2019! Lassen Sie uns, wie schon 2018, weiter daran arbeiten, in irrsinnigen Zeiten selbst nicht den Kopf zu verlieren. Wir wollen uns weder von Fake News noch von Relotiuspresse kirre machen lassen, nicht blind und auch nicht allzu wütend.

Lassen Sie uns schützen, was geschützt werden muss, und bewahren, was uns wichtig ist. Lassen Sie uns weiter daran arbeiten, unsere wirklich wichtigen Kreise zu erkennen und zu ordnen. – Sind Sie dabei? Wenn Sie dabei sind, bin ich auch dabei!

Weiterschreiben, Wegner!

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