20.12.2018

Nichts ist nur deshalb wahr, weil du es gesagt hast

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten, Bild von Johannes Plenio
Wenn die Welt durchzudrehen scheint, wenn die Lügen lauter und greller werden, gerade dann ist es wichtig, durchzuatmen, uns zu besinnen, und eine alte Wahrheit zu bedenken: Nichts ist nur deshalb wahr, weil du es gesagt hast.
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Wie viele Arten gibt es, einen Kuchen zu zerschneiden? Man kann den Kuchen in Viertel schneiden, wenn man es mit gefräßigen Kuchenessern zu tun hat. Man kann den Kuchen halbieren, etwa wenn man die Hälfte dem einen Kunden verkaufen möchte und die andere Hälfte dem anderen Kunden. Man kann aber auch, etwa wenn man eine Schicht Sahnecreme oder Schokocreme gar aufbringen möchte, die Torte quer aufschneiden, die Creme auftragen, und dann alles wieder zusammensetzen. Wenn es dem Kuchenesser schmeckt, was das Kuchenmesser geschnitten hat, solange ist der Schnitt gut und die Operation gelungen.

Beinezählen

Wie viele Arten gibt es, das Leben des Menschen in Abschnitte zu teilen? Eine berühmte Teilung ist die der Sphinx, welche die Reisenden mit dem immergleichen Rätsel quälte, welches in etwa dieser Übersetzung bekannt ist:

»Was hat eine Stimme, und geht am Morgen auf vier Füßen, am Mittag auf zwei Beinen und am Abend auf drei?«

Die Antwort ist, wie es erst Ödipus einfiel: der Mensch! Als Säuglinge krabbeln wir, dann gehen wir aufrecht, und zuletzt gehen wir am Krückstock. (Damals gab es weder Midlife-Crisis-Sportwagen noch Rollator, aber wir wissen, was er meinte. Nicht die Gehweisen, sondern die erbarmungslose Unterteilung ist das Schmerzhafte.)

Weisheiten

Eine andere Art, die Zeitalter des Menschenlebens zu teilen, wäre wie folgt:

  1. Die Jugend, wenn wir die alten Weisheiten verschlingen, sei es Sun Tzu, Salomon, Nietzsche, Gracian oder sehr gern auch Coelho! Diese unschuldige Zeit, wenn wir kluge Zitate sammeln und teilen, wenn wir spüren, dass wir mit den richtigen Lehren und Lehrern so viel mehr sein könnten!
  2. Der Zynismus, wenn wir uns fast schämen, einst die alten Weisheiten verschlungen und die Suche nach Sinn und Glück betrieben zu haben.
  3. Die Wiederentdeckung, wenn wir zu begreifen beginnen, was diese Weisheiten, die wir in der Jugend gelernt haben, wirklich bedeuteten.

In der dritten Phase sind wir heilfroh, in der ersten Phase die Weisheiten der alten Lehrer aufgenommen zu haben – es wirkt auch, wenn man nicht dran glaubt.

(Randnotiz: Dass heute besonders in westlichen Gesellschaften junge und alte Generationen nicht mehr miteinander leben – und wenn, dann zu oft vor Glotze oder Mobilgerät hängen statt voneinander zu lernen – dazu der ätzende Effekt des linksgrünen Dummkultes in Leitmedien und Regierungs-PR, das kann dazu führen, dass Menschen gar nicht erst die erste Phase der Weisheitsaufnahme erleben und also ein Leben ohne Weisheit im Hintergrund leben – dann wird die Wiederentdeckung zur Entdeckung, begleitet vom tragisch-traurigen Ausruf: »Ach, hätte ich das nur früher gewusst!«)

Fragen Sie sich selbst, nur so testweise, wie man zunächst nur einen Zeh ins Badewasser steckt: In welcher der Phasen befinden Sie sich? Jugend, Zynismus oder Wiederentdeckung? Späte Entdeckung? Waren Sie gar so glücklich, den Zynismus kurz zu halten oder zu überspringen?

Es funktioniert.

Eine Weisheit, die ich ererbt habe und nicht einmal weiß, von wem, lautet:

Nichts ist nur deshalb wahr, weil du es gesagt hast.

Ich weiß nicht mehr, wo ich sie aufgelesen habe, doch ich weiß, dass der Berliner Diskursbetrieb durch Verstoß gegen diese eine Wahrheit an der Realität zu scheitern droht.

Es beginnt ja mit der sogenannten »Politischen Korrektheit«, deren modernes Anliegen es ist, die Menschen zu zwingen, über Probleme nicht zu reden oder so zu tun, als wären gewisse Dinge der Fall.

Derzeit wird das Haus Spiegel vom Fall Claas Relotius erschüttert, wo ein Spiegel-Mitarbeiter wohl weite Teile seiner Texte frei erfunden hat, über Jahre hinweg; bei näherer Betrachtung sind seine Texte aber eher eine Art »erweiterte politische Korrektheit«. Es fühlte sich wahr an, weil es die »Geschichten« waren, welche die Medienkaste einander ohnehin erzählt.

Doch, es sind ja nicht nur Leitmedien, welche sich bei Gelegenheit schwertun, gefühlte von tatsächlicher Wahrheit zu trennen, es sind ja auch wir Normalsterblichen im täglichen Leben.

Was ist mit Lebenslügen, die wir uns selbst erzählen? Die Lebensform, die du jetzt gewählt hast, wird sie dich glücklich machen? Sind andere Menschen, die so ähnlich lebten wie du, darin glücklich geworden? Und wenn nicht: Kann es sein, dass du dich selbst anlügst? Der Beruf, den du ergreifst, wird er dich ernähren und doch befriedigen? Wenn nicht, warum ergreifst du ihn? Die Schulden, die du fürs Haus aufnimmst, das Essen, das du isst, die Abendgestaltung, die du wählst, der Umgang, den du pflegst – werden sie dich glücklich machen – und wie sicher bist du dir, dass du dich nicht selbst anlügst?

In diesen Zeiten zerfließender Sicherheit könnten wir uns – ob aus Panik oder aus Faulheit –verführt fühlen, uns selber Märchen zu erzählen.

Eine andere Weisheit lautet: Wenn die Realität und deine Vorstellung von der Realität auseinandergehen, wird am Ende die Realität gewinnen – immer. Denn: Nichts ist nur deshalb wahr, weil du es gesagt hast.

Es mag mehr als eine Art geben, einen Kuchen zu zerschneiden, doch wenn der Staat oder das Leben funktionieren sollen, empfiehlt es sich, die Welt, den Menschen und ihre Eigenschaften, kurz: die Realität, auf genau eine Art zu beschreiben: so, wie sie ist.

 

Weiterschreiben, Wegner!

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