Stellt euch vor, ein Mensch sagt euch dies: »Ich glaube nicht an Nährstoffe, nicht an Vitamine und Mineralien, nicht an Ballaststoffe und Zuckermenge. Ich bin über so etwas hinaus. Ich suche mir aus, was mir schmeckt. Das ist meine Philosophie des Essens: Iss, wonach dir ist.«
Es gibt diese Menschen. In den USA noch mehr als hier. Und wir kennen das Ergebnis. Ein Körperzustand, der vor hundert Jahren noch geeignet gewesen wäre, um im Zirkus als superdicker Freak aufzutreten, gilt in Teilen der amerikanischen Gesellschaft als »neues Normal«.
Oder stellt euch das andere Extrem vor: einen Menschen, dessen gesamtes Leben, Fühlen und Streben sich um Nährstoffe dreht – um Nährstoffe und Entsagung. Er isst kein Fleisch, trinkt keinen Wein, gönnt sich keine sahnige Eiscreme und gewiss niemals einen Burger mit Speck und einen Milchshake dazu.
Ich kenne solche Menschen, und sie sind unerträglich. Ich wage die These, dass sie allzu oft unmoralischer und unchristlicher sind als die Superdicken.
Der Dicke versteht, wie viel Freude eine schmackhafte Mahlzeit dem Menschen bereiten kann. Er weiß es, er vermag nur nicht aus eigener Kraft, diese Freude vernünftig zu begrenzen, vielleicht weil ihm eine andere Freude fehlt.
Der Nährstoff-Freak verschmäht den menschlichen Wert der Gemeinschaft, die erst durch schmackhaftes Essen möglich wird. Er verwirft, wenn man es christlich formulieren will, dieses Geschenk Gottes.
Ein Tempel für wen?
Der Dicke mag seinen Leib über Gebühr belasten, kein Zweifel. Also den Leib, von dem Paulus an die Korinther schreibt, dass er ein »Tempel« ist (1 Korinther 6:19).
Doch der Nährstoff-Freak vergisst, dass dieser »Tempel« einen Zweck hat: dem Heiligen Geist ein Zuhause zu bereiten. Denn Paulus schreibt nicht nur »Tempel«, sondern »Tempel des Heiligen Geistes«.
Wenn euch wieder einmal jemand das mit dem »Tempel« zitiert, hakt ruhig nach: ein Tempel für wen? Es hat seinen Grund, warum Paulus den Wassertrinkern rät: »Trink nicht nur Wasser, sondern nimm auch etwas Wein, mit Rücksicht auf deinen Magen und deine häufigen Krankheiten!« (1 Timotheus 5:23) – Mein spontaner Gedanke dazu: Die Krankheiten des Körpers sind nicht die einzigen Krankheiten.
Der Nährstoff-Freak lässt seinen Körper nicht zum Tempel werden, sondern zu einem Götzen. Allerdings einem sehr erbärmlichen Götzen, der am Ende doch zerfallen und verrotten wird.
Ein Dicker, der seine Nächsten zu Fleisch, Kuchen und Wein einlädt, dessen Körper mag dem Heiligen Geist zwar ein unvollkommener Tempel sein. Doch indem er seinen Mitmenschen durch sein Essen etwas Freude bereitet, indem er Ort und Gelegenheit für Gemeinschaft schafft, wird auch sein Zuhause ein Tempel im obigen Sinne, oder nicht?
Sehr angefressen darüber
Dem einen Menschen – auch mir – täte es gut, zu bedenken, dass er keine Lebensaufgabe wirklich bestmöglich erfüllen kann, wenn er hinsichtlich seines Körpergewichts immerzu den Gegenwert eines Mehlsacks mitschleppt. Machen wir uns nichts vor: Fett schlägt auch aufs Denkvermögen.
Dem anderen Menschen – auch mir – täte es gut, sich bewusst zu werden, welche Schuld er auf sich lädt, wenn er Tag für Tag das Geschenk lukullischen Miteinanders wegwirft und nicht mit seinen Mitmenschen, um es biblisch zu sagen, das Brot bricht.
Wisst ihr, was Jesu erstes Wunder war? War es, dass Jesus gutes Wasser in bitteren Selleriesaft verwandelt? Haha, natürlich nicht.
In Johannes 2 wird die Hochzeit zu Kana beschrieben. Und dieses erste Wunder Jesu bestand tatsächlich darin, Wasser zu richtig gutem Wein werden zu lassen, damit eine Hochzeitsfeier nicht vorzeitig enden muss.
Jesus aß Fleisch (Lukas 22:7,15) und gebratenen Fisch (Lukas 24:42–43). Wenn er predigte, doch den Zuhörern das Essen ausging, sorgte er eben per Wunder für Nachschub (Matthäus 14:13–21), mit tierischen Proteinen und Kohlenhydraten. (Als Jesus die Fünftausend mit fünf Broten und zwei Fischen speiste, bestand nach moderner Lesart das eigentliche Wunder darin, dass niemand im Publikum pöbelnd glutenfreies Brot und veganen Fisch verlangte.)
Vergessen wir nicht: Das Establishment war sehr angefressen darüber, dass Jesus regelmäßig und gut gelaunt mit Zöllnern und, äh, »Sünderinnen« aß (Lukas 15:1–2).
Mal wieder zum Gelage
Es wäre natürlich nett, wenn meine bescheidenen Zeilen für euch ein Anlass wären, eure Freunde mal wieder zum Gelage einzuladen.
So sympathisch aber eure Freunde auch sind, lasst uns eine Stufe höher steigen:
> Wenn du mittags oder abends ein Essen gibst, lade nicht deine Freunde oder deine Brüder, deine Verwandten oder reiche Nachbarn ein; sonst laden auch sie dich wieder ein und dir ist es vergolten. Nein, wenn du ein Essen gibst, dann lade Arme, Verkrüppelte, Lahme und Blinde ein. Du wirst selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten; es wird dir vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten. (Lukas 14:12b‑14)
Und wenn du dann »hinaufgestiegen« bist, indem du »hinabgestiegen« bist, und wenn ihr feiert, mit Pauken und Trompeten, als wolltet ihr Jerichos Mauern neu einstürzen lassen, und wenn auch ohne Eingreifen höherer Mächte genug Wein da ist, gerade dann vergiss den Rat des Paulus nicht:
> Ob ihr also esst oder trinkt oder etwas anderes tut: Tut alles zur Verherrlichung Gottes! (1 Kor 10,31)
(Oder, poetisch gesagt: Nicht jeder Geist, der sich zu eurer Gesellschaft gerufen fühlt, ist damit schon ein Heiliger. Einige von den Unheiligen sind nicht einfach loszuwerden, und das berichtet einer, der es wissen muss.)