Was sagt man, wenn ein böser Mensch stirbt? Nicht nur Juristen werden hier antworten: »Es kommt darauf an!« (Und: »Es empfiehlt sich, vorsichtig zu formulieren.«)
Es kommt darauf an, wie böse der betreffende Mensch tatsächlich war. War er nur nervig, oder hat er anderen Menschen in großem Maßstab geschadet? Wusste der Böse, dass wir ihn böse nennen? Und warum hat er nicht von seiner Tat abgelassen?
Es kommt darauf an, ob es Kinder und Familie gibt, die Hohn und Nachtreten und das metaphorische Aufs-Grab-Pinken, unnötig verletzten würden.
Vor allem aber kommt es darauf an, ob das Böse dieses Bösen im Propagandastaat auch böse genannt werden darf. Wenn ein böser Mensch stirbt, dessen böse Taten von Staats wegen als gut zu gelten haben, wird es extra scharf geahndet, nichts als Gutes über den toten Bösen zu sagen.
Deine einzige gute Tat
»Ding-Dong! The Witch is Dead«, so singen und feiern die Zauberwesen von Oz (siehe YouTube). Es ist vorstellbar, dass Ähnliches gesungen wird, wenn ein als böse wahrgenommener Politiker verstirbt.
Vielleicht erhofft man sich ja kathartische Wirkung davon, im übertragenen Sinne auf das Grab des Bösen zu pinkeln. Was auch immer der Böse getan hat: Er ist tot – und wir leben noch!
Es gibt Menschen (und aus unerfindlichen Gründen scheint es sie besonders gen Hollywood und zu den US-Democrats zu ziehen), denen sind gewisse illegale und verbotene Neigungen angeboren. Diese Menschen sind dann offenbar täglich zerrissen: Entweder sie unterdrücken ihre angeborenen Neigungen und damit einen zentralen Teil ihres Wesens – oder sie sorgen für schlimmes Leid und verstoßen gegen das Gesetz.
Während mir jene Neigungen allesamt fremd sind. Meine Gefühle sind in jener Hinsicht allesamt sowohl »normal« als auch legal, doch in einer ganz anderen Hinsicht verspüre ich regelmäßig Gefühle und Neigungen, die auszuleben verletzend und ultimativ wohl auch illegal wäre.
Wenn ein böser Mensch stirbt, verspüre ich schon mal den Wunsch, das Nicht-mehr-Sein dieses Bösen zu feiern.
»Die Welt ist nicht immer schön, und die Zeiten sind nicht gut«, so möchte ich dem toten Bösen auf seine Reise abwärts mitgeben, »doch ohne dich ist sie besser, und zu sterben war deine einzige gute Tat in langer Zeit!«
Ja, solches verspüre ich regelmäßig in mir. Doch noch halte ich diesen Gaul, der mich in solche Abgründe ziehen will, im Zaum. Diese Bezähmung böser Instinkte nennt sich wohl Zivilisation.
Während manche unappetitliche Grausamkeit in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten legalisiert und angeblich auch »normalisiert« wurde, ist es wohl von Vorteil, auch weiterhin ein Tabu darum zu stellen, bezüglich des Ablebens von Bösen wirklich alle Abgründe der eigenen Empfindung offenzulegen.
Oder natürlich »gut«?
Ich hoffe sehr, dass ihr in meinen vorigen Absätzen nicht nur über mein Geständnis schockiert wart! Ich habe hier noch etwas Schockierendes getan, wenn auch auf einer eher moraltheoretischer Ebene: Ich habe über »Böse« und »das Böse« gesprochen, als wären das tatsächlich absolute Kategorien.
Wer Relevante Strukturen studiert hat, der weiß, dass mein Begriff von Gut und Böse beileibe nicht absolut und losgelöst ist. In extra kurzer Form: Jeder Mensch hat Strukturen, die er als besonders relevant empfindet.
Bei einigen Strukturen entsteht die Relevanz erst im Laufe des Lebens (etwa: Ehe, Nachbarschaft, Beruf), bei anderen ist uns die Relevanz via Evolution einprogrammiert (etwa: Kinder, Stamm, Ordnung).
Eine Veränderung, die eine relevante Struktur schwächt, empfinden wir als ethisch böse. Und eine Veränderung, die eine relevante Struktur stärkt, empfinden wir als ethisch gut.
Was bedeutet es also, wenn wir sagen, dass ein Mensch »böse« ist? (Oder »gut«?)
Erlaubt mir eine verwandte Sprachfrage: Worin unterscheiden sich diese beiden Aussagen, außer im Gegenstand:
- »Es gibt kein Bier mehr.«
- »Es gibt keine Etrusker mehr.«
Natürlich ließen sich unerwartete Kontexte konstruieren, doch im üblichen und realistisch zu erwartenden Sprachgebrauch bezieht sich »Es gibt kein Bier mehr« vermutlich auf einen Haushalt oder eine Büroparty, und in den relevanten Räumlichkeiten wurde das Bier ausgetrunken. Der Satz meint üblicherweise nicht, dass nirgends auf der Welt mehr Bier existiert.
»Es gibt keine Etrusker mehr« dagegen beschreibt die gesamte Welt, auf der es heute eben keine Etrusker mehr gibt.
»Es gibt kein … mehr« meint also mal eine Wohnung oder ein Büro und mal die gesamte Erde. Welcher Rahmen aber relevant ist, das entscheidet der sogenannte gesunde Menschenverstand.
Der relevante Rahmen wird still impliziert. Und in keinem der beiden Fälle aber wäre es richtig, darauf zu schließen, dass »es gibt« keinen relevanten Rahmen hat, nur weil er bloß stillschweigend impliziert wird.
Ähnlich verhält es sich mit dem, Satz »Er ist böse« – oder natürlich »Er ist gut«.
»Vielschichtig« und »komplex«
Wenn wir über einen Menschen sagen, dass er ein guter Mensch war, dann bedeutet das etwa: Er hat Strukturen gestärkt, für die er verantwortlich war und die uns relevant sind.
Sagen wir über einen Menschen aber, dass er ein böser Mensch war, dann bedeutet das etwa: Er hat Strukturen geschwächt, für die er verantwortlich war und die uns relevant sind.
Immer wieder sind wir uns nicht sicher, ob wir einen Menschen als gut oder als böse bewerten sollen!
Ein böser Mann, der Böses im großen Maßstab tut, aber gut zu seiner Familie ist. Oder ein Mann, der viel Gutes für die Gesellschaft tut, aber als Workaholic seine Familie vernachlässigt. Bei manchem Großen sind wir zerrissen und nennen solche Menschen »vielschichtig« und »komplex«. Mancher ist gut im Bier-daheim-Maßstab, aber böse im Etrusker-auf-der-Erde-Maßstab – und andersherum.
Von Zeit zu Zeit kommt es vor, dass ein Mensch bezüglich einer (uns) relevanten Strukturen derart schwächend handelt, dass uns der andere Maßstab irrelevant ist.
Jedem ihrer Kinder
Es gibt Politiker, die könnten täglich jedem ihrer Kinder zur Nacht vorlesen und sie könnten noch so liebenswürdig zu ihrem Hund, ihren Nachbarn und dem Briefträger sein. Betrachte ich den Schaden, den sie an der Gesellschaft angerichtet haben, vermag ich nicht anders, als solche Gestalten böse zu nennen.
Nicht böse wie »Es gibt kein Bier mehr«, sondern böse wie »Es gibt keine Etrusker mehr«. Böse in Bezug auf die großen Strukturen, derer Teil wir alle sind, von denen unser aller Leben abhängt. So nah an einem absoluten Bösen wie nur denkbar.
Und wenn solche Menschen sterben, dann bleibe ich höflich genug, um nicht aus der Zivilisation verstoßen zu werden. Ich unterdrücke mein böses Gefühl, doch heimlich lächle ich kalt – denn für einen Augenblick wurde die Welt etwas wärmer.
Ich unterdrücke mein unzivilisiertes Gefühl und erinnere mich daran, dass ich mich in meinem Urteil irren könnte. Dann täte es mir eines Tages wohl leid, ob dieser meiner Freude allzu laut gewesen zu sein.