Es war einmal ein Dorf, hoch in den Bergen, da stand eine katholische Kirche. Die meisten Bewohner des Dorfes bekannten sich zum römisch-katholischen Glauben und waren auch sonst anständige Leute. Eine kleine und wenig geliebte Minderheit aber waren Ketzer, welche die Bibel selbst lesen wollten, welche nicht die Heilige Jungfrau verehrten und sogar den Heiligen Vater in Rom einen »Antichristen« nannten – später würde man sie selbst »Protestanten« nennen.
Es begab sich eines Abends, da feierten die Katholiken des Dorfes ein Fest. Die Feierlichkeiten erstreckten sich bis zum Pfarrhof. – Als Teil des Dorffestes veranstaltete die Feuerwehr des Dorfes einen Fackelumzug, um ihren eigenen Mut und ihre andauernde Tapferkeit zu feiern. Die feiernden Feuerwehrmänner müssen allzu heiter gewesen sein, denn ausgerechnet der Feuerwehrhauptmann stolperte auf Höhe des Kirchentores; er war wohl von einem Kollegen geschubst worden, und dann fielen noch eine zweite und eine dritte Fackel hinterher, und bald brannte dann die ganze Kirche.
Die anwesenden Feuerwehrleute waren zwar allesamt von anständigem katholischen Glauben, doch sie waren gerade ganz unanständig betrunken und überhaupt nicht in der Lage, das Feuer zu löschen. (Es wäre ihnen ja auch peinlich gewesen, denn gewissermaßen waren sie es selbst, die das Feuer angezündet hatten, und so etwas gibt niemand gerne zu.)
Die Ketzer des Dorfes, die Protestanten, die nicht mitgefeiert hatten, sahen das Feuer, und sie zögerten keine Sekunde, sondern brachten Leitern und Eimer aus ihren Häusern, sie bildeten eine Kette vom nächsten Brunnen zur Kirche, und sie begannen, zu löschen, so gut sie konnten – sie waren ja keine Feuerwehrleute, sie taten nur, was sie als ihre menschliche Pflicht ansahen.
Die betrunkenen Feuerwehrleute, welche selbst die Kirche angezündet hatten, sahen das, und es gefiel ihnen überhaupt nicht, und sie brüllten die Ketzer an!
»Was denkt ihr, dass ihr da tut?«, rief einer, »Ketzer raus!«
»Ihr wollt nur mit eurem Wasser die Kirche entweihen«, lallte einer, »kein Fußbreit den Protestanten!«
»Die Kirche brennt nicht, ihr Hetzer«, rief einer, der am Boden lag und auch ansonsten sehr kurzsichtig war, »die Kirche brennt nicht, und ihr seid Lügner, und selbst wenn sie brennen sollte: Wir schaffen das!« – Ein besonders couragierter Feuerwehrmann warf sogar eine Fackel nach den Löschenden. Bald schon würden die Feuerwehrmänner das Gerücht streuen, die Protestanten hätten selbst das Feuer angezündet.
Die moralische Frage ist heute: Darf ein Katholik zulassen, dass ein Protestant die Kirche löscht, oder wäre es in dem Fall besser, dass er die Kirche niederbrennen lässt?
Ein Recht auf Gefühl
Am Abend des Brandes der Kathedrale Notre-Dame de Paris twitterte Martin Lichtmesz:
Genau so fühle ich mich seit Jahren, wenn ich über Europa nachdenke: als würde ich Notre-Dame beim Abbrennen zusehen. (@lichtmesz, 15.4.2019)
Es ist ein treffendes Sprachbild (und es »traf« en passant auch einige Haltungsjournalisten; sie sollen an dieser Stelle endlich bekommen, was sie verdienen: wir ignorieren sie).
Europa beim Abbrennen zusehen; es ist ein Gefühl, für das ich ebenfalls immer wieder nach Worten suche (etwa beim Text »Die letzten Tage des Westens« von Anfang 2017). Europa brennt, auch metaphorisch, und die hochbezahlten Feuerwehrleute, die sogenannten »Eliten«, treiben die Temperatur des Feuers immer weiter hoch.
Man sagt, dass beim Brand von Notre-Dame kein Mensch zu Schaden kam, doch das zu sagen verengt den Menschen auf seinen Leib – der emotionale Schaden ist immens.
Die Empörten und Selbstgerechten, die Nichtsnutze und die Journalisten, sie drängen uns ja immerzu ihre Gefühle auf – haben denn jene, die das Land und den Kontinent auf ihren Schultern tragen statt nur von ihm zu profitieren, nicht auch ein Recht auf Gefühl?
Milo Yiannopoulos schreibt in seinem klugen Text zum Brand von Notre-Dame:
Es ist eine Tragödie, symbolisch für die schnelle Zerstörung westlicher Zivilisation in den letzten Jahrzehnten, eine sichtbare Erinnerung an das Inferno, welches längst die Akademie ausgeweidet hat. (Milo Yiannopoulos via frontpagemag.com, 19.4.2019)
Der lesenswerte Text trägt den Titel, übersetzt: »Das Notre-Dame-Feuer: Unsere Schuld, unsere höchst schmerzliche Schuld.«
Das Kathedralenfeuer vom 15. April 2019 war ein »Schock« (übrigens ein körperlicher Zustand, der oft mit starkem Blutverlust einhergeht), und wir werden ihn noch lange spüren, doch der Brand stand nicht allein. Wie ich etwa im Text »Braucht man Kirchen, wenn man nicht an Gott glaubt« schrieb, werden in Frankreich seit längerer Zeit schon Kirchen und Stätten der Andacht angezündet und verwüstet. (faz.net, 9.4.2019: »Täglich werden in Frankreich drei Gotteshäuser Opfer von Vandalismus.«) – Die Motive und die inneren Seelenvorgänge der Täter sind sehr anders, als Sie und ich es uns vorstellen können. Was bewegt etwa einen Täter, nach dem Brand der Notre-Dame, einer gusseisernen Marien-Statue den Kopf abzuschlagen? (leprogres.fr, 17.4.2019)
Es ist ja nicht nur Europa, das metaphorisch und immer häufiger auch buchstäblich brennt. Es ist die westliche Tradition samt der mühsam errungenen Werte, und mancher Antiwestler scheint Christen und Kirchen anzugreifen, während er tatsächlich wohl Demokratie, Vernunft und vor allem die ihm verhasste Freiheit meint.
Nebeneinander, aber gleichzeitig
Die Meldungen, die wir in den Zeitungen lesen, sie erscheinen nebeneinander, doch sie passieren gleichzeitig, in derselben Welt, in derselben Zeit.
Auf Sri Lanka sind heute über 200 Menschen bei Anschlägen auf Kirchen und Hotels ums Leben gekommen (siehe etwa welt.de, 21.4.2019). Es wird von »extremistischen Einzeltätern« gesprochen, doch bei der Frage, was es ist, das hier ins »Extrem« geführt wurde, tippt man als von außen erst einmal nicht auf Buddhisten, zu denen sich in Sri Lanka nach offizieller Statistik etwa 70% der Menschen bekennen (statistics.gov.lk, 2011) – Allerdings: Es gibt in Sri Lanka auch Gewalt durch sogenannte extreme Buddhisten, doch die ist meist Teil und Fortführung seit Jahrhunderten schwelender Konflikte, siehe etwa das ausführliche Interview auf info-buddhismus.de. Mittlerweile gab es Festnahmen, doch die Regierung spricht aktuell nur von »Extremisten« (siehe etwa bild.de, 21.4.2019), es gab allerdings bereits Warnungen im Vorfeld (siehe nzz.ch, 21.4.2019). Diese Meldungen stehen nebeneinander, doch sie passieren in derselben, vernetzten Welt, aus welche Globalisten und Gehirngewaschene auch die letzte schützende Grenze entfernen wollen.
Um an einem Brand die Schuld zu tragen, muss man nicht selbst die Flammen halten; man kann auch untätig zuschauen, wenn er übergreift.
Kultur und Werte sind untrennbar. Gewissen archaischen Kulturen scheint es innezuwohnen, ihre Umgebung mit spürbaren Symbolen ihrer Macht (mindestes: emotional) zu unterwerfen.
Seit einiger Zeit schon erleben Bürger in ganz Deutschland sogenannte »Hochzeitsgesellschaften«, bei denen Familien und Clans mit Autos durch deutsche Städte fahren, Verkehrsregeln missachten oder ganze Straßen blockieren.
Korso-Chaos bei türkischer Hochzeit: Fahrer bremst plötzlich ab – Unfall – (…) In den vergangenen Wochen waren deutschlandweit Fälle von eskalierten Auto-Aktionen bei oft türkischen Hochzeiten bekannt geworden. Dazu gehören plötzliche Spurwechsel, Fahren über Rot, Schüsse aus Schreckschusswaffen sowie Blockaden und illegale Autorennen auf Autobahnen.(focus.de, 20.4.2019
Es passiert schon seit einiger Zeit:
Motoren-Lärm & Schüsse: Polizei stoppt Hochzeits-Wahnsinn in Billstedt (…) Heulende Motoren, riskante Fahrmanöver, Schreckschüsse (…) Die Fahrzeuge, überwiegend hochpreisige Wagen der Marken Lamborghini, Ferrari oder Mercedes-Benz, fielen Zeugen am Freitagnachmittag durch provokante und zum Teil gefährliche Fahrmanöver auf. (mopo.de, 25.3.2018)
Eine Hochzeitsgesellschaft wollte mit einem Autokorso durch Berlin ausgelassen feiern. Doch plötzlich fielen Schüsse. (…) Am Potsdamer Platz steuerten die Fahrer die Wagen mehrfach auf dem Gehweg um die historische Ampel herum. (bild.de, 26.8.2018)
Solche einschüchternd wirkenden Machtbeweise archaischer Kulturen finden schon seit einiger Zeit statt, doch man wird das Gefühl nicht los, dass die »jungen Männer« sich aktuell täglich stärker ermutigt fühlen, ihre Dominanz gegenüber den »Almans« auf der Straße unter Beweis zu stellen.
Schon wieder ist ein Hochzeitskorso aus dem Ruder gelaufen: Eine Verkehrsteilnehmerin meldete am vergangenen Sonnabend, dass auf dem Kieler Ostring mit einer Schusswaffe gewedelt würde. Als die Polizei anrückte, wurde die Situation kritisch. (mopo.de, 18.4.2019)
(Notiz: Was sagt es über den Zustand des Rechtsstaats aus, wenn das Auftauchen der Polizei nicht beruhigend wirkt, sondern geradezu als Herausforderung angesehen wird?)
Ein 30-Jähriger hat am Freitagnachmittag bei einem Hochzeitskorso in Tiergarten einen schweren Unfall verursacht (…) In Berlin kommt es immer wieder zu Vorfällen bei Hochzeitskorsos. So sorgte unlängst ein Videoclip im Netz für Empörung, der zeigt, wie eine Hochzeitsgesellschaft mit ihren Autos den Altstädter Ring in Spandau blockiert. Die Teilnehmer steigen aus ihren Karossen, tanzen auf der Straße und filmen sich gegenseitig. (morgenpost.de, 13.4.2019)
Die automobilen Machtdemonstrationen finden ja nicht nur anlässlich von Hochzeiten statt, auch Wahlen in der Türkei oder Fußballspiele können ein Anlass zur Einschüchterung der Deutschen sein. Doch, es sind nicht nur die Autokorsos, der Machtbeweise sind mehr, man denke nur an die imposante Erdogan-Moschee in Köln, die Symbole mögen wechseln, die Botschaft ist immer gleich: Wir werden euch unterwerfen. (Man möchte hinzufügen: Und eure blöden Linksgrünen helfen uns dabei.)
Kann man gut finden, oder schlecht
Meldungen sind verknüpft, auch wenn sie nur nebeneinander stehen.
Bei BILD lesen wir :
Schock-Umfrage – AfD stärkste Partei im Osten (bild.de, 20.4.2019)
Die Länder des deutschen Ostens haben praktisch eben erst – vor ganz wenigen Jahrzehnten – eine Diktatur abgeschüttelt. (Dass sie daraufhin das gesamte Land mit ehemaligen SED-, FdJ- und Stasileuten versorgten, will ich mal nicht zum Vorwurf machen.) Anders als in Westdeutschland haben die Deutschen im Osten wohl noch in Erinnerung, was Propaganda und Unterdrückung von Kritikern bewirken kann.
23% der Wähler im Osten sehen derzeit, dass Deutschland »brennt«, und sie trauen der AfD am ehesten zu, wenigstens zu versuchen, den Brand zu löschen. Das kann man gut finden, das kann man schlecht finden, die Tatsache ist aber, dass den anderen Parteien wenig mehr einfällt, als den Brand für Einbildung zu erklären und gleichzeitig die Amateurhelfer schlechtzureden. Ob das funktionieren wird?
Metapher trifft Realität
Echte Feuerwehrleute beklagen in Deutschland immer brutalere Gewalt gegen sie, während sie versuchen, Menschenleben zu retten:
Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendwo in Deutschland Feuerwehrmänner und -frauen und Rettungskräfte angepöbelt oder gar tätlich angegriffen werden. (feuerwehrmagazin.de, 8.1.2019).
Erste Feuerwehren schaffen sich Schutzwesten an. Einzelne Feuerwehrleute denken an, dass auch die Feuerwehr (!) bewaffnet sein sollte.
Die Angriffe auf die echte Feuerwehr passen perfekt in die Zeit, und »was man so hört«, stammen Angriffe auf die Feuerwehr aus ähnlichen Kreisen wie die Angriffe auf jeden, der westliche Kultur verteidigen will.
Seit Jahren schon
Der Brand der Notre-Dame war symbolisch. (In Frankreich wird über einen Architekten-Wettbewerb bezüglich des Neu-Aufbaus gesprochen; es ist zu befürchten, dass das, was folgt, schlimmere Folgen haben wird als der Brand. Schade.)
Der Westen brennt, Christen leben weltweit in Gefahr, was uns definiert und heilig ist, wird geschändet, seit Jahren schon, und diejenigen, welche es angefacht und zugelassen haben, sind jetzt ganz empört, dass »die Falschen« es löschen wollen. Nicht nur haben die Eliten zugelassen und aktiv gefördert, dass kommt, was kommt, sie sehen ihren ersten Feind in den Amateuren und, ja, Hasardeuren, die zu löschen beginnen.
Zurück zur Metapher: Wen soll einer wählen, dessen Haus brennt – meist metaphorisch, manchmal real?
Sollte er diejenigen wählen, welche den Brand zuließen? Diejenigen, die den Brand zuließen, sagen, dass jeder außer ihnen, der versucht, das Feuer zu löschen unmoralisch sei.
Nehmen wir sie beim Wort, doch denken und fragen wir weiter: Wenn die offizielle Feuerwehr ihren Job nicht tut, doch die helfenden Amateure als »unmoralisch« gelten, ist es dann »moralisch besser«, das Haus niederbrennen zu lassen? Oder, anders gefragt: Ist es besser, eine katholische Kirche niederbrennen zu lassen, als dass ein Protestant beim Löschen hilft?
»Wir haben das Feuer nicht gelegt«, singt Billy Joel, »es hat immer gebrannt, seit die Welt sich dreht. Wir haben das Feuer nicht gelegt, wir haben es nicht angezündet, aber wir haben versucht, es zu bekämpfen.«
Wenigstens zu versuchen, das Feuer zu löschen, was andere in ihrer Dummheit und ideologischer Verblendung gelegt zu haben – was sonst sollen wir tun?