04.08.2024

Baerbock-Nigeria-Video – steckt Böhmermann dahinter?

von Dushan Wegner, Lesezeit 6 Minuten
Ein Nigerianer behauptet in einem Video, als Escort für Baerbock gearbeitet zu haben. Das Außenministerium dementiert (überraschend heftig). Stecken Russen dahinter … oder doch Jan Böhmermann?

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Ganz Deutschland diskutiert das Video mit dem männlichen Nigeria-Escort, worin Annalena Baerbock eine Rolle spielt. Ganz Europa fragt: Ist das der neueste Streich von TV-Comedian Böhmermann?

Fast jede Meldung rund um die fleißige Außenministerin erinnert mich ja an die alte Parabel von der Schildkröte auf dem Zaunpfahl, und die geht so: Du gehst spazieren und siehst eine Schildkröte auf einem Zaunpfahl sitzen. Du weißt nicht, wie sie da hinaufgekommen ist. Du bist dir aber recht sicher, dass sie das nicht aus eigener Kraft geschafft hat. Und du weißt, dass es menschlich wäre, sie sanft wieder auf den Boden zu setzen.

Heute jedoch liegt uns eine Meldung vor, in welcher zwar Annalena Baerbock vorkommt und die auf den ersten, flüchtigen Blick wie die »Baerbockiade des Tages« klingt – doch außer ihrem Namen – und selbst der in erster Quelle nur angedeutet –, kommt sie selbst höchstwahrscheinlich nicht wirklich im Inhalt vor.

Der Escort und …

Der junge Nigerianer, der sich als »Escort« ausgibt, sprich: als männliche Prostituierte, behauptet offenbar, zweimal jährlich von einer deutschen Ministerin besucht zu werden. Dazu wird das Foto der Außenministerin eingeblendet.

Ich habe zunächst nur eine Mainstream-Nachricht darüber gelesen, bei focus.de, am 3.8.2024. Dann wurde ich natürlich neugierig. Das Video ist ja nur indirekt unanständig, also kann man durchaus mal schauen.

… andere Nachrichten

Wenn man »Nigerianer« in der Nachrichten-Suche eingibt, findet man aber nicht zuerst diese Geschichte, sondern aktuell etwa aus Bochum: »Versuchte Tötung am Bahnhof – 21-Jähriger festgenommen« (focus.de, 26.7.2024). Zur Klarstellung: Der »Nigerianer« in dieser Meldung ist der erwähnte 21-Jährige, nicht das obdachlose Opfer.

Oder eine Meldung aus Leipzig: »Mann (29) nach versuchter Vergewaltigung verhaftet« (bild.de, 1.8.2024). Ja, wir lesen von dem »Mann (29)«, auf den sich »Nigerianer« bezieht.

Oder vom letzten Monat: »Drei Attacken in 18 Stunden: Mann (36) sticht auf Polizisten ein – und ist trotzdem frei« (bild.de, 7.7.2024). Laut dem Bericht schien die Bundespolizei die Staatsanwaltschaft förmlich darum anzuflehen, den Nigerianer verhaften zu dürfen, nachdem er Polizisten mit dem Cuttermesser verletzt hatte – doch die Staatsanwaltschaft blieb offenbar stur. Man kann und muss über die Gründe spekulieren, aber an anderer Stelle. Rational und ohne Verschwörungstheorien ist das alles ohnehin schon lange nicht mehr zu erklären.

Ich könnte zu viele weitere solche Fälle mit »Mann« und dem Alter in Klammern listen. (Und fangen wir lieber gar nicht erst mit »Mr. Cash Money« an.)

Ich fand das Video schließlich – bei YouTube. Es ist nicht der Rede wert. Ein tatsächlich gut aussehender Mann, der »Kingsley« heißen soll, sitzt auf dem Sofa und behauptet Dinge. Behaupten kann aber jeder alles. Wer das Video unbedingt sehen will, wird es finden, und wer es nicht sieht, hat auch nichts verpasst.

»Steckt Russland dahinter?«

Interessanter finde ich zum Beispiel, wie bei focus.de über das Video geredet wird. Ihr wisst schon, auf der berüchtigten »Meta-Ebene«.

Die Dachzeile, also die kurze »Einordnung« vor und über dem Titel selbst, fügt noch das Fragezeichen-Feigenblättchen ein: »Steckt Russland dahinter?« (focus.de, 3.8.2024)

Aber schon in Einleitung wird aus der Frage eine unzweideutige Aussage: »Einmal mehr ist es ein Versuch von russischer Seite, westliche Politikerinnen, welche die Ukraine unterstützen, zu diffamieren.«

Die Domain, auf der laut focus.de dieses Video abrufbar ist, enthält einen Schreibfehler. Das soll irgendwie ein Beweis dafür sein, dass es sich bei dem Video konkret um Desinformation aus Russland handelt. Dabei verweist die Domain auf die Berichterstattung einer anderen, ähnlich generischen Website. Und die wiederum verlinkt ein Video. 

Ich schließe übrigens gar nicht aus, dass es sich um russische Akteure handelt. Doch in der Gesamtschau wirkt es auf mich derart amateurhaft, dass ich es für ein Privatprojekt von Jugendlichen irgendwo auf der Welt halte.

Auf ein paar Klicks aus

Beide Websites sind billigst gemacht, mit ein paar provokativen News gefüllt. Mit minimalen technischen Kenntnissen und etwas KI-Knowhow, wie sie heute fast jeder Jugendliche besitzt, könnte sie jeder aufsetzen, der auf Klicks aus ist.

(Übrigens: Nicht nur die Websites selbst wirken auf mich zum Teil wie von künstlicher Intelligenz erzeugt; auch der focus.de-Artikel wirkt wie von Robotern geschrieben: »Einmal mehr ein Versuch von russischer Seite, westliche Politikerinnen, welche die Ukraine unterstützen, anzugreifen.« – Das klingt wie Computersprache. So redet doch kein Mensch, auch kein Journalist – oder?)

In der Qualität sind die anklagenden Texte auf den schnell gemachten Websites kein Vergleich etwa zur Professionalität von »RT«. Es könnte buchstäblich von jedem Menschen auf dem Globus mit einem Internetanschluss in die Welt gesetzt worden sein.

Ja, es wirkt wie Fake News. Man würde es eigentlich schulterzuckend abhaken.

Dann aber hört man, wie fulminant das Außenministerium dementiert: »Die Geschichte ist falsch, frei erfunden und völlig abstrus. Das Vorgehen legt nahe, dass russische Akteure Urheber oder Auftraggeber dieses Diffamierungsversuchs sind.«

Man wird etwas stutzig – und man fragt sich, wer wirklich dahintersteckt. Vielleicht jemand ganz anderer? Vielleicht überhaupt kein Russe?

War es Böhmermann?

Mir fiel etwas auf: Dem inhaltlichen Stil nach könnte es eine sogenannte Satire des Staatsfunk-Comedians Jan Böhmermann sein.

Wenn focus.de also ohne Belege »fragt«: »Steckt Russland dahinter?«, dann können wir nicht weniger berechtigt fragen: »Steckt Böhmermann dahinter?«

Böhmermann ist doch derjenige, der vulgärste Attacken auf Politiker und Andersdenkende hoffähig gemacht hat.

Böhmermann ist der, der bei seiner »Satire« aus rätselhaften Gründen die Protektion höherer Mächte des Propagandastaates zu genießen scheint. Er darf alles und jeden attackieren, mit aggressiven und vulgären Mitteln, die den »Normalbürger« vermutlich für Monate oder sogar Jahre ins Gefängnis brächten. (Siehe dazu auch den Essay vom 3.5.2018.)

Wer sagt uns denn, dass nicht dunkelgrüne Mächte hinter den Kulissen beschlossen haben, Baerbocks Image zu attackieren, und Böhmermann zu diesem Zweck eine sogenannte Satire positioniert?

Alles hanebüchen?

Ist die Böhmermann-Theorie hanebüchen? Nun, eine falsch geschriebene Domain einer schnell gemachten Amateur-Website, die selbst wieder eine andere billige Amateur-Website zitiert – beide womöglich mithilfe von Gratis-KI gemacht – all das soll »belegen«, dass die Russen schnell sind. Genauso gut könnte die offensichtlich absurde Behauptung ohne Beleg eine »politische Satire« sein.

Behaupten kann man vieles. Ob der selbsternannte Escort »Kingsley« eine Erfindung Russlands oder Böhmermanns ist, beides wäre meines Erachtens in gleichem Maß ^absurd – und erschreckenderweise ist auch beides gleich plausibel und denkbar.

Absurdität nennen wir jene Eigenschaft der Welt, dem Menschen die Anstrengungen der täglichen Rationalität abzuverlangen, doch tatsächlich irrational zu sein. Den Menschen, der sich tapfer und trotzig der Absurdität menschlicher Existenz entgegenstellt, nennen wir »Sisyphos«.

»Lass los, Sisyphos!«, so rief ich 2018 auf. 2020 stellte ich aber endlich fest, dass Sisyphos müde ist, und ich schrieb: »Sisyphos hat sich aufs Sofa gesetzt«.

Ich bin Sisyphos. Und jeder von euch, der mir in diesem Essay bis hierhin gefolgt ist, auch.

Angeblich, so heißt es, haben wir Sisyphos für einen glücklichen Menschen zu halten.

Nun, ich hoffe, dass ich glücklich bin. Ich hoffe, dass ihr glücklich seid. Doch es ist nicht die Absurdität, auch nicht das Ankämpfen gegen die Absurdität, die uns glücklich machen werden.

Es ist die Ordnung der persönlichen Kreise, es ist das Wissen um die relevanten Strukturen, es ist dann das tägliche Stärken und Verteidigen der relevanten Strukturen, das den Menschen glücklich werden lässt – nicht der Kampf gegen die Absurdität.

Doch so viel muss ich gestehen: Die Absurdität amüsiert mich. Und amüsiert zu werden, soll gut für die Verdauung sein. Wie sollte ein Mensch sein eventuelles Glück genießen, wenn die Verdauung nicht mitspielt?

Weiterschreiben, Dushan!

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