Dushan-Wegner

09.12.2021

Wie ein See

von Dushan Wegner, Lesezeit 3 Minuten
Ich will wie ein stiller See sein, ruhig an meiner Oberfläche, was auch immer für Strömungen und scharfe Steine an meinem Grund zu finden sind.
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In meinen besten Stunden bin ich wie ein stiller See, ruhig und bedächtig, andächtig und anmutig.

Ein stiller See, man könnte von einem solchen See sagen, dass er sich selbst genug ist, dass er Frieden gefunden hat, den privaten Frieden im öffentlichen Krieg.


Ja, wie ein stiller See sind wir in unseren besten Stunden. Das Wasser unserer Oberfläche ist glatt, doch in unserer Tiefe, an unserem Grund, da liegen Brocken und Steine, scharfe Bruchstücke abgesplitterter Felsen, und sie werden über die Jahre nicht weniger.

Wenn sie zuerst in die Tiefe fallen, wenn sie vom Felsen am Rand des Sees abgespalten wurden, da sind die Steine an unserem Grund noch rau und scharf.

Die Strömungen in unserer Tiefe aber, sie reiben die scharfen Steine gegeneinander, bis die Steine rundgemahlen wurden. Die Steine verlieren ihre Kanten, und der See verliert von der Besonderheit seines Grundes.

Einige Steine aber, von den Strömungen hin und her geworfen, zerbrechen und spalten sich, und sie werden zu neuen Steinen mit neuen scharfen Kanten, und so gebiert unser Grund, tief unter unserer Oberfläche, neue Schärfe und eigene Gefahr.

Wie ein See sind wir, wie ein See, dem seine eigene Tiefe ein Geheimnis ist.


Ach, warum nenne ich mich nur einen See, warum denke ich so klein? Wie das Meer bin ich. Das Meer, das den Sturm nicht begreift, welcher sein Wasser in die Höhe peitscht, so zu Wellen und Sturmfluten wird, zum Untergang der Küstenstädte.

Das Meer versteht den Sturm nicht, und also könnte das Meer glauben, es hätte selbst und aus eigener Kraft seine Wellen zu derart wilder Gischt aufkochen lassen. Ich bin die Welle, also habe ich die Gischt geschaffen! Nein, du bist das Material der Welle, und das sei dir genug.


Ich wäre gern ein Meer, doch mich in solcher Größe zu beschreiben, das steht mir nicht zu. Ich weiß zu wenig, und ich greife nach Schaum. Ich weiß zu wenig von beiden Welten, von der Welt im Großen und von der Welt in mir.

Ich bin wohl doch nur ein See, ein Tümpel zwischen Nutzholzwäldern. Von jedem meiner Ufer meint man leicht zum anderen Ufer spucken zu können, und manchmal versuchen sie es auch, und dann schaffen sie es doch nicht, und dann fällt Spucke in mich hinein.


Nicht jeder See ist still, und kein See an jedem Tag. An manchen Tagen sagst du: »Heute bin ich ein nervöser See!«

Ein Fisch hustet, eine Ente flattert, und schon kräuselt sich deine Oberfläche. Der Wind streicht neckisch über deine dünne Haut, und du wähnst gleich, dass dies der ärgste Sturm aller Zeiten sei, und dieses Wähnen ist deine Nervosität.

Hast du denn die vielen anderen Stürme vergessen? Hast du vergessen, wie oft schon der Wind dein Wasser vom Grund her aufwühlte, und du dann doch wieder zur Ruhe kamst, wie deine Oberfläche wieder still wurde? Hast du den Schmerz vergessen, als für einen Augenblick die scharfen Steine deines Grundes blank lagen?

Ein jeder jener Stürme ging vorüber, und ebenso wird auch dieser Sturm ein Ende finden.


In unseren besten Stunden sind wir wie ein See bei Windstille. Wenn es dir heute schwer fällt, Ruhe zu finden, dann sind dies wohl nicht deine besten Stunden.

Ich darf doch nicht die Stille leugnen, die mir nach jedem Sturm beschert war!

Ich will mich an Momente der Ordnung erinnern, als ich wie jener stille See war, als ich des stillen Sees Stille spürte, und in dieser meiner Erinnerung will ich schöpferische Hoffnung suchen, in alter Ordnung die Hoffnung auf neue Ordnung finden.

Ich will heute zur Ruhe kommen, ich will heute still werden wie der stille See, und das sei dann meine beste Stunde.

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