Während ich die erste Fassung dieser Zeilen schrieb, machte sich die Tagesschau wieder einmal lächerlich. Oben auf deren Homepage, einer der meistbesuchten Websites des deutschen Propagandastaates, hatte man einen riesigen roten Block gesetzt.
»10:18 Eilmeldung« stand da in großen weißen Lettern vor alarmroten Hintergrund.
»Eilmeldung« – Oha!
War ein Krieg ausgebrochen? War ein nuklearer Reaktor explodiert? Hatte der Cum-Ex-Skandal dann doch Olaf »Erinnerungslücke« Scholz eingeholt, und wird er nun gar verhaftet? Oder belangte man etwa Merkel samt ihrer Helfer endlich für deren Rolle im Unrechtsjahr 2015?
Hahaha – »nein« zu alldem.
Wir reden von Deutschland, und Deutschland ist ein Propagandastaat. Damit meine ich weiterhin: Ein Staat, in welchem der Bürger rund um die Uhr von Propaganda umgeben ist, und in welchem alle öffentlichen Handlungen von Politik und Mainstream-Medien durch ihre Funktion im Propagandabetrieb einigermaßen sinnvoll zu deuten sind.
Jener signalrote Eilmeldung-Block verkündete, dass »Zeitenwende« das »Wort des Jahres« sei. (Der Link innerhalb des roten Blocks verlinkte zu tagesschau.de, 9.12.2022.)
Das »Wort des Jahres« wird von der »Gesellschaft für deutsche Sprache« zum solchen erklärt. Diese »Gesellschaft« ist ein »von der deutschen Kultusministerkonferenz und dem Kulturstaatsminister finanzierter Verein« (siehe Wikipedia).
Warum verkündet die Tagesschau, was irgendwelche politisch finanzierten – und damit automatisch unterm Verdacht der Politiknähe stehenden Elfenbeinturmbewohner für das »Wort des Jahres« halten?
Welche Funktion hat(te) diese Verkündigung?
Die Wahl eines »Wortes des Jahres« wird explizit nicht von der Häufigkeit bestimmt, sondern schlicht davon, wie wichtig die Jury die Themen findet. (Nebenbei: Welche Funktion und wahre Bedeutung hat das Jahr in »Wort des Jahres« tatsächlich?)
Auf den ersten Blick erscheint es dem kritischen Zeitgenossen schnell etwas lächerlich – jedoch, es ist bei aller Lächerlichkeit auch verräterisch.
Es ist eine Meldung des Staatsfunks des deutschen Propagandastaates – genauso wie die zweite Meldung am Morgen des 9.12.2022 (die versucht, die Opposition in die merkwürdige Großrazzia-als-PR-Aktion mit reinzuziehen), und auch die dritte Meldung (die fordert weitere bewaffnete Abschottung der Politik vom Pöbel).
In den Staatsfunk-Nachrichten heißt es, »Zeitenwende« sei von Kanzler Scholz geprägt worden, und er habe es im Zusammenhang mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Jahr 2022 verwendet. Doch natürlich steht das Wort erst einmal für sich.
Womöglich will man dem Volk tatsächlich »nur« das Konzept »Zeitenwende« einhämmern. Ein Zyniker würde sagen: Man könnte sich auch ehrlich machen und gleich das De-facto-Synonym »Great Reset« verwenden.
Der »nächste Macher«
Die Welt wird eine andere, doch ich habe Zweifel, dass es Geistes- und Moralkapazitäten wie Baerbock, von der Leyen oder Faeser sind, welche die nächste Gesellschaftsform prägen werden. Auch ernstzunehmendere Kandidaten wie Gates oder Soros wirken zeitweilig mehr wie Segelsetzer als wie Antreiber.
Auch ein Larry Fink scheint mir nicht der »nächste große Gestalter« zu sein – welchen wirtschaftlichen und kulturellen Großschaden er durch ESG auch anrichten mag. (Und wenn Ihnen all das nichts sagt, kann Ihnen ein gewisser Herr F. Merz bestimmt gern die Details erklären.)
Ja, nicht einmal ein Elon Musk wird es sein, der die Ordnung der Menschen der nächsten 20 oder 200 Jahre festlegen wird, so wichtig seine Arbeit bei OpenAI, bei Neuralink und wohl auch bei Twitter sein mag.
Oft genug ihren Willen
Ich hege sehr ernsthafte Zweifel daran, dass es Menschen sind, welche die Ordnung der nächsten Gesellschaft festlegen.
Man könnte ja argumentieren, dass bereits heute die Weltgesellschaft nicht nur oder gar ausschließlich von Menschen angeführt wird, wie laut und stolz sich auch gewisse Kreaturen äußern mögen.
Konzerne etwa sind ja keine Menschen, sondern menschengemachte Systeme, deren Angestellte bald zu Dienern ihrer eigenen Kreaturen werden, inklusive der Gründer und Anteilhaber. (Fragen Sie jeden beliebigen erfolgreichen Unternehmer, ob er wirklich zu jeder Zeit ganz Herr seiner Unternehmung ist, oder ob es nicht seine Kreatur ist, die seinen Zeitplan steuert und ihm oft genug ihren Willen aufzwingt.)
Keine Hoffnung ohne
Wir meinen, bei der demokratischen Wahl einzelne Menschen und Parteien zu wählen, doch in Wahrheit wählen wir Systeme der Ordnung, sprich Algorithmen für die Gesellschaft – wenn es gut läuft.
Das Problem der Demokratie – wie auch jeder anderen Herrschaftsform – ist, dass die Träger und Durchführenden der sozialen Algorithmen (bislang) notwendigerweise Menschen waren – mit all ihren Schwächen.
In dem Moment, wo es einer Gesellschaft gelingen wird, eine Ordnung zu etablieren und zu betreiben, die man nicht Lobbyisten und ihren Marionetten abringen muss, sondern die wirklich den Nutzen des Volkes mehrt und Schaden von ihm abwendet, wird diese Gesellschaft bald ganz natürlich stärker als konkurrierende Gesellschaften sein. Jene übrigen Gesellschaften aber werden die Wahl haben, die neuerdings stärkere Gesellschaft zu bekämpfen – oder zum Wohl ihrer eigenen Bürger von ihr zu lernen. (Auch deshalb ist keine Hoffnung ohne Multilateralismus und Konkurrenz der Ordnungsprinzipien denkbar.)
Auf andere Weise anders
»The revolution will not be televised«, so dichtete einst Git Scott-Heron; im Essay vom 30.07.2021 beschrieb und übersetzte ich es: »Die Revolution wird nicht im Fernsehen laufen«.
Wir wissen: Wahrheit ist die Revolution, die Wahrheit aber läuft nicht im Fernsehen – und steht auch nicht auf deren Homepage.
Dies sind die ersten Jahre einer Zeitenwende, doch diese findet in Dimensionen statt, welche gar nicht erst in den Prämissen der üblichen Berliner Denkmuster enthalten sein können.
Ich sehe mehrere Denkmuster und Ideen, welche die neue Zeit nach dieser Zeitenwende prägen werden. Einige davon werden gar nicht mehr von Menschen »gedacht« werden.
Andere werden nur von »normalen« Menschen gedacht, weil diese Gedanken nicht zu denken zur Einstellungsvoraussetzung von Politik und Presse gehört (siehe dazu auch Essay vom 28.11.2017).
Und so ziehe ich für mich aus der »Eilmeldung« von 10:18 Uhr am Freitag, den 9. Dezember 2022 diese Lehre: Die Zukunft wird sehr anders, das ist wahr — aber auf andere Weise anders, als die staatlichen Zukunftsdeuter erklären.
Die Zukunft wird anders anders, und ich weiß nicht sicher, ob ich mich darauf freue, doch ich will gern verraten, dass ich maximal neugierig darauf bin.