»Není v zájmu státu« – »das ist nicht im Interesse des Staates« – so klang sie, die Standardantwort, die man erhielt, wenn man als Bürger der ČSSR ausreisen wollte.
Eigentlich gab es überhaupt kein offizielles Antragsverfahren, nach dem man in einem solchen Fall verfahren konnte oder gar sollte. Ein tschechoslowakischer Bürger konnte unter normalen Umständen keinen Antrag auf Erteilung des Ausreisevisums stellen.
Manche Bürger, wie meine Großeltern, haben es dennoch formlos getan, und haben einen Brief an die Kreisverwaltung der Polizei, Passabteilung, verschickt – was prompt mit »Není v zájmu státu« abgelehnt wurde.
Dann schrieben sie den Minister des Inneren an. Gleiche Antwort. Dann an den Präsidenten der Republik. Da kam eine andere Floskel zurück: »Der Staatspräsident befasst sich mit Angelegenheiten, die den ganzen Staat betreffen.«
Meine Großeltern wurden von der Polizei verhört und bedroht, sie bezahlten einen Rechtsanwalt (ja, auch in Unrechtsstaaten gibt es Rechtsanwälte).
Nach etwa zwei Jahren kam ein Brief vom Innenministerium, dass sie gehen durften.
Ohne Begründung, aber unter der Bedingung, dass sie ihre Rentenansprüche aufgeben.
Eigentlich aber konnte man eine Ausreise aus der ČSSR gar nicht beantragen. Die meisten Ausreisewilligen fuhren nach Jugoslawien in Urlaub und kamen nicht wieder. Wenn ihnen der Transit durch Österreich gestattet wurde, dann blieben sie eben in Österreich. Wenn nicht, dann haben sie in Jugoslawien alles stehen lassen (Auto und Koffer) und gingen zu Fuß über die Grenze nach Österreich oder Italien. In beiden dieser Fälle verloren sie automatisch ihr Hab und Gut in der alten Heimat. In Abwesenheit wurden sie ebenso automatisch für »Republikflucht« zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt.
Wer aus dem sozialistischen Paradies auf Erden ausreisen wollte, der brauchte Mut, Geduld, gute Beziehungen und/oder eine verdammt starke Begründung in seinem Ausreiseantrag – und mit dem Stichwort »Ausreiseantrag« wären wir bei den Nachrichten des Tages.
Verantwortung ohne Konsequenz
Die Herrscherin über Deutschlands Journalistenherzen sagte, sie übernähme die Verantwortung für den angekündigten Oster-Lockdown – und also kassiert sie diesen im Gusto der Alleinherrscherin wieder (welt.de, 24.3.2021).
In Orwell-Zeiten bedeutet ja manches Politikerwort sein Gegenteil: »Verantwortung übernehmen«, das bedeutete einst: Konsequenzen ziehen, zurücktreten, und dazu, wenn man nicht gerade als Politiker ohnehin de facto überm Recht schwebt (und von da aus aufs Recht kackt wie die Tauben auf den Bahnhofsvorplatz), dann bedeutete »Verantwortung übernehmen« auch, ja, bestraft werden.
Wenn Merkel »Verantwortung« übernimmt, dann bedeutet es so-gut-wie gar nichts. Wie aber ein Negligé ein So-gut-wie-gar-nichts an Kleidung ist und doch ein Männerherz höher schlagen lassen kann, so lässt auch die konsequenzlose »Entschuldigung« der Gottgleichen manches Berliner Funktionsträgerherz einen Takt lang aussetzen, um dann nur noch glühender zu pochen.
»Dafür verdient die Kanzlerin Respekt«, katzbuckelt Poschardt von der Welt, der Rest der von Berlin abhängigen Medienwelt ähnlich. Ach, wie leicht verführbar sind Journalistenherzen im Propagandastaat.
Dass Merkel im Alleingang, je nach Umfragewerten, einen totalen Lockdown an- und wieder absagen kann, das ist zuerst ein Hinweis auf die De-Facto-Staatsform Deutschlands: eine Merkelkratur. Die »Journalisten« verstehen es wohl – und entsprechend unterwürfig reagieren sie.
Moralischer Kredit
Nein, die »Entschuldigung« der Machthaberin geht nicht so weit, irgendwelche praktischen Konsequenzen – und damit Bedeutung – zu haben – nicht einmal die Möglichkeit von Konsequenzen gibt es (welt.de, 25.3.2021: »Merkel lehnt Vertrauensfrage ab«).
Der US-Wahlkampf-Experte Frank Luntz weist immer wieder darauf hin, dass die »Entschuldigung« ein oft unterschätztes politisches Werkzeug ist. Politiker, die um Entschuldigung bitten, erhalten »moralischen Kredit« (siehe die gläsernen Augen der Journalisten bei Merkels »Entschuldigung«), und wenn sie es machtpolitisch geschickt anstellen, können sie den »moralischen Kredit« für ihren nächsten Schachzug nutzen.
Statt des aufgegebenen Osterlockdowns denkt das Merkelregime jetzt darüber nach, Urlaubsreisen ins Ausland zu verbieten (welt.de, 24.3.2021). Er ergibt ja in der verqueren Funktionärsdenkweise womöglich durchaus Sinn: Bürger könnten im Ausland sehen, dass der deutsche Wahnsinn nicht alternativlos ist, dass Impfchaos und Impfmangelwirtschaft nicht naturgegeben sind, dass Freiheit auch in Coronazeiten möglich ist. Wenn diese Bürger dann gleich dableiben wollen, dann wäre das vielleicht noch im Geist des Bevölkerungsaustausches, den es ja nicht gibt (außer eben tatsächlich) – schlimmer fürs Regime wäre aber bald, wenn die Bürger zurückkommen und (noch mehr) kritische Fragen stellen, diesmal mit dem Argument: »Es geht auch anders, und ich habe mit eigenen Augen gesehen, dass es auch anders geht.«
Wenn es nicht mit purem Machtinstinkt ausreichend beschrieben wäre, könnte man die Verschwörungstheorie formulieren, Merkel hätte den totalen Osterlockdown nur inszeniert, um ihn wieder zu kassieren und dann aus der Verwirrung heraus umzusetzen, was sie eigentlich anstrebte: Wiedereinsetzung von Ausreiseverboten, wie einst in dem Land, wo sie zu dem Menschen wurde, der sie ist.
»das andere Mal als Farce«
»Hegel bemerkt irgendwo«, bemerkt Marx irgendwo, »daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen.« – Marx vergisst nicht, dies hinzuzufügen: »Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.«
»Du kriegst Berlin raus aus der DDR, aber die DDR nicht raus aus Berlin«, so schrieb ich in »Der neue Reinheitswahn« (5.9.2020). Man hört es dieser Tage auf die Kanzlerin selbst angewendet: »Du bekommst die Merkel aus der DDR, aber die DDR nicht aus der Merkel!« – Es wurde ja schon früher darüber nachgedacht! »Wieviel DDR steckt noch in diesen Politikerinnen?«, wunderte sich etwa welt.de, 28.5.2013.
In der Einleitung des Essays »Einsperren, wenn sie meckern« schrieb ich vor kurzem: »Methoden wie zu ihrer Jugendzeit: Wenn die Deutschen über Merkels totales Chaos meckern, werden sie einfach eingesperrt«. – Im Text selbst verglich ich den Zustand der Berliner Regierung mit einem Untoten, der sich einfach nicht in Würde zurückziehen will. Dieser Untote wirkt täglich gruseliger – und weiterhin gefährlich agil.
Für die Stabilität
Das also ist die Lage der Deutschen heute: Die Geschichte wiederholt sich, diesmal als von der ganzen Welt verlachte Farce. Nicht nur Eiskunstläuferin Katarina Witt fühlt sich heute an die DDR erinnert (welt.de, 25.3.2021).
Familien, die den Ostblock kannten, fühlen sich wahrlich nicht erst heute an die Zeit des real existierenden Sozialismus erinnert.
Wenn es nach dem Willen von DDR-Angela geht, sollten Deutsche nur noch verreisen dürfen, wenn es »im Interesse des Staates« ist – und diesmal will sie den Deutschen den Fluchtweg Auslandsurlaub von vornherein verschließen. Eine größere Zahl von Bürgern, die frech versuchen, das Land »ohne guten Grund« zu verlassen, das könnte bald schlecht für die Stabilität des Staates sein.
Ich empfehle den Deutschen, schon mal zu prüfen, wie und wo sie ihren Ausreiseantrag stellen werden. Den inneren Ausreiseantrag, das private Bekenntnis dazu, dass man diesen Wahnsinn eben für solchen hält, diesen inneren Ausreiseantrag hat ohnehin schon mancher gestellt – es soll gut für die innere Stabilität sein.