Dushan-Wegner

18.11.2021

Der Riese ist ein Riese

von Dushan Wegner, Lesezeit 3 Minuten
Es ist dieser Tage modern, die Großen niederzureißen, die das Fundament bauten, auf dem wir stehen – das Problemchen ist, dass wir dabei das Fundament gleich mit wegreißen.
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Würde man einem Mathematiker den Vorwurf machen, dass seine Mathematik falsch sein muss, weil er sich gelegentlich beim Bezahlen seiner Brötchen verrechnet?

Nein, wohl nicht. Auch die Großen kennen Momente, an denen allein gemessen – ich will es höflich sagen – ihre Größe nicht unmittelbar erkennbar gewesen wäre.

Haben Sie gelesen, was Goethe im Suff schrieb? Oder Kafka: Der Meister empfand seinen Romanversuch »Amerika« als ungenügend, und nach der Lektüre der Fragmente könnte man ahnen, was er meinte (Germanisten mögen mich hier gern aufhängen, ich habe ja selbst das Seil gereicht). Und so fort.

Wie ist es aber mit den weisen Männern und ihrem realen Alltag? Wie halten wir es damit, wenn deren Leben nicht in jedem Detail zu ihren griffig formulierten Ansprüchen passt?

»Never meet your heroes!«, so lautet eine amerikanische Redensart. Zu Deutsch etwa: Begegne nie deinen Helden persönlich!

Die Warnung könnte bedeuten, dass es ein Fehler ist, den Menschen, der ein großes Werk erschuf, eben als Menschen mit der Größe seines Werkes zu vergleichen – er bleibt ja ein Mensch, und also muss er in deinen Augen versagen.

Wenn kein Kunstwerk größer sein darf als der Künstler, dann dürfte kein Architekt ein Haus bauen, das mehr als etwa Ein-Meter-Achtzig hoch ist, vielleicht um die Zwei-Meter, wenn es ein besonders hochgewachsener Baumeister ist.

Ist es aber nicht genau das, worauf wir Menschen als Menschen so stolz sind, vielleicht sogar stolz sein dürfen? Dass wir Werke erschaffen, die größer sind als wir?

»Never meet your heroes!«, das könnte weiter bedeuten: Selbst der Klügste der Klugen hat mal dumme Momente. Auch der Gütigste hat Sekunden der Bosheit. Auch der Wildeste wird uns früher oder später langweilen, und sei es durch das Aufgesetzte seiner Wildheit.

Wenn der Lehrer nicht mit seiner Lehre kongruent zu sein vermag, dann ist die Chance tatsächlich größer als Null, dass seine Lehre nicht nah genug an menschlicher Realität ist. Kann das aber wirklich allein der Grund sein, wenn es gelegentlich geschieht, dass die Enkel-im-Geiste auf ihre Großväter losgehen?

Wir erleben heute neue Barbaren, neue Unzivilisierte, welche unsere Statuen niederreißen wollen, teils bildlich gesprochen, teils buchstäblich. Man reißt die Statuen der Männer nieder, die das Fundament legten, auf dem wir alle heute stehen. Diese Riesen hatten Eigenschaften, die dem neuen Mob als unverzeihlich gelten.

Sollten wir also die Lehre von den Lehrern trennen? Es scheint fast so. Auch Jesus sagt über die Pharisäer, dass wir tun sollen, wie sie sagen, nicht wie sie tun (in Matthäus 23, Vers 3).

Eine Wahrheit, vom Heuchler ausgesprochen, bleibt eine Wahrheit. Wirst du stehlen, weil es ein Dieb war, der dir sagte, das Stehlen sei böse? Wird es dadurch denn falsch?

Ach, wenn wir das Große nur dann zulassen, wenn der Erbauer unsere Maßstäbe des Tages erfüllt, wenn er sich brav als normgerechtes Ziegelsteinchen in unsere kleinen Kopfmodelle einfügt, dann wird es nichts Großes mehr geben, nur noch Kleinmut, nur noch Feigheit.

Der Riese ist ein Riese, weil er eine Meile weit über unsere kleinen Köpfe hinaus ragt, und er wird nicht weniger zum Riesen dadurch, dass er mit uns in der gleichen schmutzigen Erde steht.

Weiterschreiben, Wegner!

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