Der 3. Oktober, der Tag der Deutschen Einheit, sollte eigentlich ein Feiertag sein, an dem die Deutschen als Volk und Nation zusammenstehen.
Ach, kann man das noch sagen, »als Nation zusammenstehen«, ohne wehmütig und doch sarkastisch zu lächeln?
Ich frage euch: Wie fühlt sich das heute an mit dem »Volk-Sein«? Mit dem »Ein-Volk-Sein«, eine »Nation«?
Sind die Deutschen wirklich »ein Volk«? Und soll man versuchen, »ein« oder »Volk« zu betonen?
Schauen wir uns die Realität an: Der Osten wird politisch zunehmend an den Pranger gestellt.
Jedes Mal, wenn im Osten Wahlen stattfinden, hört man das gleiche Lied von westlichen Eliten und ihren Propagandisten.
Einst wurde der Osten abschätzig als »Dunkeldeutschland« bezeichnet. Wir wissen, dass Ex-Präsident und damit Noch-irgendwie-Autorität Joachim Gauck den Begriff »Dunkeldeutschland« wiederbelebte (deutschlandfunk.de, 29.8.2015).
Gauck meinte mit »Dunkeldeutschland« jene, die es wagen, gegen die Zerstörung des gesellschaftlichen Gewebes durch »die Eliten« aufzumucken. Und diese echten Demokraten finden sich eben häufiger im Osten, in »Dunkeldeutschland«.
Wer teilt uns, und warum?
Es sind nicht die Menschen im Osten, die Deutschland spalten. Es ist das Machtkartell, das von Berlin aus wirkt.
Es sind sogenannten Eliten, die jeden als Feind ansehen, der nicht mit ihrer Agenda übereinstimmt – und das hat sogar eine Logik: Wer, wie CDU, SPD, Grüne und so weiter an der Macht klammert, selbst dann, wenn der Wähler ihn doch eigentlich mehr oder weniger deutlich abwählt, der muss jeden demokratisch gewählten Aufmüpfigen als »Feind« lesen.
Ein neuer, totalitärer Ungeist herrscht. Die neue deutsche Einheit soll die »Einheit im Gehorsam« sein.
Besonders der Osten aber, der schon einmal unter einem totalitären Regime gelitten hat, erkennt die Anzeichen. Die »Ossis« wissen, was es bedeutet, wenn der Staat die Meinungen und das Leben kontrolliert – während er die Wirtschaft ruiniert und den Wohlstand erschwert.
Ostdeutschland – der unbequeme Spiegel
Wer im Osten aufbegehrt, der hält dem Westen und der Regierung einen Spiegel vor. Und das hassen die Besserwessis. Was erlauben die sich, uns an unseren eigenen demokratischen Werte zu messen? Da definieren wir halt die Demokratie um, jetzt ist es »unsere Demokratie« und ihr haltet lieber die Klappe.
Die deutsche Politik der letzten Jahrzehnte scheiterte krachend – falls es ihre Absicht war, das Wohl des deutschen Volkes zu wahren, und insofern »deutsche Politik« überhaupt noch »deutsch« zu nennen ist.
Ich zähle nicht mehr mit, wie oft ich von Propagandamitläufern hörte, man würde am liebsten die Mauer wieder aufbauen.
»Wir sind das Volk«, so riefen sie in Leipzig, und dann »Wir sind ein Volk«. »Wir sind ein Volk«, so hört man es bisweilen noch immer, doch einigen Wendegewinnlern mit extra robuster Westbindung stinkt das sehr.
»Wir sind das Volk« und »Wir sind ein Volk« – beides gilt heute doch als »gesichert rechtsextrem«. Und das ist sogar philosophisch konsequent: Schon in der DDR galt als »Imperialist« oder »Faschist«, wer den Sozialisten widersprach.
Was ist dieses »Deutschsein«?
Was bedeutet es heute, »deutsch« und »Deutscher« zu sein?
Ist Deutschsein der blinde Glaube an eine Regierung, die uns mehr und mehr entrechtet?
Ist Deutschsein die Pflicht, jede Entscheidung von oben zu akzeptieren, auch wenn sie zerstört, was uns wichtig und heilig ist?
Oder ist Deutschsein das Erbe eines Volkes, das sich gegen Willkür und Fremdherrschaft wehrt? Mit Menschen, die selbstbewusst, klug und fleißig sind, mit wunderbaren Dichtern und brillanten Ingenieuren, stolzen Häusern, die sich weder bestehlen noch verbiegen lassen?
Der Ruf »Wir sind ein Volk« kam damals nicht von oben; er kam aus den Herzen der Menschen, die es leid waren, im Totalitarismus zu leben.
»Wir sind ein Volk«, das war ein Schrei nach Freiheit, nach Selbstbestimmung – und es ist das noch immer.
Nicht Kinderknete sein
»Lasst euch nicht verbiegen!«, so möchte man den Deutschen zurufen.
Doch wie soll das gehen?
Machen wir uns nichts vor: Mancher Deutscher ist heute verbogen wie eine Büroklammer, formbar und willig wie Kinderknete mit dem Rückgrat eines Sofakissens.
Nicht nur »Deutschsein«, jedes »Etwas-Sein« beginnt damit, zu wissen, was es ist, das man ist, für welche Werte man steht – was deine »relevante Strukturen« sind.
So simpel es zunächst klingt, so schwierig kann es im Alltag sein: Gemeinsames, wertvolles Deutschsein beginnt mit dem Mut des Einzelnen, sich in seinen Werten nicht verbiegen zu lassen.
Mit dem Mut, an den Grundwerten festzuhalten, die dieses Land aufgebaut haben. Mit Freiheit, Gerechtigkeit und der Sturheit, für simple, aber wichtige Überzeugungen einzustehen.
Einheit kann nicht von oben diktiert werden.
Einheit setzt auch nicht zwingend voraus, dass du und ich einander die »Bruderschaft in Einheit« schwören.
Mit einem Volk verhält es sich in dieser Hinsicht gar nicht anders als mit Mann und Frau: Man wächst zu einer Einheit und Gemeinschaft zusammen, wenn man feststellt, dass man gemeinsame Wünsche und Werte hat. Die gemeinsamen Wünsche, Werte und auch Träume sind das gemeinsame Fundament. Doch die Gemeinschaft zerbricht, wenn die gemeinsamen Werte und Träume im unerbittlichen Strom des Alltags zu Staub zermahlen werden.
Was bedeutet es also, deutsch zu sein, gar als Deutsche von »Einheit« zu reden, wenn deutsche Politik »mit Deutschland nichts anfangen« kann, »Vaterlandsliebe zum Kotzen« findet und beides jeden Tag vorführt?
Trotzig darauf bestehen
Deutschsein beginnt mit dir selbst. – Ja, Deutschsein im besten Sinne.
Das Haus, um das du dich kümmerst. Das Konzert, das du besucht – und jede andere Form kultureller und geschichtlicher Bildung, zu der du dich und die Menschen um dich herum motivierst. Das Bewusstmachen der Tugenden, die einst »Made in Germany« vom Warn- zum Qualitätszeichen werden ließen. Und, nicht zuletzt, trotzig darauf zu bestehen, als Deutsche von Deutschen zum Wohl der Deutschen regiert zu werden.
Ich wünsche euch und uns jene Einheit, die mit der Einheit der Werte beginnt. Einheit der Werte und ja, der Wünsche und Träume. Heute sogar eine Einheit der Tugenden.
Politik bringt nicht Einheit, nicht diese Politik. Gauck irrt. Nicht die Bevölkerungen, sondern »die Eliten« sind »das Problem«. Diese »Eliten« spalten und schwächen das Volk und ja, die Nation.
Damit es eine Einheit Deutschlands gibt, muss es ein Deutschland geben, das sein eigenes Schicksal selbst bestimmen kann, von eigenen Verordnungen bis zu gesicherten Grenzen – ein anderes Thema.
Was aber ist mit der Einheit der Deutschen, der buchstäblich »deutschen Einheit«?
Damit eine Einheit der Deutschen wieder denkbar und spürbar ist, muss es genug Werte und Träume geben, von denen der einzelne Deutsche sagen kann: Ja, das ist deutsch. Das bin ich. Und ich bin stolz darauf.