Dushan-Wegner

06.12.2022

Die letzte Hausaufgabe

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Foto von Jeremy Hynes
Keiner der politisch Verantwortlichen für den Mord an der 14-Jährigen wird belangt werden. Man wird bestreiten, dass überhaupt jemand politisch verantwortlich ist. Wenn aber Moral und Gesetz in einem Land auseinanderfallen, fällt das Land auseinander!
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Wenn man mich heute fragte, was mich besonders schmerzt, dann würde ich natürlich die Meldung von jener 14-Jährigen nennen, die nun tot ist. Einer jener jungen Männer, die nach Deutschland kamen, hat eine 14-Jährige getötet.

bild.de, 6.12.2022 titelt: »Asylbewerber ersticht 14-Jährige und verletzt ihre Freundin schwer«.

Wir erfahren, dass das Mädchen im Krankenhaus ihren Verletzungen erlag. Und dass der 27 Jahre junge Mann aus Eritrea stammte. Ein Augenzeuge berichtet: »Da lag das Mädchen blutend am Boden mit einer riesigen Stichwunde im Bauch. Ein zweites hatte Verletzungen unterhalb der Brust, eine Stichwunde.« (ebenda)

Ja, das Blut auch dieses 14-jährigen Mädchens klebt an den Händen der Gutmenschen, an den Händen der politisch verantwortlichen Funktionäre und der willigen Journalisten. Wenn diese Funktionäre ein Gewissen haben sollten, dann arbeitet dieses wohl sehr anders als meins.

Ich lese von Politikern, deren erste Sorge es nun ist, dass die Bürger schlecht über den jungen Mann reden könnten. Man wird jede politische und moralische Verantwortung für den Tod des Mädchens ablehnen, und zwar mit einem der vielen magischen Abwehrworte gegen Meinungsäußerung, wenn diese gegen das Narrativ verstoßen: Es sei »Instrumentalisierung«, »Hass und Hetze« et cetera.

Mich ekelt schon länger vor solchem politischen Handeln. Hier werden, so fühlt es sich nicht nur für mich an, wehrlose Kinder für eine Ideologie geopfert – diktiert von fernen Funktionären hinter hohen Mauern, deren eigene Kinder, so vorhanden, mit schweren Limousinen in teure Privatschulen gefahren werden.

Moral und Gesetz

Jedoch, neben dem ersten, hilflos-wütenden Schmerz als Mensch und Vater, ahne ich einen zweiten Schmerz in mir, und der ist etwas abstrakter.

Wir wissen, dass Moral und Gesetz zwei getrennte Konzepte sind, die schon mal verwechselt werden. Moral ist nicht Gesetz, und Gesetz ist nicht Moral. Eine Handlung, die gesetzlich und legal ist, kann eklatant gegen unser Moralgefühl verstoßen – das ist ja die Natur all der politischen Skandale, die ohne Verurteilungen versanden.

Moral ist ein geteiltes Gefühl, auch wenn es durch seine Intensität, ähnlich wie etwa die Liebe, als eine eigene Entität empfunden wird. Der eigene wie auch gemeinsame ethische Kodex fußt auf relevanten Strukturen (ja, ich verwende »Moral« und »Ethik« synonym). Da Relevanz aber von externen Faktoren abhängt, unterscheidet sich der Moralkodex von Individuen und Gesellschaft (und innerhalb dieser verändert er sich auch über die Zeit hinweg).

Gesetze bestehen aus Regeln, ähnlich wie jene Regeln, die sich aus moralischen Werten ergeben. Staatliche Gesetze werden aber zentral festgelegt, und sie sind nicht selten das Ergebnis der tatsächlich relevanten Strukturen derjenigen, die sie festlegten.

(Ist es nicht ein bemerkenswerter Zufall, dass von Priestern festgelegte Gesetze die bevorzugte Behandlung von Priestern verlangen, von Politikern festgelegte Gesetze die bevorzugte Behandlung von Politikern, und dass dort, wo Unternehmen die Gesetze diktieren, erstaunlicherweise Sonderrechte für Unternehmern notwendig erscheinen? Wie wohl die Gesetze beschaffen sein werden, die »Künstliche Intelligenz« uns schreiben wird?)

Das Auseinanderdriften

Da die Moral ein Gefühl ist – wie heilig und erhaben sich dieses Gefühl auch anfühlen mag – taugt sie nicht als Regelwerk einer funktionierenden Gesellschaft. Deshalb braucht es Gesetze – die sich aber aus dem Moralgefühl ergeben müssen!

Da Gesetze allgemein sein müssen (also »objektiv«) und Gefühle immer individuell sind (also »subjektiv«), wird es immer wieder Fälle geben, dass Moral und Gesetz auseinanderfallen.

Das gelegentliche Auseinanderfallen von Moral und Gesetz wird immer passieren, und es kann durchaus produktiv sein, in beide Richtungen.

Wir können (und sollen nach Immanuel Kant) unsere Moral daran prüfen, wie durchdacht und kohärent sie ist (flapsig gesagt: ob sie »Sinn macht«).

Und eine Regierung, egal welcher Staatsform, muss kontinuierlich prüfen (und sich rechtfertigen), ob ihre Gesetze und deren Anwendung mit dem Moralgefühl realer Menschen (nicht nur einiger lauter Lobbyisten und ihrer »NGOs«) vereinbar sind.

Allgemein als moralisch empfundene Handlungen müssen nicht notwendigerweise legal sein. Und legale Handlungen müssen nicht unbedingt als moralisch empfunden werden. (Kein Covid-Lockdown-Einpeitscher wird für seine Handlungen im Gefängnis sitzen – seine Opfer werden aber bereits bestraft.)

Wenn Gesetz und Moral aber nicht nur gelegentlich im Widerspruch zu stehen scheinen, sondern über Jahre oder sogar Jahrzehnte immer weiter auseinanderdriften, dann erlebt die Gesellschaft nichts weniger als ihr eigenes Zerbrechen.

In hilfloser Wut

In Deutschland gehen die Moral (der von der Politik offen verachteten) »gewöhnlichen Deutschen« und die »legalen« Handlungen der Politik seit Jahren auseinander.

Die politisch Verantwortlichen für den Tod der 14-Jährigen werden nie zur Verantwortung gezogen werden. Nach aller leidvollen Erfahrung könnten aber einige Bürger in hilfloser Wut die Verantwortlichen beschimpfen, und dann werden es diese Schimpfenden sein, die der Staat bestrafen wird. Die politisch Verantwortlichen und ihre nützlichen Gutmenschen werden dann einander Orden an die Brust heften, für die Zivilcourage, das Leben von Kindern für die Ideologie geopfert zu haben.

So eklatant

Ja, zwei Arten von Schmerz fühle ich. Meine eigene Tochter wird 16 Jahre, und ich will gar nicht erst darüber spekulieren, was meine Reaktion wäre, wenn sie für den Wahn der Gutmenschen geopfert würde. Der Kern jener Nachricht schmerzt mich auf basale Weise.

Doch da ist noch der Schmerz über die sichtliche Auflösung einer Gesellschaft, in welcher Moral und das legal Mögliche so eklatant auseinanderdriften.

Das Mädchen war auf dem Schulweg gewesen, so lesen wir. Dieser war kurz, und führte an einem Asylbewerberheim vorbei. Am Tatort lag später ihr schwarzer Rucksack mit den Schulsachen. Wahrscheinlich hatte sie ihre letzten Hausaufgaben gemacht. Hatte sich auf Weihnachten gefreut. Hatte Pläne gemacht, für weitere Ausbildung, für den Beruf. Hatte vielleicht sogar überlegt, ob sie selbst eines Tages Mutter sein will – und mit wie vielen eigenen Kindern.

Verfügen wir?

Wenn etwas zerbricht, auch eine öffentliche Ordnung – oder der Glaube an die moralische Legitimation des Legalen – dann kommt danach immer etwas Neues.

Wir (wenn auch nicht alle von uns) werden sehen und erfahren, was hiernach kommen wird. Ein Teil von mir ist tatsächlich gespannt – ein anderer Teil von mir hätte sehr gern auf solche neue Erkenntnis verzichtet.

Werden Gesetz und Moral in Deutschland wieder zueinanderfinden?

Nun, es funktioniert nur, wenn Verstand und Gewissen die Menschen als Einzelne wie auch als Kollektiv zueinander treiben.

Ich höre die Menschen fragen, und ich frage ja selbst: Haben wir noch eine Chance? Und wie groß ist sie?

Und ich antworte mit einer Rückfrage: Benutzen wir unseren Verstand? Hören wir auf unser Gewissen? Und: Wie fein ist dieses eingestellt? Verfügen wir über Mut und Kraft, uns des Verstandes und des Gewissens zu bedienen?

Moral, Gesetz, Verstand und Gewissen wieder zusammenzubringen, und dann das Ergebnis durchzusetzen (!), das sind auch Deutschlands wichtigste Hausaufgaben – und wenn die Deutschen diese Hausaufgaben nicht sehr bald erledigen, waren das ihre letzten.

Weiterschreiben, Wegner!

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