Es war einmal ein Dieb, der plante sein Meisterstück, sein Opus magnum, oder wie die Franzosen und die Künstler sagen, sein Pièce de Résistance.
Das Geschäft des Diebes ist die Kunst des Diebstahls. Die Kunst des Diebstahls besteht natürlich darin, so viel wie möglich zu nehmen, mit so wenig und so ungefährlichem Widerstand wie möglich.
Der Dieb wollte in die große Landesbank einbrechen. Die Türen und Tresore der Bank waren so stark, und die Wachen so klug und gut bewaffnet, dass niemand, wirklich niemand mit Gewalt einbrechen konnte.
»Nein, mit Gewalt geht es nicht«, dachte er bei sich.
»Aber«, und das war seine große Idee, »vielleicht geht es ohne Gewalt noch eleganter!«
Er grübelte: »Ich müsste es herausfinden, wie es ohne Gewalt geht. Doch wie finde ich es heraus? Wer weiß es? Selbst wenn ich wüsste, wer es weiß, so würde derjenige es mir kaum sagen. Und wenn ich fragte, würde er Verdacht schöpfen. Jedoch, ich vermute, dass die Sicherheit der Bank tatsächlich aus dem Zusammenspiel von Türen, Tresoren und Arbeitsabläufen erwächst – und alle Unsicherheit erwächst aus Mängeln und Lücken in diesem Zusammenspiel. Man könnte es nicht erfragen, man müsste es probieren. Man müsste es mal durchspielen!«
Ja, »durchspielen« war das entscheidende Wort.
Das Spiel wird beschlossen
Der Dieb ließ sich einen neuen Anzug schneidern, präzise nach jenem Stil, an dem man die Seriosität von Beratern erkennt. Der Bankchef stellte den Dieb sogleich als Berater ein, denn er war seriös, wie man ja an seinem Anzug erkannte.
Der neue Berater sagte: »Es treiben sich heute viele Diebe herum.«
Der Bankdirektor sagt: »Das ist wahr, nur was kann man gegen diese tun?«
Der neue Berater erklärte: »Ich trage einen teuren Anzug, und ich sage: Es gibt nur ein Verfahren, die Diebe wirklich zu verstehen.«
»Wir wollen es tun!«, rief der Bankdirektor.
»Es kostet aber nicht wenig Geld«, sagte der Berater.
»Wir wollen zahlen«, sagte der Bankdirektor, »was ist das nun für ein Verfahren?«
»Es ist ein Spiel«, sagte der Berater.
»Ein Spiel?«
»Ja, wir heuern Darsteller an, und wir spielen, dass die Bank überfallen wird. Indem wir aber spielen, wie Tresore geknackt und Wachen überlistet werden, lernen wir die Schwächen der Bank kennen. Und die Bank kann ihre Sicherheit erhöhen, bevor wir sie leer räumen.«
»Sie meinen, bevor die Diebe uns leer räumen«, korrigierte der Bankdirektor, doch in Gedanken war er schon bei den Planungen des Spiels, denn das klang aufregend.
»Ja, ja, selbstverständlich«, sagte der Berater, und schwitzte etwas in seinen neuen Anzug.
Das Spiel wurde beschlossen. Die Bank stellte das Geld zur Verfügung, denn so ein Spiel ist natürlich nicht billig.
Und also heuerte der Berater die Darsteller an, und es waren allesamt langjährige Kollegen von ihm. Wer soll auch glaubwürdiger einen Banküberfall darstellen als erfahrene Diebe und Räuber?
Wenige Zeit später
Der große Tag kam. Es wurde Banküberfall gespielt. Die Darsteller taten, als würden sie die Wachen überwinden und die Tresore knacken – und die Wachen halfen ihnen sogar dabei, damit das Spiel auch gelang.
Der Berater befragte die Wachen. Er studierte die Pläne der Tresore. Man befragte die Wachen nach Schwachstellen, die nur ihnen bekannt waren, und da es nur ein Spiel war, das zudem der Direktor selbst angeordnet hatte, gaben sie diese gern preis. Ja, sie waren sogar stolz darauf, sich so gut in ihrer Bank auszukennen, dass sie sogar die Schwächen nennen konnten. Die unbewachte Dachluke hier, die defekte Tür dort. Und um eine bestimmte nächtliche Uhrzeit war die Bank kurz ohne jede Bewachung!
Es war ein wahrlich erfolgreiches Planspiel. Der Berater hatte eine lange Liste an Mängeln der Bank erstellt. Er fertigte einen Report an, und er legte diesen dem Bankdirektor vor.
Der Berater bot auch an, die Mängel zu beseitigen. Der Bankdirektor aber war doppelt überwältigt, einmal von der Zahl der Mängel, und einmal von den Kosten ihrer Behebung.
Der Bankdirektor initiierte einige billige Maßnahmen, doch für die großen, teuren Schritte erbat er sich Bedenkzeit.
Er würde erstmal nicht zur Umsetzung kommen.
Wenige Zeit, nachdem der Report vorlag, wurde eines Nachts die Bank überfallen.
Es musste just in der kurzen Zeitspanne passiert sein, in welcher die Bank ohne Überwachung war. Und die Täter schienen jede Schwäche der Bank gekannt zu haben.
Danach stimmte auch die persönliche Chemie zwischen Berater und Bankdirektor eine Weile nicht mehr so gut. Und auch schien der Berater plötzlich viel, viel wohlhabender als der Bankdirektor zu sein.
Der Bankdirektor traute sich gar nicht erst, den Berater zu verdächtigen, und doch war dieser niemand anderes als unser Meisterdieb. Denn der Direktor hatte ja diesen Berater selbst in die Bank geholt, was ihn als Direktor mit zum Schuldigen gemacht hätte, wenn es wohl auch eine Schuld aus Leichtsinnigkeit wäre.
Jedoch, unser Dieb reparierte seine Beziehung zum Bankdirektor mit wenigen simplen Sätzen: »Niemand kennt die Schwächen deiner Bank besser als ich. Du hast nicht schnell genug meine Vorschläge umgesetzt, deshalb wurdest du überfallen. Ich kann dir helfen, dich vor dem nächsten Überfall zu schützen – und der wird kommen.«
Bitte mit Seife
Ach ja, liebe Leser, da bin ich doch glatt ins Erzählen gekommen. Ich wollte über die Nachrichten des Tages schreiben, und habe doch lieber eine lustige, vollständig frei erfundene Geschichte über Planspiele und Banküberfälle erzählt.
Wie gut, dass es nicht im richtigen Leben passiert, dass etwa ein Krieg, ein Anschlag oder ein anderes Ereignis von weltweiter Tragweite zunächst als Planspiel »geübt« wird, wobei sich die Schwachstellen in der Gesellschaft finden und später profitabel nutzen lassen. Das wäre ja geradezu ein Meisterstück, ein Opus magnum, ein Pièce de Résistance irgendwelcher namenlosen Mächte, welche die Fäden der uns bekannten Mächtigen ziehen.
Sollten Sie so einen absurden Quatsch glauben, bloß weil Ihnen vielleicht die Original-Reports solcher Planspiele vorliegen, gehen Sie bitte sofort Ihr Gehirn mit Seife waschen und schalten wieder den Fernseher an.