08.06.2023

Der Sinnsinn und sein Mangel

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Bild: »Eine andere Sonne soll aufgehen«
Ein mit Millionen an Euro Steuergeld finanziertes Institut befindet, dass man die AfD verbieten könne. Gähn. – Journalisten verbreiten das brav. Was geht in Leuten vor, die das ernst zu nehmen vorgeben und sich so zum Rädchen im Propagandastaat machen?
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Es ist die Menge, die mich schockiert, die Menge der Funktionäre mit so ganz anderem »Sinnsinn« als meinem.

Die Menge der Leute, die ihr Denken bereitwillig aufgeben, ist schlimm genug, doch mit einigen Geschichtskenntnissen ist dies nicht wirklich schockierend – eher erwartbar.

Schockierender finde ich heute die schiere Menge der Funktionäre, die ohne ein mir erkennbares Gewissen zu handeln scheinen.

Am schockierendsten aber finde ich – und Sie mögen mich dafür „dramatisch“ nennen – den „Sinnsinn“ dieser Funktionäre (und ihrer vielen Helfershelfer), der offenbar diametral zu meinem funktioniert.

Schon wieder?

Ich lese die Meldungen des Tages, und ich will nicht schon wieder über die AfD schreiben müssen – doch ich wähle die Nachrichten nicht aus! In Deutschland steht die AfD in den Umfragen bei 19%, und rein zufälligerweise kommt das im Unrechtsjahr 2015 gegründete und mit Millionensumme von Bundestag, Bund und Ländern finanzierte (siehe Jahresbericht 2019) „Menschenrechtsinstitut“ zu der Erkenntnis, dass die „Voraussetzungen für Verbot der AfD“ erfüllt seien (institut-fuer-menschenrechte.de, 7.6.2023).

In deren Kuratorium sitzt u. a. eine gewisse Anetta Kahane (siehe deren Website).

Das Anti-AfD-Paper ist von einem Herrn Dr. Cremer geschrieben, der 2014 auch für die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung über „Racial Profiling“ schrieb (boell.de, 22.10.2014). In seinem Paper fand ich seitenweise die Anti-AfD-Plattitüden, die wir aus dem Stehsatz der Redaktionen des Propagandastaates kennen. Wenn es mit dem Verbot der AfD nicht klappen sollte, könnte man wenigstens staatliche Mittel entziehen, auch der AfD-nahen Stiftung. Und so weiter.

Es wirkt auf mich so transparent, so schmerzhaft hanebüchen.

Doch es erfüllt einen vermutlichen Zweck im Propagandastaat, ob vom Autor so beabsichtigt oder nicht. Es wird darüber berichtet – tagesschau.de, zdf.de, faz.net – und die Meinung eines recht dünn argumentierenden Papers eines vom Bundestag finanzierten »Instituts« klingt bald wie eine Tatsache: »Partei darf verboten werden« (Haupt-Schlagzeile bei taz.de).

Mich interessieren weniger die Leute, deren Name und Vereinsname auf dem Paper stehen. Ich rätsele vielmehr über die Rädchen der Maschinerie, die dessen Verbreitung und Anwendung betreiben. Genauer: Mich interessiert, was in deren Geist vorgeht, und zwar nicht nur bei der Verbreitung dieses Papers, sondern täglich.

Es ist so dünn, so inkohärent, so verlogen – ich glaube keine Sekunde, dass die das nicht selbst sehen. Und doch tun sie es, doch helfen sie dabei.

Ich rätsele, täglich ratloser: Was lässt diese Menschen am Ende des Tages sagen, dass sie soweit zufrieden sind?

Wir sehen Rot

Das Sehen einer Farbe fühlt sich auf eine bestimmte Weise an. Und dieses Gefühl, beispielsweise die Farbe Rot zu sehen, ist im Wortsinn unbeschreiblich – doch wir können beschreiben, infolge welcher physikalischen und biologischen Gegebenheiten es auftritt.

Meine Leser wissen, dass ich Gut und Böse als vergleichbare ethische Gefühle erkläre. So wie sich das Rotgefühl (= das Gefühl, die Farbe Rot zu sehen) auf bestimmte Oberflächen und ins Auge eintreffende Wellenlängen bezieht, so beschreiben ethische Begriffe wie „gut“ und „böse“, ob wir Veränderungen als stärkend oder als schwächend bezüglich (unserer) relevanten Strukturen einschätzen.

Die Wahrnehmung von Farbe lässt sich durch Lichtverhältnisse oder gefärbte Linsen manipulieren. Die Wahrnehmung von Gut und Böse durchs Relevantmachen von Strukturen und durch Betonung oder Verharmlosung von Veränderungen.

Zunehmend schockiert

Wir mögen daran leiden, doch es ist uns bewusst, dass Menschen sehr unterschiedliche ethische Bewertungen vornehmen. Ihre und meine ethischen Gefühle unterscheiden sich kategorisch von den ethischen Gefühlen (oder Nicht-Gefühlen) eines Menschen nach einer Gehirnwäsche durch Endzeitsekten wie aktuell etwa die Paul-Mackenzie-Sekte (focus.de, 25.4.2023) oder die Letzte Generation (focus.de, 14.2.2023).

Doch eine andere Eigenschaft schockiert mich dieser Tage zunehmend.

Ich erfinde dafür den Begriff „Sinnsinn“.

Der Sinnsinn

Dem (gesunden und prototypisch vollständigen) Menschen sind u. a. Sinne für das Sehen von Farben angeboren. Dazu gewisse evolutionär nützliche Sehnsüchte, etwa nach Liebe, Gemeinschaft und Freude am erfolgreichen Abschluss von Vorhaben. Außerdem ein (im Gehirn konstruierter) Sinn für ethische Bewertungen.

Wir reden leider zu wenig – und oft zu spät –  über den menschlichen Motivator, im eigenen Leben einen Sinn zu erkennen.

Ich gehe davon aus, dass dem Menschen auch ein „Sinnsinn“ zu eigen ist, also ein Sinn dafür, welche (Art von) Tätigkeit ihn zuletzt dazu bewegen wird, sein Leben als sinnvoll und gut gelebt zu bewerten.

Was geht in denen vor?

Ich weiß, dass einige von denen, welche die »Wahrheit und Meinung des Tages« verbreiten, aktiv lügen. Denn ich habe mit einigen gesprochen (»Eigentlich hast du ja recht, Dushan, aber …«).

Ich ahne, dass Politiker wissen, dass sie Deutschland kaputtmachen – spätestens wenn man bei jedem öffentlichen Auftritt ausgebuht wird und sich hinter Bodyguards verstecken muss wie ein afrikanischer Warlord, sollte man ahnen, dass einen das Volk nicht nur liebt.

Einige dieser Leute lügen, und sie wissen, dass wir wissen, dass sie lügen, und doch, wie man so treffend sagt, lügen sie weiter.

Was mich ratlos lässt: Welchen Sinn sehen diese Leute in ihrer Tätigkeit?

Wir alle sind endlich, und wir fragen uns, was von uns bleibt. Diese Leute doch auch! Was soll nach deren Erwartung dereinst auf deren Grabstein stehen? Vielleicht so etwas:

„Ich habe gelogen, um das Volk ruhigzuhalten.“

„Ich habe meinem Parteichef zur Macht verholfen.“

„Ich habe die Demokratie kaputtgemacht, um meine Sponsoren zufriedenzustellen.“

„Ich habe gelogen, um in der Redaktion aufzusteigen.“

„Ich habe gelogen, um mein Einkommen nicht zu verlieren.“

„Ich habe Journalismuspreise gewonnen.“

„Ich habe täglich die Reste meines Gewissens mit Alkohol abgetötet, und zum Schluss gab es immerhin einen Versorgungsposten.“

„Ich habe mitgemacht, und für das Leid, das ich zu verursachen half, kann ich nichts, denn ich habe nur Befehle ausgeführt.“

„Ich war kein Abweichler! Ich war ein Lügner, ein Heuchler und ein Gauner dazu, aber ich war kein Abweichler.“

Hmm.

So oder ähnlich müssten die ehrlichen Antworten manches Funktionärs lauten auf die Frage, was seinen Tagen einen Sinn gab.

Kann es das sein? Kann das eines Menschen „Sinnsinn“ befriedigen?

Die Krux

Die Funktionäre des Propagandastaates haben einen anderen Sinnsinn als ich. Und das ist die Krux des Menschen, der Gewissen, Verstand und ein Minimum an Weisheit im konkreten Alltag anwendet: Die verschwenden unsere Zeit, unsere Kraft und damit auch unser Leben.

Ich versuche, etwas Sinn zu finden, und dabei all den Funktionären aus dem Weg zu gehen, die mit einem so ganz anderen Sinnsinn versehen sind als ich.

Immerhin ist es mir gelungen, aus meiner Ratlosigkeit ob der möglichen Motivation der Propagandafunktionäre für mich einen Auftrag abzuleiten, eine Aufgabe.

Ich will: Sinn finden, inmitten von Sinnlosigkeit.

Weiterschreiben, Dushan!

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